Götterdämmerung für Wagner-Hasser
von Wagner-Hassern Barrie Kosky kocht
sein persönliches Süppchen Dritter Tag des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen” von Richard Wagner (mit Übertitelung) Premiere Essen, 10. Oktober 2010
„Immer wenn ich Wagner höre, habe ich das Gefühl,
ich müßte sofort in Polen einmarschieren.“
(Woody Allen)
Musikalische Leitung: Stefan Soltesz – Inszenierung: Barrie Kosky – Bühne: Klaus Grünberg – Kostüme: Klaus Bruns - Choreinstudierung: Alexander Eberle – Fotos: Matthias Jung © / www.jungfoto.de
Besetzung: Siegfried: Jeffrey Dowd – Gunther: Heiko Trinsinger – Alberich: Günter Kiefer – Hagen: Attila Jun – Brünnhilde: Caroline Whisnant – Gutrune: Francisca Devos – Waltraute: Ieva Prudnikovaite - 1. Norn: Ildiko Szönyi - 2. Norn: Ieva Prudnikovaite - 3. Norn: Francisca Devos – Woglinde: Katherina Müller – Wellgunde: Marie-Helen Joël – Floßhilde: Ieva Prudnikovaite
Soltesz vom Teufel geritten Aus eins mach zwei. Regisseur Barrie Kosky ist clever; eine „Götterdämmerung“ gleich für zwei Häuser. Seine Sonntag in Essen vorgestellte Version wird wohl auch den Abschluß seines Hannoveraner Rings bilden, insbesondere da er konkret auf Teile seiner bisherigen Ring-Werke aus Hannover eingeht - was natürlich kaum jemand im Essener Publikum nachvollziehen kann, der nicht in Sachen Wagner um die Welt reist. Das mußte so kommen und war voraussehbar. So stellt sich nun nach Abschluß des Essener Rings die schon vor Monaten gestellte Frage erneut: Welcher Teufel Intendant und GMD Stefan Soltesz geritten haben mag, ein Opernwerk auf vier Regisseure zu verteilen? Nach dem Debakel vor Jahren in Stuttgart und Versuchen anderswo ist diese abstruse Idee immer wieder gescheitet. Und mit Dietrich Hilsdorf hätte man immerhin einen guten Hausregisseur gehabt.
“Der Ring des Nibelungen“ ist eine Oper, besser ein Musikdrama, mit einem Vorspiel und drei Teilen (Erster bis dritter Tag). Eine gigantisches Opus magnum, eine Tetralogie von rund 16 Stunden Dauer - je nach Dirigent; Stefan Soltesz schafft es 15 Stunden, wozu Reginald Goodall gute 17 brauchte (Thielemann dürfte ähnlich liegen). So kann man sagen, daß der Ring in Essen zwar gescheitert ist, aber immerhin formal vollendet wurde. Große Abende gab es keinen richtigen, aber immerhin gestaltete sich die „Walküre“ von Hilsdorf als gut durchdachtes spannendes Personen-, sprich Musiktheater. Wahrscheinlich war er auch der einzige der vier Regisseure, der Wagner nicht haßte.
Kein Klischee ausgelassen
Wir erinnern uns an Tilmann Knabes „Rheingold“ – Proletarier Wotan bumst sich mit Kästen voller Bier durch die Rheintöchter und Nibelungenwelt, das Rheingold ein Goldener Puff - während sich die leder-schwulen Götter Donner und Froh permanent gegenseitig ordentlich ans Gemächt gehen. Oper für Verklemmte oder Pseudovoyeure. Die im nächsten Jahr folgende „Walküre“ geriet zu einem Alte Frau, nackt, betrübt
Vielleicht eine etwas zu barsche Reaktion für die wenigen billigen Regie-Provokationen. Denn letzten Endes entpuppte sich die Sache eigentlich nur als ein banales Sammelsurium belangloser Einfälle von Nel über Konwitschny, déja vu und neu aufgekocht; einfach nur ätzend langweilig. Heerscharen von Bühnenarbeitern – ein teurer Abend! – müssen permanent präsent sein und offen sichtbare Ordnung schaffen. Ja Leute: Wir sind auf dem Theater! Nix Illusionszauber! Nix Weltenbrand! Feuerlos enttäuschend endet diese Götterdämmerung. Und so war es eigentlich nur logisch, daß im Finale alle nochmal versammelten Akteure die komplett leergeräumte Bühne verlassen und alles (mal wieder) bis auf die Brandmauern entblättert wird. Vorne an der Rampe steht eine nackte alte Frau (Erda?) im Lichtkegel und schaut betrübt ins Publikum.
Doch lassen wir die Geschichte chronologisch Revue passieren: Licht aus – Licht an – es passiert nichts. Der Vorhang ist geschlossen. Keine Musik. Langsam, quasi in Zeitlupe schiebt eine alte nackte Frau einen großen Pappkarton (Nr.1) in Richtung Bühnenmitte. Mühsam nestelt sie drei Plastikstühle aus der Verpackung, auf welche sich drei Frauen in Alltagskleidung setzen. Kommode Erinnerung an Schröters Panzerkreuzer-Tristan; nur dort dauerte das lautlose Vorspiel glatte zehn Minuten. Die Musik setzt ein: Mit den Erwachensakkorden läuft ein Trick-Film auf einer Leinwand ab, während unten die mittlerweile identifizierten Nornen sich die Zelluloid-Streifen durch die Finger gleiten lassen. Der Trick-Film könnte unter dem Motto „Eßt mehr Brokkoli!“ stehen, denn er zitiert in ausgesprochen läppischen und dümmlichen Comicbildern eben die Vorgeschichte, welche die Nornen gerade erzählen. Wobei nicht die Weltesche, sonder ein riesiger Brokkoli-Strauch permanent zwischen simplen Comicfiguren gezeigt wird, bis zum Zerfall. Wenig unterhaltsam wirkt das auf mich so, als wolle jemand dem alten Richie permanent eine lange Nase zeigen. Ziemlich kindischer Blödsinn! Sigi, noch zugeknallt von gestern
Wenn sich der Vorhang öffnet, sehen wir eine hochgestellte Billigmansarde, vermutlich Plattenbau,
Kein Koks, aber ein Quickie für Gutrune
Die Weltwirtschaftskrise hat auch den Gibichungen nur eine karge Turmmansarde inmitten leerer Bühne übrig gelassen; erinnert ein wenig an Koskies Kastenwohnung in seiner Essener Tristan-Produktion. Die vier Türen allerdings lassen wunderbar kindische Fangspiele zu, welchen sich die ebenfalls debil erscheinenden Gunther und Gudrun (anscheinend Inzuchtopfer) lautstark und freudig hingeben. Sie sind überhaupt fröhliche Menschen, dieses Geschwisterpaar, wie Siegfried kindischen Gemüts, lacht man über jeden nichtigen Anlaß laut prustend los, richtiger Koks ist allerdings nirgends zu sehen. So versteht man sich natürlich bald mit Sigi blendend – ein und dasselbe geistige Niveau. Er wird wie der dritte Marx-Brother aufgenommen. Kaum den Zaubertrank intus bespringt er Gutrune, deren Quickie-Orgasmus noch längere Zeit nachwirkt. Der Tarnhelm ist eine Glitzermelone; wer sie trägt, sieht fatalerweise immer irgendwie aus wie Malcolm MacDowell im Film „Clockwork Orange“. Wieder daheim packt Sigi/Gunter Brünhilde in ? --- natürlich ! einen großen Pappkarton, wie wir ihn am Anfang auch sahen; Pappkarton Nummer zwei. Selbstverständlich wird er professionell mit
Rabbi Jacob Alberich und die Büchse der Pandora
2. Akt. Was erblicken wir, wenn sich der Vorhang öffnet? Sie werden es kaum raten. Richtig: Pappkarton Nummer Drei. Aus ihm schält sich Alberich in Verkleidung von Rabbi Jacob heraus. Wie eine schleimige Schnecke mit aufgebundenem Buckel kriecht er so um seinen Sohn Hagen herum. Danach wird er von Hagen, komplett entkleidet, wieder im Pappkarton verpackt und ordentlich mit Tesafilm… Na ja Sie wissen schon. Gunter ruft seine wilde Horde zusammen, die sich (dreimal dürfen Sie raten) wo wohl? - natürlich in einem riesigen haushohen Pappkarton versteckt hat. Wie Würmer und Maden in einem Fäkalienhaufen bewegt sich die Schlägertruppe in ihrem Würfel. Später, zum Aktschluß, wird er diese Büchse der Pandora, in die sich dann auch Gunter/Brünhilde und Sigi/Gutrune begeben, wieder schließen. Ein tolles, das aber leider einzige wirklich überzeugende Bild. Huch! - Blas-Musik
Der dritte Akt wird zum kompletten Ärgernis. Hier treffen sich die Lemuren aus Koskies Hannoveraner Ring zum Stelldichein. Und wo kommen sie her? Alle entspringen Pappkarton Nummer vier. Die befederten Tanzgirls, das lebende Girlie-Rheingold, eine Siegfried-Kopie im Bärenfell, Supermann, blutende Helden-Lemuren, ein Chorgirl mit Bärenmaske und der unvermeidliche Rabbi Jakob alias Alberich ist auch dabei. Zur Krönung (Siehe Bild 2!) – Achtung Provokation! - bläst das Mädel mit dem Bärenkopf dem blutigen Helden einen, besteigt Rabbi Jakob Alberich den knienden Bärenfell-Siegfried und bekommt es das Rheingold Girlie vom zweiten blutigen Helden ebenfalls von hinten besorgt. Dabei hält Supermann des Erstgeblasenen Hand, während der wahre Siegfried – heuer in mittelalterlicher Ritterrüstung – sein Schwert als Penisverlängerung evoziert; bejubelt von den Rheintöchtern. Juppiheidi – was für eine schöne Orgie!
Einfallslose Leere
Der Rest ist schnell erzählt, denn es passiert nichts wesentliches mehr, nachdem Siegfrieds Leiche wo wohl verpackt wird? Richtig. In Pappkarton Nummer Fünf. Außer daß sich die Bühne nun ständig auf und ab bewegt, bzw. sich die riesige Decke bedrohlich senkt. Ein dezenter Hinweis für Unbedarfte auf die technischen Spielmöglichkeiten des Zauberkastens Opernhaus. Statt Weltenbrand komplett leere Bühne, nicht einmal der Ansatz eines Lichteffektes; stattdessen werden wir mit der nackten alten Mutter Erda, vorne an der Rampe, direkt am Souffleusenkasten, im finalen weißen Scheinwerferkegel, über die letzten Sekunden des Erlösungsmotives hinweggetröstet. Keine Flammen, keine Trümmer, kein Rhein – nicht einmal die ansatzweise Spur eines Neuanfangs. Kosky gibt uns erbarmungslos nichts, niente, Leere - oder Einfallslosigkeit? Wer das Vorurteil pflegt, daß es heute keine vernünftigen Wagnersänger mehr gibt, sollte nach Essen fahren. Hier wird er volle Bestätigung finden! Was soll man auch sagen, wenn Waltraute, die
Ein Bravo dem Chor - den Hörnern ein Kopfschütteln
Großartig, wie sollte es auch anders sein, der von Alexander Eberle einstudierte, mal wieder bestens disponierte Männerchor. Die Herren werden auch darstellerisch diesmal enorm gefordert – dennoch ein brillanter Klangkörper, der gerade die gemeinen hohen Töne bei „Willkommen!“ mit traumwandlerischer Sicherheit trifft. Klangkultur statt Brüllerei – mein einziges „Bravo!“ Zwar ist mir persönlich Stefan Soltesz´s immer irgendwie italienisch orientierte Wagner-Interpretion lieber als das große Thielemann-Geschmachte, aber perfekt war es gestern nicht. Zu viele Fehler und daß die Hörner das Siegfried-Motiv, wie eigentlich nur von Provinzbühnen bekannt, mehrfach derart verhauen, ist für ein Welttheater wie das Aalto völlig unüblich. Auch finde ich es stimmungsvoller, wenn vor dem Erlösungsmotiv wenigstens eine winzige Atempause eingelegt wird. Aber bei dieser Inszenierung war irgendwelche Stimmung ohnehin nie vorhanden.
Redaktion: Frank Becker
|