Puzzle über Plagiate

Michael Zeller - "Falschspieler"

von Martin Hagemeyer
Puzzle über Plagiate
Michael Zellers Roman "Falschspieler"
 
„Braucht man mittelmäßigen Versen nur einen attraktiven Autor anzudichten, um Auflagenrekorde zu erzielen? Sieht so das moderne Verlagswesen aus?“ So heißt es im Klappentext des Romans „Falschspieler“ von Michael Zeller. Weiter liest man hier, das vorliegende Werk sei an den authentischen Betrugsfall Forestier angelehnt: Im Jahr 1952 war im renommierten Eugen Diederichs Verlag ein Lyrikband unter dem Namen dieses Autors erschienen, vorgestellt als aus dem Elsass stammender Weltkriegsteilnehmer auf deutscher Seite, den es schließlich als Teil der Fremdenlegion nach Indochina verschlagen habe – am Kriegsschauplatz habe er die Verse notdürftig niedergeschrieben. Das Buch wurde ein großer Erfolg und erhielt auch von der Literaturkritik viel Lob. 1955 kam heraus: Forestier gibt es nicht. Ein Skandal. Verfasser der Gedichte war Karl Emerich Krämer, seines Zeichens Herstellungsleiter des Diederichs Verlags, der auf die geschickte Idee verfallen war, sie durch die Vorschaltung einer interessanten Autorenbiografie zugkräftiger zu machen. Der SPIEGEL erklärte damals den Erfolg der Verse mit dem Identifikationspotenzial des angeblichen Autors: „[Die deutsche Nachkriegsjugend] konnte in Forestier ihre eigene Begeisterung und ihre eigene Enttäuschung wiederfinden.“
 
Dies ist die Geschichte des historischen Falls Forestier. Michael Zellers Roman „Falschspieler“ von 2008 nun ist zwar in der Tat an diesen Fall angelehnt – sein Thema ist trotzdem ein anderes.
Im Februar 2010 gab es einen weiteren Literaturskandal – es ging um den Roman „Axolotl Roadkill“ von Helene Hegemann, der Fremdpassagen eines Bloggers enthielt. Der Fall ist hier nur deshalb erwähnenswert, weil er gerade das Phänomen betrifft, das Zeller zum Hauptaspekt seines „Falschspielers“ gemacht hat: das Plagiat. Zwar gibt es auch in seinem Roman einen angeblichen Autor mit ähnlichen Lebensdaten wie „Forestier“, er nennt sich Demoulin, und seinen Erfinder, der frecherweise Zurmühlen heißt. Aber viel wichtiger ist bei Zeller die Tatsache, daß sein Falschspieler die Lyrik eines ahnungslosen Dritten als Werk jenes Demoulin deklariert. Dieser junge Mann, Elmar Kiesling, ist ein glühender Bewunderer des schriftstellernden Zurmühlen und sendet diesem seine Verse mit der Bitte um eine ehrliche Beurteilung zu – aus Toronto, wohin er sich vor seinen Kriegserinnerungen geflüchtet hat. Der Betrug im „Falschspieler“ besteht also weniger in der Fingierung der Autorenbiografie als vielmehr im schlichten Diebstahl fremden geistigen Eigentums. Und eigentliches Thema des Romans ist daher die traurige Geschichte des Elmar Kiesling, der von seiner Vergangenheit nicht loskommt und dessen Vertrauen dann von Zurmühlen böse mißbraucht wird.
 
Diese Geschichte ist höchst ungewöhnlich erzählt: Vier Texte von vier verschiedenen Ich-Erzählern werden kommentarlos aneinandergereiht – ein Romanbeginn, ein Stoß Briefe, ein gelehrter Bericht. An vierter Stelle steht die Schilderung des Verlegers Marc Geldner, der auf Tagebuchaufzeichnungen Kieslings stößt; dieser ist inzwischen weitergeflohen – als Einsiedler in die kanadischen Wälder. Ein gefundenes Fressen für den selbst schreibenden Verleger: Kieslings Leben wird kurzerhand als Plot eines Romans ausgeschlachtet, der verbitterte Dichter ein zweites Mal zum Opfer eines Falschspielers.
Michael Zeller geht also mit dem Fall Forestier sehr frei um: Dem erfundenen Dichter gesellt er einen geprellten lebendigen hinzu, aus einem geschäftstüchtigen Verleger werden zwei. Andererseits legt er den fiktiven Figuren wörtliche Realzitate in den Mund, so den bezeugten Ausspruch von Eugen Diederichs über die Relevanz von Forestiers Nicht-Existenz: „Der Ruhm einer solchen Leistung ist nicht an das Zufällige des Persönlichen gebunden.“ Durch all dies gerät allerdings das angekündigte Thema aus dem Blick. „Falschspieler“ ist kein Roman über einen autorenfixierten, oberflächlichen Literaturbetrieb geworden. Dafür gibt es aber eine tragische Künstlergeschichte, wie ein Puzzlespiel konstruiert und in ganz unterschiedlichen, auch witzigen Tonfällen erzählt.
 
Man ist versucht zu sagen: Zeller bedient sich nach Gutdünken aus einer realen Vorlage, eignet sich an, was ihm paßt. Probehalber sei einmal der Autor mit den diversen Fälschern in eine Reihe gestellt: Krämer, Zurmühlen, Geldner… Zeller? Diese Respektlosigkeit fordert der in Wuppertal lebende Schriftsteller übrigens selbst heraus: Ursprünglich erschien „Falschspieler“ nicht unter seinem Namen, sondern dem einer „Jutta Roth“ – nebst bewegter Biografie; versteckt unter dem aktuellen Einband findet sich bis heute ein weiterer mit dem falschen Autorinnennamen. Daß Zeller in diese zweifelhafte Gesellschaft keinesfalls gehört, erklärt sich mit dem einfachen Grund, daß „Falschspieler“ vom „Original“ der Forestier-Geschichte eklatant abweicht und überhaupt erst ein Kunstwerk daraus macht. Vielleicht ist das aber auch die vernünftigste Haltung in der Hegemann-Debatte: Genau dann, wenn in der Literatur unter Rückgriff auf Fremdes etwas ganz Eigenes entsteht, ist es kein falsches Spiel.
 
Michael Zeller: „Falschspieler“
© 2008 ars vivendi verlag GmbH & Co. KG, Cadolzburg
288 Seiten, Hardcover
ISBN: 978-3-89716-306-5
€ 17,90 (D)