Krieg spielen

von Hanns Dieter Hüsch

© André Poloczek / Archiv Musenblätter
Krieg spielen

Sagen Sie mal: wie werden Sie eigentlich mit dem Krieg fertig? Ich meine, wahrscheilich auch nicht so besonders. Also, ich will mal so fragen. Mein Nachbar, der Anton Brinsken, ich weiß nicht, ob Sie den kennen, der hat doch die Wöllenweber zur Frau, vom Bäcker Wöllenweber die Älteste, die Mathilde. Genau! Der kommt also mit dem Krieg momentan überhaupt nicht zurecht. Ist auch nicht so einfach. Die Wahrheit beginnt ja immer zu zweit, und einer hat immer unrecht. Hat der Philosoph mit dem dicken Schnurrbart gesagt. Einfach ist das nicht. Obwohl die Kinder aus dem Alter raus sind, daß sie Soldat spielen müssen. Gott sei Dank! Aber der Anton Brinsken, der sagt: „ja, jetzt ist es soweit“. Sagt der dauernd. Es hat uns ganz einfach erwischt. „Jedenfalls mich“, hat er gesagt, „mich hat das regelrecht auf kaltem Fuß erwischt.“ Und es wäre schlimmere als damals, wo er sich das Rauchen abgewöhnt hätte. Gut, das wäre am Anfang auch schlimm gewesen. Aber jetzt, da würde er doch nicht so einfach mit fertig, müßte er mir einfach mal ganz persönlich sagen, der Anton Brinsken. Der ist, glaube ich, schon seit zwanzig Jahren in einem kleinen Karnevalsverein im Nachbarort tätig. Bei uns ist ja in der Beziehung nix los. Der ist da Protokoller oder so was Ähnliches. Und jetzt ist der Krieg gekommen. Und er hatte sich schon seit Monaten ein Kostüm zurechtgelegt, das heißt, die Mathilde hat alles zugeschnitten. Jedenfalls lange Rede kurzer Sinn: Er wollte als Protokoller auch für die Farbigen eintreten, denn da wäre ja auch vieles ins Rollen gekommen. Mit seinen Versen und mit der Maske. Aber es sei nun alles ins Wassere gefallen. Das wäre eben die Weltgeschichte, und da müsste sich der kleine Mann halt beigen. Aber er zöge das Kostüm schon nachträglich zu Hause an, damit nicht alles umsonst wäre. Auch wegen Mathilde. Aber es käme jetzt natürlich keine Stimmung mehr auf. Es wäre schon ärgerlich. Und er könnte den Krieg ja doch nicht aufhalten. Und dann hat er mich noch gefragt, ob er sich vielleicht in dem Kostüm mal zwischen die vielen Fronten stellen und immer rufen sollte: Aufhören! Aufhören!“ Aber da käme ja sicher auch nix bei raus. Er würde da einfach nicht mit fertig. Der einzige Trost wäre, sagt er, daß es ja wohl den meisten so ginge. Bis auf ein paar, die sowieso immer alles besser wüßten. Obwohl der Krieg noch so weit weg wäre, hat er zu mir gesagt, könnte er morgen schon um die Ecke kommen. Und dann wäre jeder Tag Aschermittwoch.




© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Es kommt immer was dazwischen" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung