Resolution zur Situation der Theater in NRW

Forderungen der Ständigen Konferenz der Intendanten in NRW

Red.
Resolution zur Situation der Theater in NRW
von:
 
Theater Aachen Michael Schmitz-Aufterbeck
Theater Bielefeld Michael Heicks
Schauspielhaus Bochum Elmar Goerden
Theater Bonn Klaus Weise
Landestheater Detmold Kay Metzger
Burghofbühne Dinslaken Thorsten Weckherlin
Theater Dortmund Bettina Pesch, Michael Gruner, Kay Voges, Xin Peng Wang, Andreas Gruhn
Düsseldorfer Schauspielhaus Amelie Niermeyer
Schauspiel Essen Anselm Weber
Theater Hagen Norbert Hilchenbach
Vereinigten Städtischen Bühnen Krefeld und Mönchengladbach Jens Pesel
Schauspiel Köln Karin Beier
Schloßtheater Moers Ulrich Greb
Städtische Bühnen Münster Wolfgang Quetes
Theater an der Ruhr, Mülheim Roberto Ciulli, Helmut Schäfer, Sven Schlötcke
Rheinisches Landestheater Neuss Bettina Jahnke
Theater Oberhausen Peter Carp
Westfälische Kammerspiele Paderborn Dr. Merula Steinhardt-Unseld
Wuppertaler Bühnen Johannes Weigand, Christian von Treskow
 
 
Wollte man bestimmen, was Europa von anderen Weltregionen unterscheidet, so ist es sein Ursprung: die Stadt. Die europäische Kultur ist eine Kultur der Städte, des urbanen Lebens und immer wieder des demokratischen Gemeinwesens. Die demokratische Idee ist eine städtische, das antike Athen war ihr Geburtsort.
Erst in der Stadt wurden die Bewohner eines Ortes zu Bürgerinnen und Bürgern, die begriffen, daß sie ihre Beziehung auf die Grundlagen von Regeln stellen mußten. Aus diesen Regeln entwickelte sich das Recht, ohne dessen Existenz keine Zivilgesellschaft bis heute denkbar ist. Öffentlichkeit ist eine Folge des Rechts und diese ist bedroht, wenn Städten die Möglichkeit genommen wird, sie zu organisieren. Öffentlichkeit bedarf der Orte und Anlässe zur Kommunikation. Politik, Kultur, Bildung, Wissenschaft, keineswegs zuletzt soziale Einrichtungen und Sport sind die Basis, auf der Menschen sich versammeln, um zu kommunizieren und zu leben.
Doch seit Jahren ist der finanzielle Gestaltungsspielraum für die Städte drastisch eingeschränkt worden. Diese Entwicklung führt nicht nur zu immer weiteren finanziellen Einschnitten in bestimmten Bereichen, die Stadt wird als Gemeinwesen in ihrer Substanz gefährdet und droht zu einer Ansammlung von Wohn-, Verkehrs, und Konsummöglichkeiten zu verkommen. Zudem geht die Schere zwischen armen und reichen Städten immer weiter auseinander. Schuldenfreie Städte bieten kostenlose Kinderbetreuung, modern ausgestattete Schulen, attraktive Kulturförderung, integrierte Stadtteilentwicklung und vieles mehr. Die Attraktivität dieser Städte wächst während die Entwicklungsmöglichkeiten andernorts zunehmend eingeschränkt werden. Im Wettbewerb der Städte haben diese Kommunen keine Chance. Die langfristigen Folgen sind offensichtlich.
Die akute Bedrohung der Theaterlandschaft in NRW ist ein Ausdruck der bereits laufenden Zerstörung der Städte in ihrer Substanz und damit eine nicht zu unterschätzende Bedrohung der Demokratie. Schon seit Jahren haben sich die Rituale zyklisch auftretender Spardebatten zwischen Kommunen und Stadttheatern eingespielt: nach Protest und Widerspruch fügen sich die Theater den Vorgaben und treten damit den selbstmörderischen Beweis an, daß es immer auch billiger geht, in der Regel zu Lasten der ausübenden Künstler. In dieser Spirale ist nun allerdings ein Punkt erreicht, an dem die Einsparpotentiale vieler Theaterhäuser nachprüfbar erschöpft sind. Alle weiteren Einbußen bedrohen akut die Existenz der Theater. Die Debatte um das Wuppertaler Schauspiel ist da erst der Anfang. Neu an der aktuellen Situation ist, daß die Konfliktlinien nicht mehr zwischen Theaterleitungen und städtischen Verwaltungen laufen. Auch das wechselseitige Aufrechnen der Förderung von Stadttheatern, Festivalstrukturen und freier Theaterszene wird damit obsolet. Vor dem Hintergrund der desaströsen Finanzsituation der meisten Städte bleibt der Kommunalpolitik kein
Handlungsspielraum. Vom Gesetzgeber eingestuft als „freiwillige Leistung", bleiben die Ausgaben für kulturelle Einrichtungen oft der einzige Haushaltsbereich, in dem Einsparungen angeblich überhaupt noch möglich seien. Daß dies keine kurzfristige, bald überwindbare Krise ist, sondern der Kollaps des Systems öffentlicher Haushalte bevorsteht, belegen die Szenarien der Experten.

Seit Jahren werben Theaterschaffende mit dem Slogan „Theater muß sein!" für den Erhalt ihrer Institutionen. Nein, Theater muß nicht sein. Es geht auch ohne. Aber wie? Mit dem dichten Netz von Stadttheatern hat sich in Deutschland ein einmaliges und zudem höchst lebendiges Weltkulturerbe entwickelt, das neben dem Repertoire gerade in den letzten Jahren ein enormes Angebot aufgebaut hat an künstlerisch ausgerichteten Sozialprojekten gerade für junge Menschen, die tief in die Städte
hineinwirken, Impulse geben, Anstöße liefern. Das Theater stellt sich in seiner künstlerischen und logistischen Kompetenz verläßlich zur Verfügung als Kristallisationspunkt der Identifikation mit der Stadt, in der wir leben. Es wurde zum Ort der bürgerlichen Selbstvergewisserung, des gemeinsamen Überdenkens, des lustvollen Perspektivwechsels und der sinnlichen Einübung in Empathie. Kurz: Die
Theater geben im Widerspiel mit den anderen Kultureinrichtungen den Städten ein Gesicht, stemmen sich gegen Verödung und Vereinzelung, weit über das konkrete Spielplanangebot für den Kreis des klassischen Theaterpublikums hinaus. Und das mit einer auf permanenter Selbstausbeutung basierenden Effizienz, die in öffentlichen Einrichtungen ihresgleichen sucht.
Die Preisgabe der öffentlichen Spiel-Räume ist rasch geschehen; ihre Rückeroberung, beschwichtigend auf einen Sanktnimmerleinstag „nach der Krise" vertagt, Utopie. Obwohl es in den Schließungsdebatten selbstverständlich immer auch ganz konkret um Arbeitsplätze geht, ist der Kampf für den Erhalt institutionell geförderter Stadt-Kultur jedoch nicht in erster Linie Lobbyarbeit der Betroffenen. Die Forderung nach Bestandssicherung, die sich auch und wesentlich an die Länder und
den Bund richten muß, ist das Eintreten für eine spezifische, über lange Jahre erarbeitete Art des Miteinanderlebens in unseren Städten, deren Wegfall für jeden unmittelbar spürbar würde. Eine Stadt ohne öffentliche Räume ist kein Ort, an dem Demokratie gelebt werden kann.
 
Forderungen der Intendanten in NRW an den Bund, das Land und die Kommunen
1. Die finanzielle Sicherung der Theater durch eine Steigerung der Landesmittel auf mindestens 20 % des städtischen Zuschusses
2. Einen Pakt des Landes NRW mit den theatertragenden Städten, der die akut gefährdeten Theater über 5 Jahre sichert, um die Möglichkeit zu eröffnen strukturelle Änderungen vorzunehmen
3. Da die momentane finanzielle Situation der Theater vor allem durch die Krise der kommunalen Haushalte herbeigeführt wurde, ist eine Problemlösung nur durch übergeordnete Strukturänderungen möglich. Erhaltung der kulturellen Strukturen durch
a) die Entlastung der Kommunen durch Neuregelung des Finanzausgleichs zwischen Bund, Ländern und Kommunen
b) ein Entschuldungsprogramm für besonders gefährdete Kommunen durch Bund und Land – Städterettungsfond
c) die Ausweitung des Solidaritätszuschlags auf strukturschwache Regionen bundesweit
4. Kultur als Verfassungsziel
5. Die Erweiterung des Verständnisses von Weltkulturerbe und die Verteidigung der deutschen Theaterlandschaft durch die Ernennung zum Weltkulturerbe.
 
Ständige Konferenz der Intendanten in NRW
c/o Theater Aachen | Hubertusstr. 2-8 | D-52064 Aachen
Sprecher: Michael Schmitz-Aufterbeck (Generalintendant) · Theater Aachen
Hubertusstr. 2-8· 52064 Aachen · Tel 0241 – 4784 428 · Fax 0241 – 4784 435
Stellv. Sprecher: Kay Metzger (Intendant) · Landestheater Detmold
Theaterplatz 1 · 32756 Detmold · Tel 05231 – 974 611 · Fax 05231 – 974 610