Plauderstunde

Über Hans Moser, Salzburg und Rindfleisch

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker

Konrad Beikircher
Plauderstunde

Über Hans Moser, Salzburg und Rindfleisch

 
Kennen Sie Hans Mosers: „Der alte Herr Kanzleirat“? - Das ist was recht Hübsches, finde ich. Das war natürlich unser allergrößter, der Hans Moser, von dem mir der Ernstl Kronreif, Hohlwegwirt in Taxach zwischen Salzburg und Hallein, eine alte k.k. Poststation und die schönste Alternative zum ganzen Salzburger Schickimicki während der Festspiele, folgendes erzählt hat: er (also der Moser Hans) war mit seiner Gemahlin jahrzehntelang in der Sommerfrische im Zimmer Nr. 5 (mehr Zimmer hat der Hohlwegwirt nicht, aber jedes ist sein Geld wert!) und Tag für Tag passierte folgendes: gegen 8 Uhr morgens kam Hans Moser, einer der begnadetsten Geizhälse aller Zeiten, in die Küche geschlurft und hat in feinster Wiener schlechter Laune, sierig eben, wie der Wiener am Morgen zu sein hat, der Frau Kronreif acht Mokkabohnen in die Hand gezählt mit der Bitte: „Geh, machens mir draus an Kaffee“. Er blieb aber neben ihr stehen, schaute zu, wie sie die acht Bohnen in die Kaffeemühle tat und sie mahlte, um das Pulver dann in die Kaffeemaschine zu tun. Mit der fertigen Schale Kaffee schlurfte er dann wieder auf das Zimmer, na ja, „was manen´S, auf was man do ois aufpassen muass: war net die erste, was sich aus gfladerte Mokkabohnen a Haus baut hätt!“. Zu einer Premiere im Theater in der Josefstadt, Sie wissen schon: das Haus mit dem Wahnsinns-Kronleuchter an der Decke, kam er zu spät. Halb Acht sollte es losgehen, Moser war nicht da, um dreiviertel Acht ging der Intendant vor den Vorhang und bat um Geduld, kurz nach acht kam der Star endlich an und entschuldigte sich mit dem Satz: „I hab die Tram verpaßt“. Auf die Idee, bei einer Premiere vielleicht mal ein Taxi zu benutzen, wäre er nie, nie gekommen!
 
Also Salzburg, Taxach bei Salzburg da waren wir grad dran. Und weil das Leben seltsame Wege geht, möchte ich Ihnen kurz von einem der Salzburger Tempel erzählen, während der Festspielzeit ein Muß!
Waren Sie mal im Schloß Aigen in Salzburg? Haben Sie da die Spezialitäten des Hauses genossen: Rindfleisch in jeder Form? Ja? Dann brauchen Sie jetzt nicht mehr weiter zu lesen, denn Sie wissen, worüber ich berichte: über das, was danach passiert. Man war im Festspielhaus oder in der Felsenreitschule, auf der Theaterinsel in Hallein oder im Landestheater. Egal. Nachher geht man ins Aigen, wenn man `s traditionell österreichisch haben will: Tafelspitz, Kruspelspitz, Rindfleisch also.
Nach dem Essen, das phantastisch ist, sitzt man noch locker beisammen, man plaudert, aber - und als ich das beobachtete, mochte ich es kaum glauben - keiner hört dem anderen richtig zu, weil jeder nur noch ein Problem hat: wie bekomme ich die Fleischfasern aus meinen Zahnlücken wieder raus? Jetzt Augen auf und einfach nur schauen, was passiert.

Da gibt es die Toilettengänger: mit verzerrtem Gesicht stehen sie auf und verschwinden in Richtung Diskretion. Dort aber stehen sie in Viererreihen vor dem Spiegel, pulen mit beiden Händen im weit aufgerissenen Mund herum, schnipsen die Reste durch die Gegend und benehmen sich überhaupt sehr mittelalterlich. Nach dieser Erleichterung kehrt der Toilettenjünger als Sieger an den Tisch zurück. Er weiß: das, worunter die noch leiden, hat er hinter sich. Nicht ohne Infamie verstrickt er sie nun in besonders anregende Gespräche, um sich an ihren Qualen weiden zu können.
Dann gibt es die Vorsorglichen. sie verfügen über einen privaten Stocherkiel im Silberetui. Feinste Gans, zugespitzt, mit Silberfassung von Cartier (der Brite gibt
Bambus den Vorzug, um zu suggerieren, er habe sich aus der Kolonialzeit immerhin noch ein Tigergebiß gerettet). So gestylt darf gestochert werden. Elegant führen sie das Gerät zwischen die geschlossenen Lippen, ein kurzes „Zuzeln“, fertig ist der Fall. Hier gehen Luxus, Design und Notwendigkeit eine kokett-dezente Verbindung ein.
Die Fingerlinge sind ebenfalls eine Gruppe für sich: mit dem Zeigefinger oder dem kleinen Finger (es soll Gourmets geben, die nur deshalb den Nagel am kleinen Finger lang tragen) wird gepult, gestochert, gebohrt und geschabt, daß es eine Freude ist. Herrlich die Beidhänder: mit der rechten Hand pulen sie, was das Zeug hält, mit der linken versuchen sie, die Mundöffnung zu verdecken. Wie verzweifelt die Augen über den Rand der linken Hand schauen! Wie unterschiedlich Zäpfchen gebaut sein können! Filmreife Klein-Dramulette, eines Bunuel würdig.
Und es gibt die Biederen:sie verlangen nach einem Zahnstocher und beweisen damit, daß sie nur zufällig in einen dieser Rindfleischtempel geraten sein können. Nachsichtig bringt man ihnen das Verlangte und die Rechnung gleich mit.
Wie angenehm ist da das Leben des VPT’s, des Vollprothesenträgers, zu deutsch: des Gebißträgers! Er ißt, was er kann, verschwindet dann im Klo, wartet dort einen unbeobachteten Augenblick ab und schwupp! Zähne raus, unters Wasser gehalten und schwupp! Zähne rein, fertig ist die Laube. Das ist Fortschritt und Eleganz. Das ist die Überlegenheit des Alters und der Erfahrung. Das ist Freiheit! Und das ist der Grund, warum insbesondere der ältere Mensch immer mehr zum Rindfleischkenner wird. So wie ich!
 
 
Feinstens grüßt
Ihr
Konrad Beikircher



© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2010
Redaktion: Frank Becker