Deutschland hören

Deutsche Geschichte in 80 Minuten und 20 Kapiteln auf einer CD

von Frank Becker

Umschlag-Gestaltung: Roswitha Rösch
Denk ich an Deutschland...
 
Deutsche Geschichte in 80 Minuten
und 20 Kapiteln auf einer CD
 
Der Silberfuchs Verlag von Corinna Hesse und Antje Hinz hat sich in seiner beachtlichen Länder-Reihe der intelligenten Aufarbeitung von Kultur und Geschichte von bisher 17 Staatsgebieten, Völkern oder Regionen angenommen und dabei Vorbildliches geschafft: kompakt, verständlich und exemplarisch, dabei unterhaltsam zu erläutern, woher diese Länder und Menschen kommen und wie sich ihre Herkunft und Kultur erklärt. Eines der Länder-Portraits befaßt sich mit Deutschland, genauer gesagt mit den Gebieten und Völkern, aus denen das heutige Deutschland wurde: „Deutschland hören“.
 
Corinna Hesse hat die unendlich schwere Aufgabe unternommen – und gemeistert, den Bogen über 4.000 Jahre dieser Geschichte zu spannen: von der Himmelsscheibe von Nebra bis zur deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990. Es gehören Mut und enorme historische Kenntnisse dazu, diesen gewaltigen Zeitraum mit seinen epochalen politischen, religiösen und kulturellen Umwälzungen auf nur 80 Minuten zusammenzuschmelzen. In dem in Inhalt und Gestaltung mustergültig zusammengestellten Hörbuch ist das geradezu perfekt gelungen. Was würden Sie aus dem großen Kessel Buntes der deutschen Geschichte herauspicken? Corinna Hesse hat den Einstieg mit einem Kapitel über den Schmied der Himmelsscheibe von Nebra klug gewählt, der mit diesem astronomischen Kleinod in der Bronzezeit die erste uns bekannte Himmelskarte geschaffen hat. Daß die CD eben diese Himmelsscheibe auf ihrer Oberfläche zeigt, ist nicht nur originell, sondern beim Zuhören höchst informativ zu betrachten. Wir hören von Tacitus und seiner „Germania“, den Merseburger Zaubersprüchen, Karl dem Großen, dem ersten Kaiser des Hl. Römischen Reiches deutscher Nation und Walther von der Vogelweide, dem legendären Dichter am Hof Kaiser Friedrichs II.
 
Bald wird klar, daß ohne Kunst und Kultur, Schrift, Literatur und Sprache und ihre Verbreitung durch neue Druckverfahren eine Entwicklung, besonders in den revolutionären Erneuerungen des gesellschaftlichen Bewußtseins nie hätte stattfinden können. Musikalische Zwischenspiele mit Kostproben des Genies deutscher Tonkunst geben den von Rolf Becker fesselnd gelesenen Kapiteln das Salz – Bach und Beethoven, Brahms und Strauss und Antipoden wir Wagner und Hindemith. Wir erleiden mit den „Thränen des Vaterlades“ von Andreas Gryphius die Schrecken des 30-jährigen Krieges mit, erleben die große Zeit des Preußenkönigs Friedrich des Großen, sind dabei, wenn Lessing und Goethe, Schiller und Heine eine neue Literatur begründen. Die Gründung des Deutschen Reiches 1871, die Industrialisierung und wieder die Bedeutung kritischer Literaturen wie von Gerhart Hauptmann und Heinrich Mann, der Einfluß Friedrich Nietzsches und Richard Wagners einerseits, des Kommunistischen Manifests von Friedrich Engels und Karl Marx auf die Denkstrukturen andererseits des ausgehenden 19. und des alles verändernden 20. Jahrhunderts wird aufgezeigt. Paul Celans anklagende „Todesfuge“ markiert schließlich das Grauen des fatalen 3. Reichs nach seinem Ende. Wir sind in der Neuzeit angekommen. Die Teilung Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg, der gescheiterte Aufstand des 17. Juni in Ost-Berlin, die 68er Studentenrevolte, Heiner Müllers „Germania“ (sic!), Joseph Beuys und dann, 1989: „Wir sind das Volk“.
 
Nun sind wir wieder eins – und doch noch nicht. Auch hierzu hat Corinna Hesse knapp und treffend Worte gefunden. Einmal hören reicht nicht. Dazu ist auch der Genuß viel zu groß, den man aus „Deutschland hören“ zieht. Der Schauspieler und gefragte Hörbuch-Sprecher Rolf Becker, der sich in den letzten Jahren zum legitimen Erben Gert Westphals entwickelt hat, ist daran nicht ganz unschuldig.
Die oben schon erwähnte Gestaltung des Hörbuchs ist ebenfalls ein Vergnügen – haptisch durch den edlen soliden Papp-Einband, wie übrigens alle Hörbücher von Silberfuchs, graphisch durch Roswitha Rösch und informatorisch durch ein 14-seitiges eingeklebtes Begleitheft mit exemplarischen Mustern deutscher Malerei von Matthias Grünewald bis George Grosz und deutscher Lyrik von „ben zi bena“ bis zu Brechts „Buckower Elegien“ – hier übrigens der einzige, aber wirklich einzige Grund zur Kritik, hat Brecht doch in den „Elegien“ auch dem Massenmörder Stalin ein nachgerade ekelhaftes Loblied gesungen.
 
„Deutschland hören“ sollte wie „Deutsche Erfinder“ (wird demnächst hier vorgestellt) und das übrige Programm des Silberfuchs Verlags zum Pflichtprogramm für Schulfunksendungen und festen Bestandteil von öffentlichen Hörbücherein werden. Für „Deutschland hören“ und das Gesamtprogramm des Silberfuchs Verlags vergeben wir mit Überzeugung unsere Auszeichnung: den Musenkuß.
 
Weitere Informationen unter: www.silberfuchs-verlag.de