"Das Holzschiff" (UA) in Nürnberg

Oper von Detlef Glanert - Johannes Kresnik erfüllt die Erwartungen nicht

von Alexander Hauer
Staatstheater Nürnberg

"Das Holzschiff" (UA)
Oper von Detlef Glanert

09.10.10 Premiere
 

Peter Theiler traut sich was. Zur Eröffnung seiner dritten Spielzeit vergab er den Auftrag, eine Oper für sein Haus zu schreiben an Detlef Glanert, den zur Zeit wahrscheinlich erfolgreichsten deutschen Opernkomponisten. Die Regie legte er in die Hände des Altbürgerschrecks Johannes Kresnik. Um es gleich vorweg zu nehmen, die Musik siegte auf ganzer Linie über die Regie. Glanert, Henzeschüler, läßt seinen Meereskrimi nach Hans Henny Jahnns gleichnamigen Roman aus der Trilogie „Fluß ohne Ufer“ wagnergleich in den tiefsten Bässen starten und erreicht damit sofort eine Spannung, die an diesem Abend bis zum Ende durchgehalten und sogar noch bis ins fast Unerträgliche gesteigert wird. Ein blinder Passagier schlägt sich durch die Wände der „Lais“ jenes Holzschiffs mit Planken aus

Foto © Ludwig Olah
Teak und Ebenholz, das dann nach 95 Minuten ohne Pause untergegangen sein wird. Dieser blinde Passagier ist der eigentliche Held des Stückes, Gustav, der Verlobte der Kapitänstochter, die im Laufe des Abends verschwindet und doch wieder nicht. Glanerts Trick besteht darin, sowohl Tochter als auch den Leichtmatrosen Alfred Tutein von einer Sopranistin, der genialen Heidi Elisabeth Meier singen zu lassen. Damit umschifft er auch die Klippen des Verdachts der Homosexualität, wenn Tutein und Gustav am Ende der Oper als einzige Überlebende ein neues Leben beginnen. Aber von Anfang an.

Ein Schiff verläßt den Hafen. Gustav, der Verlobte der Tochter des Kapitäns, schleicht sich als blinder Passagier mit Wissen des Kapitäns und des zwielichtigen Superkargos, an Bord. Die Besatzung weiß weder um Ladung noch um Ziel des Schiffes. Der Superkargo Lauffer stellt den Kapitän und seine Tochter Gustavs wegen zur Rede und zwingt die Mannschaft mit drakonischen Maßnahmen zur Disziplin. Als Gustav mit Elena alleine in ihre Kabine ist, entzieht er sich ihr. Lauffer erscheint, Türen öffnen sich von alleine. Gustav ist beunruhigt über die labyrinthartigen Hohlräume des Schiffes, Elena sehnt sich nach einer leidenschaftlichen Nacht. Gustav freundet sich mit dem Schiffskoch Paul Fitte an. Sie erörtern das Gerücht, an Bord seien Geheimagenten. Waldemar Strunck verbietet darauf

Foto © Ludwig Olah
Gustav, mit der Mannschaft zu reden. Elena fühlt sich von Gustav verlassen, sie vertraut sich Lauffer an, der sie in ihre Kabine trägt, ein Sturm bricht an. Nach dem überstandenen Sturm sitzt Gustav in der Küche und trinkt mit der Mannschaft. Strunck treibt die Mannschaft zur Arbeit. Gustav und Tutein verbleiben in der Küche und schließen Blutsbrüderschaft. Tutein erzählt die Geschichte von Kebad Kenya, der nicht sterben konnte, da er nie gelebt hat. Elena ist verschwunden, Lauffer hat sie als Letzter gesehen. Er gerät in den Verdacht, am Verschwinden Elenas beteiligt zu sein. Gustav und Waldemar Strunck durchsuchen das Schiff. Tutein läßt Gustav glauben, er sei schuld am Verschwinden Elenas zu sein. Auf der Suche nach ihr schlägt die Mannschaft gegen den Willen des Superkargos die verschlossenen Türen zum Frachtraum ein, doch Elena bleibt verschwunden. Man öffnet die Frachtkisten, sie sind leer, man durchschlägt Wände, Türen und Balken, plötzlich dringt Wasser ein. Das Schiff sinkt, vergeblich versucht sich die Mannschaft zu retten, Gustav und Tutein retten sich auf eine Planke, ein neues Leben beginnt.

Soweit die knapp gehaltene Handlung der Oper. Glanert gibt dem eigentlichen Hauptdarsteller, dem Meer, viel Platz. Das Meer in all seinen Geräuschen, vom sanften Gluckern, vom Wellenschlag an der Bordwand, bis hin zum erzürnten Element  reicht seine Palette der Farbtöne, mit denen er das Meer schildert. Für die szenische Schilderung stehen ihm und Kresnik das Nürnberger Ballett zur Verfügung. In sieben Interludien stellen die acht Tänzerinnen ein mehr als superbes , selbst-choreographiertes modernes Ballett auf die Bühne, das alleine schon einen eigenen Abend wert wäre. Glanert schrieb für Richard Kindley, den Schiffskoch Fitte eine wunderbare und dankbare Alterspartie, der Superkargo Nicolai Karnolski läßt mit seinem abgründigen Baß jeden Holländer als eine gutgelaunte Waldorfkindergartentante erscheinen. Kurt Schober gibt einen überzeugenden Kapitän, der sich scheinbar mühelos durch die komplizierte Partitur singt. Die Mezzosopranistin Anna Lapkovskaja in der Hosenrolle des Gustav und Heidi Elisabeth Meier als Elena/Tutein sind ein Sängerinnenpaar das keine Wünsche offen läßt. Der Chor unter Edgar Hykel war wie immer in Nürnberg stupend, eine grandiose Leistung, diesen schwierigen Text so sprachsicher und deutlich zu singen. Daß der begnadete Guido Johannes Rumstadt die Partitur aufs Vortrefflichste meisterte, überraschte nicht. Die Nürnberger Philharmoniker kamen mit der Partitur, die niemals provozierte, dafür aber stets für einen angenehmen, ausgeglichenen modernen Klang verstrahlte, der wie so häufig bei Glanert immer noch der Spätromantik verpflichtet scheint, bestens zurecht.

Johannes Kresnik erfüllte mit seiner Regie die hochgeschraubten Erwartungen nicht. Viel

Foto © Ludwig Olah
Rampentheater, wenig klare Personenführung, dafür viel Provokantes, das sich aber im Laufe seiner Tätigkeit leider abgenutzt hat. Seine Blut- und Körperflüssigkeitsorgien, die in den 70ern und 80ern stets Diskussionszündstoff waren, sind in Zeiten des Internets leider überholt. Zu sehr verläßt er sich aufs Althergebrachte. Was vor 35 Jahren noch für knallende Türen sorgte, reicht heute (leider) nur noch für ein Stirnrunzeln. Bernhard Hammers Bühnenbild, der am Ende zerstörte Schiffsrumpf und die Kostüme von Gabriele Heimann setzen markante Punkte und tragen auch zum Erfolg des Abends bei.
Abschließend möchte ich bemerken, daß am 09.10.2010 mit der Uraufführung des Holzschiffes in Nürnberg ein Stück Operngeschichte geschrieben wurde und lege jedem Opernfreund einen Besuch in der Noris nahe, denn das Nachspielen des Werk von Detlef Glanert wird aufgrund des riesigen Orchesterapparates für kleine und mittlere Häuser schier unmöglich sein. Bleibt zu hoffen, daß „Das Holzschiff“ seinen Weg auf die kleinen Silberscheiben findet. Verdient hat es diese Musik allemal.


Redaktion: Frank Becker