Starkes vom sogenannten schwachen Geschlecht

Amazonen-Ausstellung in Speyer

von Rainer K. Wick

Starkes vom sogenannten schwachen Geschlecht

Amazonen-Ausstellung in Speyer
 
Wer die  neoklassizistische, 1897/98 errichtete Villa Stuck in München, Wohn- und Atelierhaus des „Malerfürsten“ Franz von Stuck, betreten will, sieht sich vor dem Eingang einer nackten,

Franz von Stuck, Amazone - 1897
speerschleudernden Reiterin aus patinierter Bronze gegenüber: einer Amazone. Angesichts der künstlerischen Revolutionen, die um 1900 stattfanden, mag ein derartiges Werk als Anachronismus erscheinen. Gleichwohl zeigt es, daß damals der Historismus noch keineswegs überwunden war, und ferner, daß diese kämpfenden Frauen mehr als zweieinhalb Jahrtausende, nachdem Homer den Mythos vom Volk der gleichermaßen schönen wie auch grausamen Amazonen in die Welt getragen hatte, immer noch die Phantasie der Künstler zu beflügeln vermochte.
 
Schriftliche Überlieferungen
 
Die literarische Kunde über Amazonen, die uns aus der griechischen und römischen Antike erreicht, ist unpräzise, oftmals sogar verworren. Homer, Herodot, Aischylos, Pausanias, Strabo, Sueton, Vergil und andere berichten über das Volk kriegerischer Frauen, die angeblich in Anatolien und am Nord- und Ostufer des Schwarzen Meeres gelebt haben sollen. In einer rein matriarchalisch verfaßten Gesellschaft sollen sie sich gelegentlich mit Männern benachbarter Stämme gepaart, aber nur die Mädchen aufgezogen haben, während die Knaben entweder zu den Vätern zurückgeschickt oder kastriert und versklavt wurden. Amazonen galten bei den Griechen als „Brustlose“, da die Frauen jedem Mädchen eine Brust ausgebrannt oder amputiert hätten, damit sie nicht bei der Ausübung ihres kriegerischen Handwerks, sprich beim Gebrauch von Pfeil und Bogen oder des Speeres, behindert würden. Legendär sind die Amazonen-Königinnen Hippolyte, die von Herakles getötet worden sein soll, Antiope, die angeblich von Theseus nach Athen entführt wurde, wo das Frauenvolk in einer Schlacht mit den Athenern eine herbe Niederlage erlitt, und Penthesileia, die gegen die Griechen in den Kampf um Troja eingegriffen habe und von Achilleus besiegt worden sei. Pointenreich wie die griechische Mythologie nun einmal ist, habe sich der griechische Held just in dem Augenblick in die Königin der Amazonen verliebt, in der er ihr den Todesstoß versetzte. – Interessant an all diesen Erzählungen ist die Tatsache, daß die Amazonen zwar als schöne und zugleich starke Frauen, als unerschrockene und tapfere Kriegerinnen geschildert werden, die den Griechen letztlich aber dennoch unterliegen.
 

Amazonen-Ausstellung in Speyer - Eingangsbereich

Besichtigung eines Mythos
 
Unweit des mächtigen Kaiserdoms zu Speyer kann der Amazonen-Mythos derzeit in den abgedunkelten, im Eingangsbereich dramatisch inszenierten Räumen des Historischen Museums besichtigt werden. Die Ausstellung beginnt mit einer Fülle von Amazonen-Darstellungen, die griechische Künstler als Vollplastiken, Reliefs oder Vasenmalereien geschaffen haben. In zahlreichen Varianten wird immer wieder der tragische Tod der Penthesilea durchdekliniert, ob als rotfiguriges Vasenbild aus klassischer Zeit, als dynamische hellenistische Figurengruppe oder als Goldrelief auf dem Deckel einer Silberbüchse aus der Zeit um 230 v. Chr. Zu erwähnen sind auch die eindrucksvollen Repliken der Amazonen von Ephesos. Ursprünglich handelte es sich um Bronzestandbilder, die um die Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. von den berühmtesten Bildhauern ihrer Zeit, darunter Phidias und Polyklet, für den dortigen Artemis-Tempel gestaltet und später von den Römern als Marmorkopien reproduziert wurden. Diese perfekt ausponderierten

Achilleus und Penthesileia, Goldreliefierter Deckel
einer Silberdose, um 230-220 v. Chr
Kontrapostfiguren betonen nicht das Ungezügelte und Kämpferische der Kriegerinnen, sondern erscheinen dadurch, daß sie von den ausführenden Künstlern strikt der Norm des Klassischen unterworfen wurden, gleichsam domestiziert.
 
Dichtung und Wahrheit
 
Zu fragen ist, ob und was es denn mit dem Mythos der Amazonen auf sich hat. Längst gilt als erwiesen, daß es einen Stamm der Amazonen nie gegeben hat. Und doch beinhaltet jeder Mythos einen Funken Wahrheit. Die Ausstellung in Speyer und das begleitende Katalogbuch bieten nicht nur ein interessantes Deutungsmuster für den Amazonen-Mythos an, sondern auch archäologische Fakten. Grabfunde aus dem nördlichen Schwarzmeerraum belegen tatsächlich die Existenz reitender Kriegerinnen bei den Skythen, einem eurasischen Nomadenvolk, das insbesondere bei der Herstellung von aufwendigem Goldschmuck stark von der klassischen Kunst Griechenlands profitiert hat, wie mehrere große Ausstellungen der vergangenen Jahre („Gold der Skythen“) gezeigt haben. Speyer zeigt nun einige dieser hochinteressanten Grabfunde, u.a. den von Semo-Awtschala  im Kaukasus. Im Jahr 1927 wurden die Überreste einer sitzend bestatteten Frau, die eine schwere Schädelverletzung erlitten hatte, entdeckt. Zu den Grabbeigaben gehörten abgesehen von zwei Armreifen, fünf Fingerringen und Keramikobjekten auch ein Bronzeschwert und eine eiserne Speerspitze. Neben der Toten fand man zudem einen Pferdeschädel. Das alles deutet darauf hin, daß es sich höchstwahrscheinlich um eine Reiterkriegerin gehandelt hat. Das Grab, das auf den Beginn des 1. Jahrtausends v. Chr. datiert wird und in der Ausstellung mit der das Schwert auf den Knien haltenden Sitzfigur anschaulich rekonstruiert wurde, kann als Hinweis darauf dienen, daß außerhalb des griechischen Kulturkreises Frauen durchaus das Kriegshandwerk praktizierten. So ermöglichen seit geraumer Zeit archäologische Fakten eine spannende Annäherung an den historischen Kern vom Mythos der Amazonen.
Für die Griechen waren die Skythen – mit denen schon Herodot die Amazonen in Verbindung gebracht hat – Barbaren; sie galt es, wie alles Fremde, abzuwehren, unter Kontrolle zu halten. Die Amazonen repräsentierten in der Vorstellungswelt der Griechen das Fremde par excellence. Als Frauen, die mit Waffen hantierten, stellten sie im alten Griechenland auf eklatante Weise die festgefügte Rollendifferenzierung zwischen Mann und Frau und damit die etablierte soziale Ordnung in Frage. Sie zu besiegen, wie die mythischen Helden Herakles und Achilleus es getan hatten, und dies immer wieder bildsprachlich zu bekräftigen, diente der Vergewisserung des griechischen „way of life“ und der Legitimation der herrschenden Verhältnisse.


Kopien der Amazonen von Ephesus, Mitte 5. Jh. v. Chr.

Fortschreibung des Mythos
 
Daß der Amazonen-Mythos mit dem Ende der antiken Welt nicht von der Bildfläche verschwand, möchte die Ausstellung in ihrem letzten Teil verdeutlichen. Thematisiert werden „starke Frauen“ des alten Testaments wie Judith, des Mittelalters wie Jeanne d’Arc oder des Barockzeitalters wie Maria de Medici, wobei natürlich kritisch zu fragen ist, ob sie umstandslos als Amazonen bezeichnet werden können. Und in der neueren Kunstgeschichte war es nicht nur der eingangs erwähnte Franz von Stuck, den die Amazone als Sujet faszinierte, sondern der aus Speyer stammende Anselm Feuerbach, der Pfälzer Max Slevogt, der Saarländer Albert Weisgerber und viele andere haben sich dieses Themas, das seinen besonderen Reiz aus der eigentümlichen Spannung zwischen Kampf und Erotik bezieht, angenommen.
 
 
Amazonen. Geheimnisvolle Kriegerinnen, Historisches Museum der Pfalz Speyer
bis 13. Februar 2011, Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr
Katalogbuch, 307 Seiten mit zahlreichen, meist farbigen Abbildungen;
in der Ausstellung EUR 24,95, im Buchhandel EUR 29,80
 
Redaktion: Frank Becker