Bilder vom hohen Norden

Werke dänischer Expeditionsmaler 1876–1908 im Kopenhagener Nordatlantikhaus

von Friederike Hagemeyer
Bilder vom hohen Norden

Werke dänischer Expeditionsmaler 1876 – 1908
im Kopenhagener Nordatlantikhaus
 
 
Die wissenschaftliche Erforschung des hohen Nordens fängt in Dänemark etwa im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts an – und zwar auf eigenem Territorium, denn Grönland und Island sind damals noch dänische Kolonien. Besonders für Grönland gilt, daß auβer einem schmalen Küstenstreifen das

Andreas Kornerup, Tasermiut (1876) - © Noratlantens Brygge
Landesinnere noch völlig unbekannt ist. Es beginnt die Erforschung des Inlandeises, der geologischen Gegebenheiten, die Erfassung der Tier- und Pflanzenwelt, die Erhebung meteorologischer Daten, vor allem aber die Bestimmung der Eisbergdrift und die Kartierung der Küste, um die Schiffsverbindungen sicherer zu machen. Und es geht darum, den Geheimnissen des Nordlichtes auf die Spur zu kommen, diesem mysteriösen Phänomen, das noch jeden Reisenden im hohen Norden fasziniert hat.

Die Photographie ist zwar schon erfunden, aber es gibt nur Schwarz-Weiβ-Abbildungen, und außerdem ist das Verfahren viel zu umständlich, um unter arktischen Bedingungen eingesetzt werden zu können. Jedoch ist die Wiedergabe von Farben und Farbnuancen gerade für die Analyse des Nordlichts besonders wichtig. Deshalb gehören den Expeditionen neben Fachleuten aus verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen auch Zeichner oder Maler an, die in der Lage sind, Landschaften darzustellen, Licht- und Farberscheinungen des Nordlichts festzuhalten, Eis- und Felsformationen, Flora und Fauna sowie Aussehen und Lebensweise der örtlichen Bevölkerung zu dokumentieren. Die Werke der Künstler dienen ausschlieβlich wissenschaftlichen Zwecken - so ihr klarer Auftrag - und deshalb landen die Bilder in ethnologischen, geologischen oder meteorologischen Sammlungen, wo sie der Wissenschaft zur Verfügung stehen - und mit der Zeit vergessen werden.

Dem „Nordatlantikhaus“ („Noratlantens Brygge“) in Zusammenarbeit mit dem dänischen Arktischen Institut ist es zu danken, daß dieser vergessene Schatz jetzt gehoben ist und der Öffentlichkeit präsentiert wird. In der Ausstellung „Nordlicht – dänische Expeditionsmaler“ („Nordlys – danske Ekspeditionsmalere“) ist es nun möglich, die „rein wissenschaftlichen“ Bilder unter künstlerischen Aspekten zu würdigen.
 
Die Expeditionsmaler
 
Andreas Kornerup (1857-1881), Geologiestudent, nimmt an drei Grönlandexpeditionen zwischen

Andreas Kornerup, Tasermiut 2 (1876) - © Noratlantens Brygge
1876 und 1879 teil, bevor er 1881 erst 24 Jahre alt, an Tuberkulose stirbt. Seine feinen Aquarelle geben Gebirgszüge, Gletscher und Gesteinsformationen teils im rosigen Licht der Abendsonne wieder. Aber es entstehen auch Bilder vom Leben Einheimischer. Die winzigen Menschenfiguren, die zunächst nur die Größenverhältnisse verdeutlichen sollen, sind so detailgenau gezeichnet, daß Haartracht und Kleidung gut zu erkennen sind. Wenn Kornerup Eisberge malt, dann trifft er ganz genau dieses einzigartige Blaugrün, das Grönlandreisende bis heute immer wieder in Begeisterung versetzt.
Mehr als 300 Bilder malt Kornerup während der drei Expeditionen, eine beachtliche Leistung, und ihre Farben sind so frisch wie am Tage ihrer Entstehung; der Grund: Kornerups Werke werden seit fast 130 Jahren erstmals wieder ausgestellt.
 
Unter welchen Bedingungen die Maler häufig arbeiten müssen, beschreibt Achton Friis (1871-1939), Teilnehmer der „Großen Dänischen Expedition“ („Danmarks-Ekspeditionen“) nach Grönland in den Jahren 1906-1908: „… der scharfe Wind bewirkte, daß die Farben steif wurden, so daß wir ausschlieβlich den Spachtel anwenden mußten. Unsere Kleidung fror steif an unserem Körper und unser Bart fror am Halstuch fest, so daß wir den Kopf nicht mehr bewegen konnten.“ Daß unter diesen Voraussetzungen die herrlichsten Bilder von Eisformationen entstehen, ist bewundernswert und eigentlich kaum zu glauben. Friis’ Kollege Aage Bertelsen (1873-1945), ebenfalls Teilnehmer dieser Expedition, hatte sich auf die harten Arbeitsbedingungen vorbereitet: sein kleiner Malkasten enthält alle notwendigen Utensilien sowie vorher zurechtgeschnittene Leinwandstücke, die mit Reißzwecken schnell an die Innenseite des Deckels geheftet werden können, und schon ist die Staffelei fertig. Der Malkasten mit vorbereiteter Leinwand im Format 15 X 22 cm ist erhalten geblieben und in der Ausstellung  anzuschauen. Die kleinen im grönländischen Eis entstanden Ölbilder hängen neben den nach der Heimkehr im Atelier angefertigten perfektionierten großformatigen Ausführungen, z.T. mit ergänzter Vordergrundszenerie; der Charme des Ursprünglichen ging dabei jedoch ein wenig verloren.
 

Harald Moltke, Nordlys (1900) - © Noratlantens Brygge
1899/1900 rüstet das dänische Meteorologische Institut eine Expedition in den Norden Islands zur Erforschung des Nordlichts aus. An Bord des Expeditionsschiffes reist außer dem wissenschaftlichen Personal der junge Offizier und Kunstmaler Harald Moltke (1871-1960) mit. Seine Aufgabe wird sein, das Nordlicht abzubilden. Als er dieses Phänomen zum ersten Mal erlebt, ist er tief beeindruckt: “Die Bögen spannen sich von Horizont zu Horizont und sind die ruhigsten Phänomene. Aber plötzlich können sich Strahlenbündel in diesen Bögen bilden, wie Saiten, worauf sich übernatürliche Hände daran machen (sie) zu spielen - vor und zurück - vor und zurück - bis das ganze verschwindet.“ Schnell stellt Moltke fest, daß er sich auf eine ziemlich heikle Aufgabe eingelassen hat, denn wie die flüchtigen Lichterscheinungen einfangen? Er entwickelt eine eigene Technik: sobald ein Nordlicht am Nachthimmel erscheint, stürzt er aus der Beobachtungshütte, fertigt mit Kohle auf Papier grobe Skizzen an, in denen er die Position der Sterne und die Formen der Lichter festhält sowie die Farben notiert. Sobald das Tageslicht ausreicht, fertigt er danach seine Ölbilder an. Es entstehen beeindruckende Gemälde; sie können auch denen eine Ahnung von den gewaltigen Lichterscheinungen vermitteln, die nie ein Nordlicht zu sehen bekamen.
 
Das Nordatlantikhaus („Nordatlantens Brygge“)
 
Gegenüber von „Nyhavn“ und dem neuen Schauspielhaus liegt auf der anderen Seite des Hafens ein Speicher, gebaut 1767, am früheren Grönlandkai. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts liefen von hier die Schiffe nach Island, Grönland und den Färöern aus und kehrten mit Fässern voll Tran, mit Seehundfellen und anderen arktischen Handelswaren wieder hierher zurück. Die Waren wurden im Packhaus gelagert bis sie auf Auktionen Abnehmer fanden. Von hier aus brachen auch die

H. Moltke, Nordlys 2 (1900) - © Noratlantens Brygge
Expeditionsschiffe zu ihren Reisen in den hohen Norden auf. Seit der Schiffsverkehr mit Grönland nach Aalborg verlegt wurde, diente der alte Speicher verschiedenen Zwecken bis er 2003, fast 240 Jahre nach seiner Erbauung, als „Nordatlantikhaus“ eine neue Funktion erhielt. Heute beherbergt er die Botschaft Islands sowie die Vertretungen Grönlands und der Färöer - alle drei Länder sind frühere Kolonien Dänemarks. Gemeinsam mit dem dänischen Staat unterhalten sie hier ein „Forum für westnordische Kultur“.
Eine der alten Speicheretagen, Wände, Ständer und Balken sind nur weiß übertüncht, dient als Ausstellungsraum, und hier sind die Bilder der dänischen Expeditionsmaler anzuschauen. Einen stimmigeren Ort für diese Werke kann man sich kaum vorstellen. Es ist eine kleine chronologisch geordnete Ausstellung, aber sie zeigt Außergewöhnliches, denn die Bilder können den Betrachter, läßt er sich nur ein wenig darauf ein, verzaubern und im Geiste zu den Eisbergen Grönlands und dem Nordlicht Islands entführen.

Zitate aus Erinnerungen und Tagebüchern machen die Arbeitsbedingungen anschaulich -  wenn man dänisch versteht. Für Nicht-Skandinavier stehen zwar Faltblätter auf Englisch zur Verfügung, aber kurze englischsprachige Erläuterungen zu den Bildern wären hilfreich.
Dennoch, die Ausstellung ist sehenswert, auch für deutsche Touristen, zumal ihr Besuch mit einem Spaziergang durch den eher abseits der touristischen Pfade gelegenen Teil Kopenhagens verbunden werden kann: es lohnt sich, an den vielen engen Kanälen entlang durch Christianshavn zu schlendern, zur neuen Oper zu wandern, den Blick übers Wasser auf das neue Schauspielhaus und die Kopenhagener Altstadt mit Nyhavn zu genießen und mit dem „Hafenbus“ („Havnebus = Fähren im Linienverkehr) zur Königlichen Bibliothek hinüber zu schippern.
 
 
Die Ausstellung „Nordlys – danske Ekspeditionsmalere“ ist noch bis 27. Juni 2010 in „Noratlantens Brygge“ zu sehen.

Norantlantens Brygge - Foto © Friederike Hagemeyer
Öffnungszeiten: Montag - Freitag: 10-17
Samstag-Sonntag: 12-17 
Eintritt: Erwachsene: 40 kr. - Pensionäre: 30 kr. - Studenten und Jugendliche bis 18: 20 kr.
Kinder unter 12: gratis
 
Nordatlantens Brygge - Strandgade 91 - 1401 København K
T. +45 3283 3700 - F. +45 3283 3701
 
Weitere Informationen: www.bryggen.dk





© 2010 Friederike Hagemeyer
Redaktion: Frank Becker