Schauspiel Essen
„Ubu“
von Alfred Jarry und Simon Stephens
Regie: Sebastian Nübling
Ubu – ein grausames Kasperle-Theater Als Alfred Jarry, 1873 in der Bretagne geboren, sein Stück „König Ubu“ schrieb, wußte er nichts von den Schrecken des vor ihm liegenden 20. Jahrhunderts. Die Uraufführung am 10. Dezember 1896 wurde zum größten Theaterskandal, den Paris je erlebt hatte. Jarrys Hang zur Provokation und zur Durchbrechung der bestehenden Theaterkonventionen schockierte das bürgerliche Publikum, das
Jarrys „Ubu“ gehört zur Vorgeschichte des Surrealismus. Er ist ordinär, feige und tückisch, die personifizierte Lust am Rauben, Fressen und Töten. Grenzenlose Menschenverachtung und Habgier treiben ihn dazu, den König zu ermorden und die Herrschaft an sich zu reißen. Ubu und seine Gefährten üben einen gnadenlosen Terror aus, dem nicht nur zahllose Menschen zum Opfer fallen, sondern auch alle Werte der Zivilisation. Ubu ist das freigesetzte Ungeheuer, das im Menschen steckt. Wie reagiert man zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf Tyrannen wie Ubu?
Die Antwort gibt Simon Stephens, 1971 in Stockport bei Manchester geboren, einer der erfolgreichsten britischen Dramatikern der Gegenwart. Seine Stücke wie „Motortown“ (in der Kritikerumfrage von Theater heute 2006 zum „Ausländischen Stück des Jahres“ gewählt) und „Port“ (Pearson-Award für das beste neue Stück 2001/2002) zeichnen sich durch eine hohe soziale und politische Realität aus. Oft spielen sie in den Industriestädten Mittelenglands und behandeln Themen wie zerstörte Familienstrukturen oder die Auswirkungen des Irak-Krieges auf die Gesellschaft. Mit dem Regisseur Sebastian Nübling, Jahrgang 1960, verbindet Stephens eine enge Zusammenarbeit. Nübling inszenierte Stephens Stück „Pornography“, das 2008 zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde. Ubu á jour und vor den Internationalen Gerichtshof gebracht
Stephens schrieb einen zweiten Teil zu „König Ubu“, in dem Ubu der Prozeß gemacht wird. Ausgehend von dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag, wo im Namen der Menschenrechte jene gerichtet werden sollen, die sich weltweit eines Kriegsverbrechens schuldig gemacht haben, wird auf der Bühne die Frage gestellt, ob der Gerechtigkeit Genüge getan werden kann. Sebastian Nübling arbeitet seit 1997 als freischaffender Regisseur. 2002 wurde er von Theater heute als Nachwuchsregisseur des Jahres ausgezeichnet. Er arbeitet momentan regelmäßig am Theater Basel, an den Münchner Kammerspielen und am Deutschen Theater in Hamburg. Am Schauspiel Essen inszenierte er jetzt den alten und den neuen Ubu als Koproduktion mit der Toneelgroup Amsterdam mit einem deutsch-niederländischen Ensemble. Gespielt wird auf deutsch, niederländisch, englisch und in der Sprache Ubus.
Zu Beginn sehen wir diverse Leute in weißen Kitteln, die Paragraphen und Menschenrechte auf große Plakate pinseln. Brueghels Bild vom Turmbau zu Babel lehnt im Hintergrund an der Wand. Nicola Mastroberadino ist ein hinreißender, überaus facettenreicher, wendiger Ubu, der sich immer wieder vorsagt: „Ik mak mik riktik dik“. Mit artistischer Körperbeherrschung und mit in einer fast clownesken Mischung aus Spiel und Pantomime wieselt er über die Bühne. Farbbeutel spritzen statt Blut. Wände, Gesichter, Bilder und Boden werden beschmiert. Ein grell-chaotisches Treiben, das zeitweise so überspitzt herüberkommt, daß es manchem Zuschauer zuviel wurde. Frieda Pittors ist eine ältliche Ma Ubu, die in weißem Tutu unbeholfen nach vorne stolziert, um zu verkünden: „Neue Königin, neue Scheiße“ und dann, unvermittelt: „I like very much elephants and shoes“. Glänzend als intrigante, machthungrige Matrone. Der erste Teil des Abends zeigt ungewohntes Spiel und fordert bei vielen Überzogenheiten Geduld vom Zuschauer. Das Böse wird platt-parodistisch illustriert und provoziert durchaus den einen oder anderen Lacher.
Spannender Theaterabend mit Gänsehaut
Im Part von Simon Stephens erleben wir einen merkwürdigen Prozeß, zu dessen Beginn die
Nübling kann sich auf ein hervorragendes, spielfreudiges Ensemble verlassen, das den Spagat zwischen aggressivem, körperlichen Klamauk im ersten Part und der zum Teil recht realitätsnahen, einfühlsamen Darstellung der Gerichtsszene gut bewältigte. Viel Applaus für einen anstrengenden, spannenden Theaterabend der anderen Art.
Weitere Informationen unter: www.toneelgroepamsterdam.nl und www.theater-essen.de
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