Das offene Wort

Globalisierung - Ein Standpunkt des Ökonomen Prof. Alfred Grosser - vorgestellt

von Michael Kroemer, Pressesprecher der Universität Wuppertal

Eine Lanze für die Globalisierung



Aus ökonomischer Sicht gebe es keine Situation, in der die Öffnung eines Landes für Handel nicht für alle beteiligten Länder Vorteile brächte. Dumpfe Globalisierungskritik, die ökonomische Aufholprozesse negiere, laufe auf ein Verweigern von Entwicklung im Süden der Weltwirtschaft hinaus. Diese Lanze für die Globalisierung bricht Prof. Dr. Paul J.J. Welfens, Präsident des Europäischen Instituts für Internationale Wirtschaftsbeziehungen (EIIW) an der Universität Wuppertal, Jean Monnet Lehrstuhl für Europäische Integration. Es spreche allerdings nicht gerade für die politische Reife in Europa zu Beginn des 21. Jahrhunderts, wenn ein Weltwirtschaftsgipfel nur unter sehr massivem Polizeischutz stattfinden könne. Der Bundesregierung hätte es gut angestanden, im Vorfeld des Gipfels die vielen positiven Argumente zur Globalisierung fundiert darzustellen und die wenigen kritischen Negativ-Punkte ernsthaft zu reflektieren, erklärt Welfens weiter. Hier die Stellungnahme des Wuppertaler Ökonomen, 2007/2008 Alfred Grosser Professor am Science Po in Paris und Mitherausgeber von International Economics and Economic Policy, im Wortlaut:

"Vor dem Weltwirtschaftsgipfel in Deutschland in 2007 gibt es allerlei öffentliche Aufregung über die Gipfel-Agenda und vor allem die Grundfragen der Globalisierung. Es gibt prinzipielle Gegner der

 
G-8-Gipfel, in dem man eine Art verkappte Weltregierung sieht, die ohne Legitimierung agiere. Diese Sichtweise ist nicht überzeugend, denn eine Art faktische ökonomische Weltregierung käme nur zustande, wenn man auch China und Indien sowie Brasilien und Indonesien dazu bitten wollte. Das käme vermutlich vielen G-8-Kritikern auch nicht gelegen, da man sich dann einer Art politisch-ökonomischer Übermacht von noch größerem Kaliber gegenübersähe. Hier liegt ein Widerspruch, denn im Interesse demokratischer Prinzipien und ökonomischer Vernunft sollte man sicher einen größeren Kreis von Ländern zusammenrufen, also etwa G-12; aber damit riefe man sicher noch größeren Protest hervor - allein mit Blick auf China als Zusatz-Mitglied beim Gipfel fänden sich wohl mehrere Kritikpunkte der Globalisierungsgegner.

Der politische Protest ist teilweise eine Art von Widerstand gegen Globalisierung im Sinn von zunehmender Bedeutung internationaler Handels- und Kapitalverkehrsbeziehungen; diese werden als anonyme und im Zweifelsfall dunkle Mächte wahrgenommen. Hier trifft sich die Suche nach kleinbürgerlicher Gemütlichkeit des Typs "Mein Dorf soll schöner werden" mit einer diffusen Sehnsucht nach einem Mehr an politischer Gestaltung gegen die anonymen internationalen Marktkräfte.

Staaten sollen mehr Macht haben, dann wird alles besser? Wo doch Staatsversagen in der Weltwirtschaft mehr noch ein Problem ist als gelegentliches Marktversagen. Noch ein Widerspruch ergibt sich hier: Denn wenn schon die G-8 als Übermacht empfunden werden, wie wäre es dann erst, wenn die Staaten allesamt noch mehr Macht hätten? Vor allem spielt der Argwohn gegen multinationale Unternehmen eine große Rolle; im Zweifelsfall gibt es hier auch ein Stück Anti-Amerikanismus, der mit der großen Zahl von US-Multis zusammenhängt. Dann gibt es da noch das Unbehagen gegen angeblich wachsende Ein-kommensungleichheit in der Weltwirtschaft und zudem eine verbreitete Sorge um den Treibhauseffekt im Kontext von C02-Emissionen.

Emotional gesehen mag sich ein G-8-Gipfel ideal als medialer Sündenbock für globalisierungskritische Zeitgenossen eignen, aber die Globalisierungskritiker stehen eben auch für eigene Widersprüchlichkeiten und teilweise überhaupt für das Negieren von Fakten. Überhaupt ist mancher gegen die Billigkonkurrenz aus Asien, aber ein preiswertes schickes Handy hat man doch gerne in der Tasche - wohl auch bei der Mehrheit der Globalisierungsgegner.

Preiswerte Elektronikprodukte und Textilien aus Asien im Tausch gegen Automobile und Maschinen aus Europa, das ist Teil der Globalisierungswirklichkeit und auch ein Element des ökonomischen Aufhol- und Modernisierungsprozesses in der Weltwirtschaft. Längerfristig werden China und Indien in technologisch immer anspruchsvollere Bereiche vorstoßen, der Strukturwandel in Europa und den USA und in anderen Ländern wird damit Schritt halten müssen. Wichtig ist allerdings, eine vernünftige Balance zwischen Wachs-tum und Umweltschutz sowie Gesundheitsstandards zu halten, erst dann wird ein nachhaltiger ökonomischer Konvergenzprozess möglich. Eine dumpfe Globalisierungskritik, die den Fakt der ökonomischen Aufholprozesse negiert, läuft auf ein Verweigern von Entwicklung im Süden der Weltwirtschaft hinaus.

Die Einkommensungleichheiten im Sinn von Nord-Süd-Unterschieden beim Pro-Kopf-Einkommen haben, das zeigen die Weltbankstatistiken, in den 20 Jahren nach 1985 deutlich abgenommen; nicht etwa zugenommen, wie Attac behauptet. Die Relation der Pro-Kopf-Einkommen - nach Kaufkraftparitäten, also bereinigt um Unterschiede in den Preisen nichthandelsfähiger Güter wie etwa Friseurdienste und Mieten - der reichen OECD-Länder zu den ärmsten Ländern der Weltwirtschaft betrug 1950 etwa 17:1, 1973 dann 13:1 und 1998 dann 9:1, wenn man Afrika als Sonderfall außen vor lässt; nimmt man Afrika mit hinein, kommt man für 1998 auf 19:1. Afrika ist aber kein Opfer der Globalisierung, es wird durch politische Instabilität und Bürgerkriege in seiner Entwicklung gehindert.

Die langfristige Verminderung der globalen Einkommensungleichheiten ist vor allem dem Wirtschaftsaufschwung in China, Indien und den ASEAN-Staaten zuzuschreiben. Dass beim Aufschwung in China wiederum die Einkommensunterschiede innerhalb Chinas zunehmen, ist unübersehbar, aber es gehört zu einem normalen langfristigen Aufholprozess. Es ist außerdem absurd, wenn Europäer sich über Ungleichheit in China mehr aufregen als Chinesen selbst.

Die G-8 sind keine Wundermaschine, schon gar nicht können sie irgendwo auf der Welt Elend rasch besiegen. Es klingt im Zweifelsfall gut, wenn man nach Schuldenerlass für einige Länder der Dritten Welt ruft, aber dadurch verbaut man ihnen wohl auch den Weg zum globalen Kapitalmarkt und gibt den Mächtigen nur Anreize, neuerlich unverhältnismäßige Schulden aufzutürmen, damit dann alsbald der nächste Schuldenerlass stattfinde. Im Einzelfall kann ein Schuldenerlass einem Land helfen, aber die Bausteine zu Wohlstand heißen politische Stabilität, Marktwirtschaft, liberaler Handel und Rechtsstaat. Das führt zu Wachstum und gibt die Chance für ökonomische Aufholprozesse.

Demokratie nachhaltig mit Marktwirtschaft und Rechtsstaat zu verbinden, ist allerdings offenbar schwierig; die unabdingbare Pressefreiheit als Vehikel der Transparenz für alle zu akzeptieren, fällt ebenso schwer. Es fehlt in vielen Ländern der Welt an Sinn für fairen Sport bzw. sportliche Fairness - letzteres eben in der Politik, wo man doch kaum einen Wahlverlierer in Afrika seine Wahlniederlage eingestehen sieht und wo Wahlkämpfe selten eine freie Presse erleben. Der westliche Parlamentarismus ist eben nicht exportfähig, wenn nicht der Sinn für britisches Fairplay hinzutritt; den gilt es zu verbreiten, und so gesehen ist Sport eigentlich immer Politik. Gefordert ist auch der Wille zum wirtschaftlichen Wettbewerb; auch auf internationalen Märkten.

Warum sollte man gegen Globalisierung sein? Aus ökonomischer Sicht gibt es mit Ausnahme eines kuriosen Lehrbuchfalls keine Situation, in der die Öffnung eines Landes für Handel nicht für alle beteiligten Länder Vorteile brächte. Der kuriose und in der Praxis höchst selten relevante Fall bezieht sich auf ein großes Land, das sich auf die Produktion bzw. den Export von Gütern spezialisiert, deren Preis auf dem Weltmarkt sinkt. Hier könnte man an Brasilien und seinen Kaffee oder China und seine Textilien denken, aber Brasilien und China sind im Export schon viel zu differenziert, um ein Problem im Sinn von Verelendungswachstum zu haben. Umgekehrt gilt, dass ein Land ohne Außenhandel arm ist und wohl auch arm bleibt - siehe Nordkorea.

Was die Rolle von Direktinvestitionen von multinationalen Unternehmen angeht, so hat deren Rolle für Produktion, Forschung und Beschäftigung in den Industrieländern und in einigen Schwellen- und Entwicklungsländern seit 1985 zugenommen; China avancierte gar neben den USA zum Hauptempfänger von Direktinvestitionszuflüssen. Als Problem erscheinen nun gerade solche Länder, die keine nennenswerten Direktinvestitionen aus dem Ausland anziehen konnten. Das gilt für viele Länder in Afrika, wo Korruption, Bürgerkriege, Bürokratie und mangelnde Rechtssysteme vielfach die Investitionsmöglichkeiten in- und ausländischer Investoren beeinträchtigen. Aus ökonomischer Sicht sind von ausländischen Direktinvestitionszuflüssen große Vorteile zu erwarten: Technologietransfer, höhere Lohnsätze und ein erhöhtes Bruttoinlandsprodukt bzw. Bruttonationaleinkommen.

Der einzige Fall, wo Direktinvestitionszuflüsse für das Gastland problematisch sein könnten, besteht dann, wenn das betrachtete Land klein ist und der investitionswillige Multi eine Monopolposition hat. Einen Ausweg aus dem potenziellen Dilemma können kleine Länder aber selber finden, indem sie nämlich eine regionale Wirtschaftsintegration - wie etwa den MERCOSUR in Lateinamerika oder ASEAN in Asien - bilden: Mit einem größeren regionalen Markt wird man eine Vielzahl von ausländischen Investoren ansiedeln können, das Monopolproblem entschärft sich.

Afrika hatte 1950 in etwa dasselbe Pro-Kopf-Einkommen wie Asien (ohne Japan). Zu Ende des 20. Jahrhunderts war das Pro-Kopf-Einkommen in Asien kräftig angestiegen, während es in Afrika nur geringes Wachstum gab. Ein Blick nach Südostasien oder auch nach Osteuropa - zu den erfolgreichen postsozialistischen Ländern - zeigt uns, dass es durchaus Wege zu mehr Wohlstand gibt. Die Länder Afrikas haben nicht zuviel, sondern zuwenig Globalisierung; viele Länder haben vor allem keine politische Stabilität.

Hatte man noch in den 80er Jahren zu Recht beklagen können, wie groß die Einkommensunterschiede zwischen Nord und Süd in der Weltwirtschaft seien, so hat der Aufholprozess Chinas diese Thematik deutlich relativiert.

Der wirtschaftliche Erfolg Chinas scheint vielen Globalisierungskritikern wiederum auch nicht recht zu sein. Denn mit Chinas hohem Wachstum gehen neue Umweltprobleme inklusive erhöhte C02-Emissionen in der Weltwirtschaft einher. So gesehen bringt wirtschaftliche Globalisierung auf den ersten Blick verschärfte Umweltgefahren. Es hängt allerdings von Pekings Wirtschaftspolitik selbst ab, ob man durch eine Reform des Wirtschaftssystems und vernünftige Umweltschutzgesetze sowie Innovationspolitik einen positiven Beitrag Chinas zur Lösung des Klimaproblems erbringt. Hier mögen sich die Umweltaktivisten unter den Globalisierungskritikern in ihrem Protest gegen Peking richten; zudem ggf. auch gegen die USA, die sich dem Kyoto-Protokoll aus einer Mischung kurzsichtiger Wachstums- und egozentrischer Ölinteressen im Öl-Bundesstaat Texas heraus breit verweigert haben.

Ein nicht unproblematisches Feld sind Fragen der Arbeitssicherheitsstandards in Nord und Süd. Haben die Industrieländer ein Interesse, anspruchsvolle gesundheitsrelevante Sicherheitsstandards von Nord nach Süd zu exportieren? Nach neueren ökonomischen Analysen erscheint das als zweifelhaft, so dass man von EU-Seite durchaus auch Gewerkschaften zu einer aktiveren Nord-Süd-Politik drängen könnte. Vor einer Unterminierung der Standards im Norden durch arme Länder im Süden braucht man jedenfalls keine Furcht zu haben.

Wirklich beklagenswert stehen die EU und durchaus auch die europäischen Hauptländer Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien beim Thema Zollpolitik bzw. EU-Agrarsubventionen da. Diese sind ein Ärgernis für die EU-Steuerzahler, zudem behindern diese Subventionen die Entwicklungs- und Exportchancen vieler Entwicklungsländer, die komparative Vorteile in der Landwirtschaft haben. Die Subventionierung der Landwirtschaft in der EU - und den USA und Japan - ist ein kritisches Thema und diese Subventionen sollten schrittweise auch sehr drastisch zurückgeführt werden. Sie kosten die Steuer-zahler viel und sind ein Hemmnis für landwirtschaftliche bzw. ökonomische Entwicklung in vielen Ländern des Südens. Mehr Mut zu Reformen, mehr Marktwirtschaft und weniger Subventionierung in OECD-Ländern sind unbedingt zu fordern.

Es spricht nicht gerade für die politische Reife in Europa zu Beginn des 21. Jahrhunderts, wenn ein Weltwirtschaftsgipfel nur unter sehr massivem Polizeischutz stattfinden kann. Wer fundierte Argumente gegen den Gipfel, die Globalisierung oder die EU-Integration vorbringen will, der kann ja durchaus in einem friedlichen Gegengipfel im öffentlichen Diskurs zu punkten versuchen. Wichtig sind am Ende Demonstrationsfreiheit und zudem die Pressefreiheit; mit Blick auf letztere kann der G-8-Gipfel durchaus mit Ernst nach Russland als einem der Länder beim Gipfel blicken. Mag man Russland - oder auch China - nicht ohne weiteres mit westlichen Demokratiemaßstäben messen, die Sicherung und Wahrung der Pressefreiheit ist ein absolutes Muss, da sonst eine breite transparente Politikdebatte nicht stattfinden kann. Wer sich daheim einem Wettbewerb der Argumente verweigert, der wird wohl für den internationalen Diskurs schlecht gerüstet sein und ihn als notwendigen Teil vernünftiger Globalisierung auch nicht aktiv führen können.

Die Globalisierung braucht Regeln, damit Stabilität gewahrt wird und Wohlstand ausgebaut werden kann. Die G-8-Länder hätten beim Thema Klimaschutz eine Chance zur gemeinsamen Initiative für Regelsetzung gehabt, aber das westliche Führungsland USA hat sich verweigert. Das ist ein Problem in sich, denn eine Führungsnation setzt den Anspruch auf Richtungsgebung für andere aufs Spiel, wenn all die anderen schon selbst eine neue anspruchsvolle Richtung definiert haben. Der Weltwirtschaft wird fehlende Führung auf Dauer schlecht bekommen, die alternative andere Führungsmacht aus dem Pazifik, Asien, ist noch ökonomisch und politisch ein Stück von globalem Führungsanspruch entfernt. Die EU-Länder könnten durchaus versuchen, Führungsarbeit für die Weltwirtschaft zu leisten; aber allein wird dies nicht gelingen. Es wäre allerdings eine gemeinsame Initiative der Integrationsclubs EU-ASEAN-MERCOSUR denkbar - dies wäre ziemlich schwierig, aber durchaus erwägenswert.

Es hätte der Bundesregierung gut angestanden, im Vorfeld des Gipfels einmal die vielen positiven Argumente zur Globalisierung wissenschaftlich fundiert darzustellen und die wenigen kritischen Negativ-Punkte ernsthaft intern und öffentlich zu reflektieren. Die Kernbotschaft, dass in der Globalisierung wesentlich mehr Vorteils- als Nachteilspotenziale liegen, sollte man klar verdeutlichen. Der großen Koalition ist ein gewisser Hang zu Passivität an dieser Stelle anzukreiden, denn Lust an argumentativer Debatte ist in Berlin kaum zu erkennen; Bereitschaft und Fähigkeit zum öffentlichen Diskurs in Sachen Globalisierung sind sonderbar schwach ausgeprägt. Dieses Defizit gilt es rasch zu schließen.

Im Übrigen gilt, dass die Globalisierungskritiker den globalen Medienauflauf aus Anlass des G-8-Gipfels offenbar ebenso lieben wie die den Gipfel veranstaltenden Politiker. Die Versuchung, seinen Protest oder auch einfach nur seinen Weltschmerz kamerawirksam zu artikulieren, ist verständlicherweise groß. Von daher leidet der Gipfel seit vielen Jahren unter einem Zuviel an Publicity. Von der ursprünglichen Idee des ersten Treffens beim Gipfel von Rambouillet, als man in vertraulicher persönlicher Kaminzimmer-Atmosphäre wichtige weltwirtschaftliche Probleme besprechen wollte, ist wenig übrig geblieben. Ein Stückchen zurück zu den Anfängen wäre so gesehen ein Fortschritt."


© Alfred Grosser / Pressestelle der Universität Wuppertal
© Buch-Cover - C.H. Beck Verlag - mit freundlicher Genehmigung des Verlages

 

Redaktion: Frank Becker