Flügellahme Möwe

Amelie Niermeyer inszeniert in Düsseldorf Tschechow

von Andreas Rehnolt

Tschechows "Möwe" gerät zum Spielzeitauftakt
in Düsseldorf extrem schwerfällig
 
Inszenierung von Amelie Niermeyer in der neuen Spielstätte "Central"
bleibt blutleer und träge
 

 Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und eine ausgestopfte Möwe auf der Bühne noch lange keine gelungene Tschechow-Inszenierung. Das mußten die Besucher der Inszenierung von Amelie Niermeyer am 18. September im Düsseldorfer Schauspielhaus erfahren. Was die Generalintendantin zum Auftakt ihrer allerletzten Spielzeit in der neuen Spielstätte "Central" zu Wege brachte, blieb über viel zu lange drei Stunden zumeist blutleer und träge. Da nutzt auch nicht Maria Schrader als exaltierte, selbstbewußte Arkadina, die auf die Dauer auch nur auf die Nerven geht.
 
Theaterinszenierung während einer Theaterinszenierung. Das muß im Grunde auch schief gehen. Wenn Ilja Neukirchner als etwas zu wenig ungestümer Kostja die Mutter ab und an in den Arm nimmt, so bleibt doch vor allem das von Langeweile geprägte Verhalten der Mutter im Gedächtnis. Langeweile erzeugt im Übrigen auch das Bühnenbild. Ein sich im Verlauf der stundenlangen Inszenierung manchmal drehender, von Blättern überzogener Steg, der in den imaginären See sticht. Manchmal immerhin fallen Blätter vom Bühnen-Himmel.
 
Was hat es für einen Sinn, die öde Situation der Bewohner und Gäste des russischen Landguts 1:1 zu zeigen. Worttreue, aber ohne eigene Handschrift, so dümpelt diese "Möwe" schon bevor sie von Kostja abgeschossen wird, leblos neben dem Steg. Claudia Hübbecker ist als feucht-fröhliche und von ihrer Zweckehe mit dem ätzend-anbiedernden Lehrer Medwedenko schon vor dem Vollzug 100-prozentig enttäuschte Mascha die sicher überzeugendste Schauspielerin dieses langen Abends. Wie sie lallend besoffen und fast weise ihre eigenen Situation auf den Punkt bringt, macht einen grausen.
 
Das Freiheitslied der Möwe, von Kostja schon gleich zu Beginn mit einem Schuß zum Schweigen gebracht, vermag in der Version von Amelie Niermeyer niemanden so recht zu packen. Ein Lichtblick ist sicher Fritz Schediwy als hinreißender Pensionär Sorin. Der "genießt" die in Gemeinsamkeit ertragene Langeweile und ist vielleicht der einzig wirklich Ehrliche in dieser Gesellschaft der Heuchler, Schmeichler und Leid-Suchenden.
 
Während Tschechow sein Stück selbst als "Komödie" bezeichnet hat, geht den Akteuren der Düsseldorfer "Möwe" bis auf Sorin und Mascha alles komödiantische ab. Langeweile wird in dieser Inszenierung langweilig dargeboten. Dabei kann man den Schauspielern nichts vorwerfen. Die meisten von ihnen überzeugen. Wie meinte doch eine Besucherin am Premierenabend so treffend: "Texttreu, aber flügellahm" kommt diese 1896 in Sankt Petersburg uraufgeführte "Möwe" daher. 
 
Nächste Aufführungen am 1., 2. und 3. Oktober.