Barmen - eine unterschätzte Stadt

Hans Joachim de Bruyn-Ouboter - "1200 Jahre Barmen"

von Frank Becker
In Barmen,
da wohnen die Armen...


Dieser Spottvers über die ungeliebte Schwesterstadt ist bis heute in Elberfeld in aller Munde, denn seit der Vereinigung durch die preußische Gebietsreform, bei der 1929 die Städte und Gemeinden Barmen, Elberfeld, Cronenberg, Vohwinkel, Ronsdorf und Beyenburg nebst Gebieten der Gemeinden Mettmann und Lennep erst zur Stadt Elberfeld-Barmen, dann zur Stadt "Wuppertal" zusammengefügt wurden, hat sich das Verhältnis dieser einst autark gewachsenen beiden stolzen Städte nicht grundlegend gewandelt. Der Barmer bleibt in Barmen und der Elberfelder wird in Barmen nicht einkaufen gehen. So ist das eben. Und was den Spottvers angeht, haben die Barmer die passende Erwiderung: "...und die in Elberfeld, die haben auch kein Geld".

Überregional interessante Stadtgeschichte

Der Historiker Hans Joachim de Bruyn-Ouboter hat die Geschichte Barmens vom Beginn der Besiedlung der Region bis hin zum heutigen Stadtteil Wuppertals erforscht und in einem opulent gestalteten Bildband dokumentiert, der seit einiger Zeit in der Edition Köndgen zu haben ist. So ausführlich, umfangreich und mit zum Teil bislang unveröffentlichten Fotos illustriert hat sich noch kein Werk mit der Geschichte der "Fabrikstadt an der Wupper" (Paul Zech) beschäftigt. Umso verdienstvoller ist das die geographische, wirtschaftliche, politische und kulturelle Entwicklung Barmens dokumentierende Buch, nicht nur für lokalhistorisch interessierte Leser.
De Bruyn-Ouboter zeichnet nicht nur 1200 Jahre Stadtgeschichte auf, er zeichnet einen sehr lebendiges Bild deutscher Geschichte und Befindlichkeit am Beispiel Barmens, dessen Wurzeln er dank umtriebiger Forscher-Kollegen in Streiflichtern bis in die prähistorische Vergangenheit ausleuchten kann.

Wirtschaft und Kultur

Kern seiner Arbeit ist jedoch dem Titel entsprechend die ebenfalls beeindruckende Spanne von immerhin 1200 Jahren der prosperierenden Gemeinde Barmen, die sich mit ihrer Textil-Produktion und ihren Färbereien im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert zu einer der wichtigsten Fabrikstädte Europas entwickelte, während der etwas kleinere Nachbar Elberfeld als florierende Kaufmannsstadt prosperierte. Daß Barmen, wie gerne "übersehen" auch für die Sozialgeschichte, die Wissenschaft und für die Kultur Erhebliches geleistet hat, zeigt die Chronik
de Bruyn-Ouboters anhand vieler Namen, Dokumente und Bilder auf. Ferdinand Freiligrath, Emil Rittershaus, Friedrich Engels jun., Ferdinand Lassalle, Rudolf Herzog, Adolf Erbslöh - Namen, deren Bedeutung nicht erläutert werden muß. Barmen besaß mit dem Kunstverein und den Ausstellungsräumen in der Ruhmeshalle eine der wichtigsten Sammlungen moderner Kunst, ein bedeutendes Stadttheater, die einzigartige Bergbahn, ein Luftkurhaus und ein Planetarium. Vieles wurde nach der Vereinigung mit Elberfeld umgewidmet oder bedeutungslos, anderes im 2. Weltkrieg zerstört, später durch den Wiederaufbau Wuppertals  und kurzsichtige Baupolitik endgültig vernichtet.
In Barmen lagen nach 1945 die eigentlichen Wurzeln des Jazz, der Wuppertal in der Musikwelt berühmt machen sollte, in Barmen gründeten sich damals auch Kunstvereine wie die gruppe rbk und die bedeutende Galerie "Palette" im Röderhaus, Barmen ist seit seiner Gründung 1973 die erklärte Heimat des Tanztheaters Pina Bausch, in Barmen entstand jüngst der Skulpturenpark "Waldfrieden" von Tony Cragg, in Barmen wurde 2002 die erste und bisher einzige Synagoge in Wuppertal nach dem Krieg gebaut und in Barmens Opernhaus residieren derzeit und vielleicht auch endgültig die Wuppertaler Bühnen, nachdem die Politik das Elberfelder Schauspielhaus zur Disposition gestellt hat.

Lesestoff und Bilderbuch

Man spricht in Wuppertal eigentlich bis auf den Tag stets von Elberfeld oder von Barmen, denn die politische Zwangsehe von 1929 hat selbst bei jüngeren Generationen nicht recht Eingang in die Köpfe gefunden. Daß die Barmer als dem Westfälischen ein wenig näher stehender Menschenschlag da durchaus ihren auf der Geschichte der Stadt - die übrigens erst 1808 Stadtrechte bekam - soliden Stolz bewahrt haben, liegt auf der Hand.
Hans Joachim de Bruyn-Ouboters Buch öffnet den Blick für eine bemerkenswerte, oft unterschätzte Stadt und ihre Geschichte, zeigt ihre Entwicklung, Blüte, Erfolge und ihr Leiden und Zerstörung im Krieg. Es ist Lesestoff und Bilderbuch, Chronik und Heimatbuch.
Ein marginaler Namensindex ist vorhanden. Ein Sachindex und eine Zeittafel hätten aus dem so sorgfältig recherchierten und zusammengestellten Band auch ein praktisches Nachschlagewerk machen können, doch das wurde bedauerlicherweise versäumt. Bei einer Neuauflage wird das hoffentlich nachgeholt.

Hans Joachim de Bruyn-Ouboter - "1200 Jahre Barmen. Die Stadtgeschichte"
© 2009, Edition Köndgen, Wuppertal, 288 Seiten mit 530 Fotos, Abbildungen und Karten
ISBN 978-3-939843-10-8,
29,95 

Weitere Informationen unter: www.edition.koendgen.de