Oh Ewigkeit, du schöne

von Horst Wolf Müller
Oh Ewigkeit, du schöne

 
Mertes: Es ist auffallend, Herr Kaplan, wie wenig Zutrauen die Menschen besonders aber die Politiker zu den Salzstöcken von Gorleben haben, die sie einmal für würdig halten, Endlager für Atommüll zu sein, und dann wieder kommen sie ihnen denkbar ungeeignet vor. Mir eher letzteres, wenn ich die aufgedunsenen Fässer seh, aus denen diese undefinierbare Brühe austritt, die das Umfeld kontaminiert und die Phantasie schwer verschmutzt. Leider sieht man viel zu wenig, wie giftig das Zeug is, wie überhaupt das Auge zu wenig zu tun bekommt. Das Hirn eines Physikers hat ja ganz andere Möglichkeiten, wüste Szenarien herzustellen, kann aber dem gewöhnlichen Müllwerker im knallorangen Overall wenig davon abgeben. Hört der Mann was von Teilchen, denkt er an Gebäck, spricht aber der Özdemir oder der Trittin von Teilchen, dann sind die so unsichtbar winzig und derart hinterhältig, daß es den Kenner gruselt.
In der Messe hör ich davon wenig. Die Ewigkeit wird von Ihnen da und dort erwähnt, aber meist sehr positiv, und ganz selten oder nie kommt dann das Wort Halbwertzeit vor oder die Urananreicherung. Die Leut denken, Sie haben sich versprochen und reden vom Iran, der ja auch angereichert werden kann. Prälat Zaberle hat kürzlich von den Brennstäben geredet, aber er meinte das Ganze symbolisch, Brennstäbe wären nix anderes als brennende Fackeln, die wir weitergeben, bis sie dann der letzte in offenes Feuer verwandelt. Stimmt natürlich nicht. Er wußte das und beklagte sich über die Sprache, die ein so plastisches Wort für einen so miesen Sachverhalt einsetzt. In der gleichen Predigt meine der Zaberle, das Wort GAU würde zu unbedenklich verwendet, größter anzunehmender Unfall heißt es, und das sollte man nicht sagen, wenn einen in Indien mal eine Diarrhoe befällt, dann lieber GAD, größter anzunehmender Durchfall. Oder das Wort Teilchenbeschleuniger. Grinsen in den Kirchenlogen. Und Wiederaufbereitung nie in Verbindung mit Gammelfleisch benutzen.
Ein Element, das 100 000 Jahre oder mehr benötigt, bis es zerfällt, sollten wir überhaupt nicht für unsere Zwecke verwende, weil wir das gar nicht kaputt kriegen. Die Menschen meinen zwar, in diesen Zeiträumen wären sie als Gattung noch vorhanden (wie Schildkröten und Krokodile) und könnten die zerfallenen Mineralien aus dem Endlager ziehen wie ein Bäcker nach zwei Stunden seine Baguettes, aber dat is Optimismus.
Der Pintus, ein früherer Bekannter meiner Tochter Noemi, der immer sehr gewagte Thesen aufstellt, behauptet, die Menschheit, wie sie heute existiert, ist ungefähr zehntausend Jahre alt und hätt noch mal die gleiche Zeitspanne zu existieren, dann wär der genetische Vorrat erschöpft und es käm wieder ein Homo Habilis dran, also eine Art Känguruh, bewegungsmäßig und ernährungsmäßig, allerdings ohne Bauchtaschen, davon würd die Evolution Abstand nehmen. Jedenfalls gäb es keine Ewigkeit, wie wir sie uns heute vorstellen. Ist ja irgendwo auch logisch. Der neue Typ hat dann auch mit der Unendlichkeit nix mehr am Hut, er nimmt die Abstände zwischen Stern und Stern gar nicht mehr wahr. Die elektronischen Gehirne liegen dann nur noch zwischen den Felsen rum und geben den Jungens Rätsel auf wie die Plastiken auf den Osterinseln.
Sie dürfen nicht denken, Herr Kaplan, dass ich der geborene Schwarzmaler bin. Ich freu mich auch, wenn Sie Recht behalten und so wat wie Himmelreich auf Erden eintritt. Ungelogen. Dat wär mir bei weitem lieber.
 



© Horst Wolf Müller – Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2010