Ein begnadeter Kammermusik-Vormittag mit dem Brendel Quartett

2. Profile-Konzert Duisburg

von Peter Bilsing
2. Profile-Konzert Duisburg
 
Ein begnadeter Kammermusik-Vormittag
 
26.9.2010 , Salon Theater Duisburg
 
 
Brendel Quartett
 
Christiane Schwarz, Brigit Schnepper, Veaceslav Romaliski, Friedmann Dreßler
& Laszlo Kerekes (Fagott), Christian Kiefer (Gitarre), Wolfram Boelzle (Sprecher)

Programm:
 
Crisantemi – Elegie für Streichquartett (Puccini)
Neue Volkslieder – für Fagott, Gitarre und Streichtrio (Henze)
 
Quartett für Fagott, Violine, Viola & Violoncello – UA (Dreßler)
Minimax – Repertorium für Militärmusik (Hindemith)
 
(mit Texten von Ingeborg Bachmann)

Vorbemerkung: Letztes Jahr im Sommer gab es im Wiener Konzertsaal ein Kammerkonzert. Der weltberühmte Klaviervirtuose Alfred Brendel brachte in einer Uraufführung seine neueste Komposition den von überall her angereisten Fachleuten zu Gehör. Nach 15 Minuten, gerade an der Stelle des feinsten Pianissimo, tönt über die Lautsprecher, welche eigentlich nur zu Vorträgen oder bei Feueralarm aktiv geschaltet sein dürfen, laute Partymusik. Der sichtbar fassungslose und vollkommen geschockte Klaviervirtuose greift sich ans Herz und stürzt zu Boden. Nur ein aus der ersten Reihe aufspringender Notarzt rettet ihm das Leben durch sofort einsetzende Herzmassage. „Das war ein Angriff auf mein Leben!“ wird Brendel später sagen. Diesen ungeheuerlichen Vorfall fanden Sie natürlich nicht in der Presse; ich werde Ihnen sagen warum:
 
Weil alles frei erfunden ist!
 
Na, das haben Sie sich sicherlich auch gleich gedacht, oder? Natürlich! So etwas kann doch überhaupt nicht passieren – logo, das würde kein kleiner Techniker wagen, kein Hausinspizient tolerieren. Was für ein undenkbarer Unsinn, Herr Kritiker Bilsing! So was gibt es nicht!
 
Ja!? Sind Sie sicher?
 
Im 2. Profile-Konzert am Sonntag, dem 26.9. gegen 12.00 Uhr, im hehren Kammermusiksalon des Theaters Duisburg, auch Spielstätte der Deutschen Oper am Rhein, ist es passiert. Gott-sei-Dank bekam der Komponist Friedmann Dreßler bei der solchermaßen gestörten UA seines wirklich sensationellen „Quartetts“ keinen Herzkasper, und auch sonst nahm außer dem geschockten Publikum und den Begleitmusikern niemand körperlichen Schaden. Was aber so eine „Schweinerei“ in der Seele des Künstlers anrichtet, werden wir kaum wahrnehmen. Nun aber zur Kritik:
 
Erst einmal ist die wirklich originelle Zusammenstellung zu loben, die Christiane Schwarz mit kurzweiligen Texten von Ingeborg Bachmann zur Musik in einer perfekten Ablaufdramaturgie zusammenstellte. Als Sprecher hatte man einen wahren Meister des Wortes und der brillanten Deklamation gewonnen: den einmaligen Wolfram Boelzle. Wer Boelzle und seinen phantasievollen Umgang mit dem Kulturgut Sprache je erlebt hat, wird wissen, was ich meine. So wie der Meistergeiger einer Stradivari feinste Klänge entlockt, spielt und zelebriert Boelzle Sprache; in Verbindung mit den feinsinnigen, zur Musik passenden Bachmann-Texten ein echter Genuß. Ich könnte diesem Mann stundenlang zuhören. Ausnahmsweise wurde auch die Zwischensatz-Unterbrechung, eigentlich ein Frevel, stimmig und sinnvoll. Wenn man es so gekonnt plaziert, steigert es die Wirkung der Musik ungemein. Ein ganz großes „Bravo“ für diesen Sprecher. Ich wünschte mir, daß möglichst viele unserer Schauspieler sich hier die sprichwörtliche Scheibe abschneiden, um zu lernen, was Sprache wirklich sein kann.
 
„Crisantemi“ heißt die „Elegie für Streichquartett (1890)“ von Giacomo Puccini aus seinen frühen Jahren als Kirchenmusiker; uraufgeführt ein Jahr nach seiner Oper „Edgar“. „Dem Gedenken von Amadeo von Savoyen, dem Grafen von Aosta gewidmet“ steht über der Partitur. Ein Stück, welches schon in den ersten Tönen die großen späteren Opernmotive und Arien erkennen läßt. „Mi chiamano Mimi…“ ist so unüberhörbar, wie die Manon-Anklänge. Ein Kleinod, auch wunderbar mit dem nötigen Rubatoschmelz und starkem Ausdruck vom Brendel-Quartett wiedergeben.
 
Daß man heuer, 2010, im großen Kulturjahr unserer Region „Kohlenpott“, praktisch alle großen Werke von Hans Werner Henze aufführt, hinterließ auch in diesem Konzert Spuren. So hatte der Maestro unter dem Titel „Neue Volkslieder und Hirtenweisen für Fagott, Gitarre und Streichtrio“ schon in den Neunzigern des letzten Jahrhunderts sieben Miniaturen zu Notenpapier gebracht. Auch für Nicht-Henze-Fans aufgrund der Kürze hörbar; wunderbar bis ins kleinste ausziselierte Porzellanfigurinen und Edelsteine.
 
Nach der Pause die UA des so rüde (siehe Vorbemerkung) gestörten „Quartetts“ des rührigen Cellisten der Duisburger Philharmoniker, Friedmann Dreßler, der u.v.a. letztes Jahr auch die großartige Montage von Wagners „Ring – ohne Worte“ eingerichtet hatte. Ein netter und äußerst sympathischer Künstler, der durch seine Bescheidenheit auffällt. Großes hat er für die Orchesterkultur, Vielfalt und auch für seine Philharmoniker-Kollegen geleistet. Es sind die Dinge, die zwar kein Geld bringen, aber musikalisches Herz, Phantasie und große Liebe zur Musik beweisen. Ob als Komponist oder Arrangeur, wenn andere “mucken“, ist Dreßler selbstlos in Sachen Musik kreativ tätig.
Selten habe ich ein Stück gehört, welches die fabelhafte Vielseitigkeit des auf den ersten Blick doch meist recht dröge wirkenden und oft allzu simpel eingesetzten Fagotts so spielerisch leicht und phantasievoll zauberhaft zelebriert. Eine fesselnde und spannende Komposition. Bravo Maestro Dreßler! Bravi für die begleitenden Musiker.
 
Ein köstlicher Spaß ist „Minimax (1923)“ von Paul Hindemith. Wie hier Militär- und Alltagsmusik in sechs weiteren Miniaturen persifliert werden, ist köstlich. Grandiose und höchst anspruchsvolle Unterhaltung. Eine Vorwegnahme des späteren Gerard Hoffnung der 60er Jahren, der auch auf schönste klassische Musik mit ebendieser karikierte. Welch perfekter Konzertausklang!
 
Was auf den ersten Blick vielleicht sperrig und abschreckend wirkte, daher die leider nur wenigen Besucher, entpuppte sich als begnadeter Vormittag der Kammermusik. Spannend unterhaltsam und auf allerhöchstem Qualitätsniveau wurde musiziert. Schön, wenn man im Alltagsleben der Konzert- und Opernhäuser immer nur solch Begeisterung erweckenden engagierten Musikern begegnen würde.
 
Nachtrag: Ich würde es als eine Selbstverständlichkeit und Mindestmaß an Entschuldigung gegenüber dem großartigen Komponisten Dreßler betrachten, wenn er noch einmal die Chance bekäme, diesmal ungestört, seine wundervolle Komposition ggf. im Rahmen eines großen Sinfoniekonzertes (sozusagen als kleines Aperçu) realisieren zu dürfen. Soviel Anstand müßte zumindest bei den Verantwortlichen und Konzertleitern der Duisburger Philharmoniker vorhanden sein. Hoffentlich!

Redaktion: Frank Becker