Daniel Spoerri zum 80. Geburtstag

„Fallenbilder“, „Prillwitzer Idole“ und anderes im Arp Museum Rolandseck

von Rainer K. Wick

Marstaucher, 2008 a.d. Serie:
Prillwitzer Idole - Foto © Rainer
K. Wick
Daniel Spoerri, einem der Großen des
Nouveau Réalisme, zum 80. Geburtstag

„Fallenbilder“, „Prillwitzer Idole“ und anderes
im Arp Museum Rolandseck
 
 
Längst schon ist die Künstleravantgarde der ersten zwei Nachkriegsjahrzehnte in die Jahre gekommen, oftmals leben ihre Protagonisten nicht mehr. Dies gilt auch für die meisten Mitglieder der französischen Gruppe der Nouveau Réalistes, die 1960 gegründet wurde und der es nach dem Diktat der gegenstandslosen Kunst, in Frankreich insbesondere in ihrer Erscheinungsform als Tachismus, um die Wiederkehr der Wirklichkeit (was das im Einzelfall auch immer bedeuten mochte) in der Kunst zu tun war: Arman, César, François Dufrêne, Raymond Hains, Yves Klein, Niki de Saint Phalle, Jean Tinguely. Zu den letzten noch lebenden Gründungsmitgliedern des Nouveau Réalisme gehört der aus Rumänien stammende Schweizer Künstler Daniel Spoerri, der im März 2010 seinen 80. Geburtstag feierte. Ihm, dem Erfinder der sog. Fallenbilder, dem Herausgeber einer Edition für multiplizierte Kunst (Edition MAT), dem Begründer der Eat Art, dem Schöpfer skurriler Objektplastiken und dem passionierten Flohmarktsammler widmet das Arp Museum in Rolandseck jetzt eine große Schau, die allerdings nicht im eigentlichen Sinne als umfassende Retrospektive bezeichnet werden kann, da sie sich auf einige ausgewählte Facetten seiner Künstlerexistenz konzentriert.
 
Fallenbilder
 
Seinen unverrückbaren Platz in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts nimmt das Multitalent Spoerri, der vor seiner Karriere als bildender Künstler Tänzer und Choreograph war, mit den tableaux pièges, den Fallenbildern, ein. Es handelt sich um moderne Interpretationen einer traditionsreichen Bildgattung, nämlich der des Stillebens. Der Künstler selbst gibt folgende Definition: „In ordentlichen oder unordentlichen Situationen zufällig gefundene Gegenstände werden, genau dort, wo sie sich befinden, auf ihrer Unterlage (je nach Zufall – Tisch, Stuhl, Schachtel u.a.m.) befestigt. Verändert wird nur ihre Lage im Verhältnis zum Betrachter: Das Resultat wird zum Bild erklärt, Horizontales wird Vertikales. Beispiel: Die Reste eines Frühstücks werden auf dem Tisch befestigt und mit dem Tisch an der Wand aufgehängt.“ Entscheidend ist, daß es sich nicht um eine Abbildung von etwas handelt, wie im klassischen gemalten Stilleben, sondern um „stillgestelltes Leben“ im Sinne einer gleichsam eingefrorenen Handlung, von der die Objekte in ihrer dinglichen Präsenz selbst Zeugnis ablegen.


Fallenbild, Sevilla-Series No. 16, 1991 - Foto © Rainer K. Wick

Diese Objekte werden nicht „künstlerisch“ arrangiert oder inszeniert. Vielmehr ist ihre Anordnung das Resultat eines Zusammenwirkens von Zufall und Notwendigkeit, von (relativer) Unbestimmtheit und Offenheit (wie sie etwa für eine gemeinsame Mahlzeit mehrerer Personen typisch ist) und dem intentionalen Zugriff des Künstlers. Ähnlich wie Cartier-Bresson für die Fotografie den „entscheidenden Augenblick“ reklamierte, so ließ Spoerri gewissermaßen die Falle zuschnappen, indem er es war, der den Zeitpunkt bestimmte, von dem an auf dem Tisch alles unverändert bleiben mußte, um die Dinge dann mit Kleber auf der Platte zu fixieren und als „Tafelbild“ aus Realien an die Wand zu heften. Teilhabe Dritter an der Entstehung des Werkes unter Einbeziehung des Zufalls,

Vier Fallenbilder , entstanden 1972 im Restaurant Spoerri,
Düsseldorf
- Foto © Rainer K. Wick
Minimierung der manuellen Tätigkeit des Künstlers, Deklaration alltäglicher Gegenstände zu Kunstobjekten – all das sind Merkmale einer avancierten ästhetischen Praxis, wie sie für die Sechziger Jahre symptomatisch wurden. Derartige Praktiken waren Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger Jahre auch die Basis der Aktivitäten in Spoerris Eat Art-Restaurant in der Düsseldorfer Altstadt („Restaurant Spoerri“ und dazugehörige „Eat Art Galerie“). Unter Mitwirkung der Restaurantbesucher entstanden hier auf blauen Tafeln mehrere hundert „Fallenbilder“, alle im einheitlichen Maß von 70 x 70 cm. Zwanzig davon sind derzeit in Rolandseck zu besichtigen.
 
Multiplizierte Kunst
 
Ausdruck des avancierten Kunstbegriffs von Daniel Spoerri war auch die 1959 gegründete Edition MAT (MAT ist die Abkürzung für „Multiplication d’Art Transformable“). „Ars multiplicata“ lautete in den Sechziger Jahren das Motto einer auf Demokratisierung des Kunstbetriebs zielenden ästhetischen Praxis, die zu einem ungeahnten, oft inflationären Grafik-Boom führte. Im Fall der Edition MAT (in Zusammenarbeit mit Hein Stünkes Kölner Galerie „Der Spiegel“) handelte sich um Kleinauflagen von je 100 Exemplaren von Werken

Daniel Spoerri erläutert am 26.08.2010 zwei Objekte von Jean Tinguely
aus seiner Edition MAT - Foto © Rainer K. Wick
zeitgenössischer Künstler, die sich von der üblichen Reproduktionsgrafik dadurch unterscheiden sollten, daß sie – wie Karl Gerstner es nannte – als „Originale in Serien“ konzipiert waren. Das maßgebliche Merkmal dieser Multiplikate sollte im Fehlen der „persönlichen Handschrift“ des Künstlers bestehen. Stattdessen sollte den Rezipienten die Möglichkeit geboten werden, an den vervielfältigten Originale Veränderungen vorzunehmen, sodaß sich „unendliche Variationsmöglichkeiten“ (Spoerri) ergeben konnten. Ein separater Raum des Museums versammelt die in Spoerris Edition erschienenen Multiplikate, etwa von Jean Arp, Man Ray, Jean Tinguely, Enrico Baj, Christo und anderen.
 
Objektmontagen
 
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die Skulptur Weißt du, schwarzt Du? aus dem Jahr 2005, die im toskanischen „Giardino di Daniel Spoerri“ beheimatet ist (siehe dazu die beiden Bildberichte, die am 31.8.2010 und am 1.9.2010 folgen werden). Mit diesem Titel greift Spoerri auf den Wortwitz eines Gedichtszyklus von Hans Arp aus den Jahren 1924 bis 1930 zurück. Zugleich knüpft er an seine

Weißt du, schwarzt du?, 2005, Bronze,
Eisen (Giardino di Daniel Spoerri) -
Foto © Rainer K. Wick
„Wortfallen“ aus den Sechziger Jahren – Versuchen einer Visualisierung von Sprichwörtern und Redensarten – an. Die Skulptur zeigt auf der Achse eines rostigen Räderwerks links eine weibliche Sitzfigur weißer Hautfarbe, rechts die Plastik einer stehenden Farbigen. Die Tatsache, daß Spoerri die Köpfe der beiden Figuren vertauscht hat, verweist darauf, daß im Zeitalter der Globalisierung ethnische und kulturelle Durchdringungen mehr denn je zur Normalität geworden sind.
Ein anderes großartiges Beispiel für Spoerris Objektmontagen ist die Arbeit Tribulum von 2008: ein alter, mit Feuersteinen besetzter Dreschschlitten (= lat. tribulum) wurde von dem Künstler vertikal auf eine Dreiradkonstruktion montiert und mit gelben Gummistiefeln, einer Zweihandsäge und dem Schädel eines Auerochsen in ein kurioses Fabelwesen verwandelt.
Einen breiten Raum nimmt in der Ausstellung die neuere Werkgruppe der Prillwitzer Idole ein. Im Unterschied zu den frühen Fallenbildern bleibt bei diesen in Bronze gegossenen Objektmontagen nichts dem Zufall überlassen, sondern alles ist genau kalkuliert und gestalterisch durchgearbeitet. Angeregt wurde Spoerri zu diesem Werkkomplex durch ein altes Buch aus dem Jahr 1771 mit dem Titel „Gottesdienstliche Alterthümer der Obotriten“, das er schon vor mehr als dreißig Jahren in einem Kölner Antiquariat aufgestöbert hatte. Darin fanden sich grafische Darstellungen von mit Runen beschrifteten, skurrilen, fast surreal anmutenden Bronzefiguren, die man für slawische Götzenbilder hielt und angeblich einem Bodenfund in Prillwitz in Mecklenburg entstammten – daher auch der Name „Prillwitzer Idole“. Tatsächlich handelte es sich, wie seit Mitte des 19. Jahrhunderts feststeht, um Fälschungen, die Spoerri aber dazu inspirierten, im Falschen das Richtige zu suchen und zu finden. So schuf er – kreativ das für die Kunst des 20. Jahrhunderts so überaus produktive „Prinzip Collage“ nutzend ­– mit seinen „Prillwitzer Idolen“ moderne Interpretationen der „gottesdienstlichen Altertümer“, nämlich menschlich-tierische Fabelwesen, die „zusammengesetzt aus Versatzstücken der Abfallgesellschaft“ als „Idole der Neuzeit“ (FAZ vom 31.12.2005) figurieren. Zu ihren Besonderheiten gehört, daß Spoerri die Gußkanäle nicht wie üblich entfernt hat, sondern stehen ließ, sodaß die Figuren wie in Käfige eingesperrt erscheinen und auf den Betrachter nicht selten einen ausgesprochen beklemmenden Eindruck machen.

Tribulum, 2008- Foto © Rainer K. Wick
Abgesehen von der alles entscheidenden schöpferischen Idee ist die Realisation derartiger Skulpturen maßgeblich davon abhängig, sich spielerisch aus einem Arsenal geeigneter Fundstücke (objets trouvés) bedienen zu können – eines Arsenals, das das Resultat einer lebenslangen intensiven Sammeltätigkeit ist. Insofern ist es nur naheliegend, daß eine Facette der Ausstellung in Rolandseck Spoerri als Sammler gewidmet ist. Gezeigt werden Kultgegenstände aus Schwarzafrika, die das Interesse des Künstlers an den sog. Stammeskulturen und ihren magischen Ritualen belegen, sowie eine Kollektion von Thora-Zeigestöcken und von ungewöhnlich gestalteten Spazierstöcken, die Spoerri als passionierten „Archäologen der Flohmärkte“ ausweisen.
 
 
Daniel Spoerri. Weißt Du, schwarzt Du?
 
27. August 2010 bis 9. Januar 2011
Arp Museum Rolandseck, 53424 Remagen
http://www.arpmuseum.org/

Das schön gestaltete Katalogbuch ist im Kerber Verlag, Bielefeld, erschienen; 160 Seiten mit mehreren Textbeiträgen, Farbabbildungen und Klapptafeln; € 28,00 - www.kerberverlag.com
 
Dienstag, 31. August 2010, 19 Uhr
Bildvortrag mit Barbara Räderscheidt
Vizepräsidentin der Spoerri-Stiftung, zum toskanischen Skulpturengarten „Il Giardino di Daniel Spoerri“, Eintritt frei
(siehe dazu in den „Musenblättern“ auch die Bildberichte von Rainer K. Wick am 31.8. und 1.9.2010)
 
Freitag, 12. November 2010, 19 Uhr
Daniel Spoerri gibt eines seiner legendären Essen im Festsaal des Bahnhofs Rolandseck
Anmeldung: Tel. 02228–94 25 27 oder vongumppenberg@arpmuseum.org
Kosten: 100 Euro p. P.
 
Alle Fotos © Rainer K. Wick - Redaktion: Frank Becker