Asiatische Weltreiche - Herausforderung Europas

Jim Masselos (Hrsg.) - "Imperien Asiens - Von den alten Khmer zu den Meiji"

von Friederike Hagemeyer
Asiatische Weltreiche  - 
Herausforderung Europas

Von Friederike Hagemeyer
 
Von der Zeit der Mongolen im ausgehenden Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert hinein beschäftigen asiatische Reiche die Vorstellungskraft der Europäer; man schwankt zwischen Angst vor der Bedrohung durch die mongolischen und später die osmanischen Heere einerseits sowie Bewunderung für unvorstellbare Pracht, verfeinerte Lebensart, Erfindungen wie Papier, Porzellan, Schießpulver und Seide andererseits. Es ist ein Phantasie-Asien, das die romantischen Orientbilder der Europäer dieser Zeit beherrscht. Als gegen Ende des 19. Jahrhunderts das Bewußtsein der eigenen Fortschrittlichkeit in Europa um sich greift, erscheint Asien in den Augen der neuen Kolonialmächte zunehmend als rückständig. „Die Europäer  -  und ganz besonders die Briten - traten in ein Jahrhundert der Überheblichkeit und der Anmaßung ein. Ihr einst weitgehend von Bewunderung geprägter Kontakt mit Asien wurde jetzt durch Feindseligkeit und schließlich Eroberung abgelöst.“ (S. 222)
Diese Sichtweisen zeugen von einer stark gefühlsbetonten, kaum an realistischen Fakten orientierten Einstellung westlicher Länder gegenüber den östlichen Reichen und ihren Kulturen. Jim Masselos, Herausgeber von „Imperien Asiens. Von den alten Khmer bis zu den Meiji“, erschienen 2010 im Theiss-Verlag Suttgart, vermittelt in seinem Überblickswerk einen ausgewogeneren Blick auf mehr als tausend Jahre asiatischer Geschichte.
 
Charakteristisch für alle der sieben behandelten Großreiche zwischen 802 und 1945 ist ihre Widersprüchlichkeit: Brutale Eroberungsfeldzüge, gekennzeichnet durch willkürliche Grausamkeiten und Zerstörungswut in der Gründungsphase und erstaunliches Wohlwollen gegenüber den unterworfenen Völkern in der nachfolgenden Stabilisierungsphase. Aufgrund ihrer geographischen Ausdehnung umfassen die Reiche Völker von außergewöhnlicher ethnischer und religiöser Vielfalt, sie sind „zwangsläufig multikulturell“. (S. 10) Aus der Sicht Europas sind die Reiche unvorstellbar groß, ihre Bevölkerungszahl unermeßlich, die Städte riesig. Unvorstellbar ist auch der Reichtum der Herrscher, ihre unumschränkte Macht, aber auch die zivilisatorischen Leistungen an den höfischen Zentren. Von den Machthabern gefördert blühen Handel und Wirtschaft, Kunst und Handwerk, Wissenschaften und religiöse Gelehrsamkeit. Masselos faßt zusammen: Auch wenn die uneingeschränkte Macht der Herrscher und die militärischen Eroberungen ihre furchtbaren Schattenseiten haben, so ist doch jedes Reich „ein herrliches Artefakt, eine ganz besondere Leistung.“ (S. 11)


Foto © Anselm Schröter

Das Mongolenreich (1206 – 1405)  -  Aufstieg und Niedergang
 
Beispielhaft für Entstehung, innere Stabilisierung und Verfall asiatischer Großreiche ist das etwa zweihundert Jahre bestehende Reich der Mongolen unter Dschingis Khan und seinen Erben. Verantwortlich für die Gründung der größten Landmacht der Weltgeschichte ist ein kleiner Mann, der Chef eines kleinen Stammes in der zentralasiatischen Steppe, Temüdschin (1162-1227), ein charismatischer Führer, ein außerordentliches militärisches Talent und von unbändiger Energie. Den Titel „Dschingis Khan“ (der „Unbeugsame“) erhält er 1206 von seinen Gefolgsleuten. Zu dieser Zeit hat er die Grundlagen für das spätere Großreich bereits gelegt: die Stämme der Steppennomaden sind geeint und das Reiterheer neu organisiert. Die wichtigste Neuerung ist, von nun an werden Offiziere nur noch nach Eignung nicht mehr nach Verwandtschaftsbeziehungen ausgewählt, und es herrscht eiserne Disziplin in der Armee, Verfehlungen  sind mit drakonischen Strafen belegt. Etwa 95.000 Mann umfaßt das Reiterheer zu dieser Zeit, um 1260 wird der Enkel Kublai Khan über ca. eine Million Soldaten verfügen. Durch Auflösung der Clan- und Stammesstrukturen gelingt es Dschingis Kahn, die alten Stammesidentitäten auf Dauer durch eine „nationale“ mongolische Identität zu ersetzen.
 
Schnell vergrößert sich das Herrschaftsgebiet: Bis 1215 sind große Teile Chinas erobert, es folgen die islamischen Staaten Zentralasiens mit Iran und Afghanistan. Bei Dschingis Khans Tod im Jahre 1227 reicht das mongolische Herrschaftsgebiet vom Kaspischen bis ans Japanische Meer. Unter seinen Nachfolgern dehnt sich das mongolische Reich noch weiter aus: In Richtung Westen stoßen die gefürchteten Reiter bis nach Ungern und Polen vor. In der  Schlacht bei Liegnitz wird 1241 ein deutsch-polnisches Ritterheer vernichtend geschlagen. Aber die Mongolen ziehen wieder ab; den Besiegten erscheint das wie ein Wunder. Der eigentliche Grund ist jedoch die anstehende Wahl eines neuen Großkhans nach dem Tod von Dschingis Khans Sohn Ögödai (1184-1241).
Bis 1260 haben mongolische Heere nicht nur große Teile Rußlands unterworfen, sie beherrschen auch ganz Persien, große Teile des Irak und Syriens sowie das gesamte China. Das Imperium der Mongolen reicht jetzt von den Karpaten bis Korea, von der Ostsee bis an den Indischen Ozean.
Doch der Zenit ist überschritten, der Zerfall des Reiches kündigt sich an. In China ruft  sich 1260  Kublai (1215-1294) zum Großkhan aus, 1271 verlegt er seine Hauptstadt von Karakorum in der mongolischen Steppe ins chinesische Peking und begründet die Kaiserdynastie der Yüan. Drei weitere Teile machen sich unter den Erben Dschingis Khans selbständig. Das Il-Khanat umfaßt den Iran, Irak, Teile der Türkei, Armenien, Georgien und Aserbaidschan. Das Khanat der „Goldenen Horde“ beherrscht die Steppen nördlich des Schwarzen Meeres und des Kaukasus sowie ganz Rußland und schließlich das Mongolische Kernland, das sich über die äußere und innere Mongolei erstreckt.
1405 endet die Weltherrschaft der Mongolen mit dem Tod Timur Lengs („Tamerlans“), geb. 1336 in der Nähe von Samarkand; er hatte mit seinen grausamen Eroberungszügen nach Kleinasien und sogar bis ins indische Delhi das Weltreich Dschingis Khans wieder herstellen wollen; während der Nachfolgekämpfe zerbricht das Reich endgültig.
Doch obwohl das Mongolische Weltreich - gemessen an der Lebensdauer anderer asiatischer Großreiche - nur kurze zweihundert Jahre bestand, wirkt sein Einfluß noch bis in die Gegenwart nach.


Foto © Anselm Schröter

Pax mongolica
 
Ohne daß ihr auch  nur ein Haar gekrümmt wird, kann eine Jungfrau mit einem Topf voll Gold von einem bis zum anderen Ende des Reiches wandern - so die Legende zur Pax mongolica, dem anderen Gesicht des mongolischen Imperiums.
 
Grundlage des inneren Friedens ist eine Gesetzessammlung, die „Yassa“, die der Förderung der inneren Einheit, der öffentlichen Ordnung und der militärischen Schlagkraft verpflichtet ist. Dschingis Khan läßt die Sammlung aufschreiben und unter den Nomadenstämmen der Steppe verbreiten. Harte Strafen - häufig die Todesstrafe - drohen bei Übertretungen der „Yassa“. Dennoch schafft sie Rechtssicherheit und löst die alten endlosen und blutigen Stammesfehden ab.
 
In Glaubensfragen herrscht Toleranz. “Unter meiner Herrschaft kann jeder zu seinem Gott beten“, sagt Dschingis Khan. Erst ca. fünfhundert Jahre später wird der preußische König Friedrich II. sinngemäß dieselben Gedanken äußern. Natürlich steckt hinter der religiösen Toleranz des Großkhans politisches Kalkül, denn selbstverständlich weiß er, daß religiöser Friede zur Stabilisierung der eroberten Länder beiträgt und zur Sicherung seiner Macht.
Um das schnell wachsende Reich kontrollieren zu können, richtet der Großkhan ein Post- und Botensystem ein. Alle vierzig bis fünfzig Kilometer gibt es eine Wegstation, wo Reisende mit Unterkunft, Verpflegung und frischen Pferden versorgt werden - soweit sie eine Erlaubnis des Herrschers haben; das sind vor allem Armeeangehörige, Kuriere, Diplomaten und Fernhandelskaufleute. Durch berittene Melder gelangen Nachrichten über diese Poststrecken in wenigen Tagen von der Peripherie des Riesenreiches an den Hof der Khane und ermöglichen schnelles Handeln bei Gefahr.
Die gesicherten Routen tragen zum Aufblühen des Fernhandels bei, den die mongolischen Herrscher ausdrücklich schützen und fördern. Die Seidenstraße wird zur festen Verbindung zwischen Ost und West, Europa profitiert davon. Nichts hindert den Transfer von Waren, Menschen und Ideen in beide Richtungen. Viele europäische aber auch arabische Kaufleute reisen in das mongolische Reich und machen gute Geschäfte, Marco Polo ist einer von ihnen.
Mit der Zersplitterung des mongolischen Weltreiches im 14. Jahrhundert in kleinere Fürstentümer und Khanate werden die Handelsverbindungen unsicherer. Es gibt keine einheitliche Macht mehr, die die Seidenstraße kontrolliert. Die günstige und gesicherte Versorgung Europas mit Gewürzen und Luxusgütern aus dem fernen Orient wird instabil und neigt sich dem Ende zu. Im Westen beginnt man über Abhilfe nachzudenken und die Möglichkeit eines Seeweges nach Fernost zu erkunden.
 
Langfristige Folgen des Mongolenreiches
 
Nicht von ungefähr beginnt das Buch über die Imperien Asiens mit einem Abriß zur Geschichte des Mongolenreiches; denn wie beim Römischen Reich sind es die langfristigen Auswirkungen, die es so bedeutsam machen.
Auch wenn in China die Zeit der Mongolenherrschaft unter der Yüan-Dynastie als eine der dunkelsten Epochen gilt, ist es doch eine Zeit, in der China nach dreihundert Jahren erstmals wieder geeint ist, und es ist eine Periode, in der sich China westasiatischen, ja sogar europäischen Einflüssen öffnet. Unter den Ming-Kaisern, die auf die mongolische Herrschaft folgen, schottet sich China wieder für Jahrhunderte gegenüber fremden Einflüssen ab; der Ausbau der Großen Mauer ist ein sichtbares Zeichen dafür.
Im Sog des Mongolensturms verschlägt es auch Turkvölker aus Zentralasien Richtung Westen. Einer dieser Turkstämme dringt bis Anatolien vor, nutzt das dortige Machtvakuum und etabliert sich; es ist die Keimzelle des späteren Osmanischen Großreichs.
Diesseits des Ural gelingt es der „Goldenen Horde“ die Ukraine, Kasachstan, ganz Rußland und Weißrußland unter ihre Herrschaft zu bringen. Die Fremdherrschaft bewirkt, daß Rußland dreihundert Jahre lang von Entwicklungen in Westeuropa, vor allem aber auch von den Verbindungen zu Byzanz abgeschnitten wird, eine Isolation, die sich für die Entfaltung Rußlands als äußerst schwerwiegend erweisen soll. Erst im 16. Jahrhundert gelingt es dem Großfürstentum Moskau, die Herrschaft der „Goldenen Horde“ abzuschütteln.
Anfang des 16. Jahrhunderts gelangt Prinz Babur (gest. 1530), ein Nachkomme Timur Lengs, auf der Flucht vor usbekischen Türken nach Nordindien - so erzählt es eine alte Geschichte. In Erinnerung an Dschingis Khan und seinen Vorfahren Tamerlan gründet er in Nordindien ein neues Reich, das „Reich der Moguln“. Das persische Wort „Mogul“ bedeutet nichts anderes als „Mongole“. Die Erben des Reichsgründers errichten prächtige Bauwerke, die heute noch zu bewundern sind, darunter das berühmte „Taj Mahal“.
Wer heute durch die Mongolei reist, begegnet Dschingis Khan auf Schritt und Tritt, denn mit Macht dringt die Erinnerung an die „große alte Zeit“ wieder an die Oberfläche. Die Vergangenheit stiftet so eine neue Identität für den modernen Staat, und die Zeit der kommunistischen Diktatur und sowjetischen Dominanz wird in der Rückschau auf eine kurze „zeitlich begrenzte Unterbrechung einer ansonsten kontinuierlichen Entwicklungslinie reduziert“ (S. 227).


Foto © Anselm Schröter

Faktenreiches Überblickswerk
 
Sieben asiatische Großreiche stellt Jim Masselos, Professor für die Geschichte Asiens an der Universität Sydney, in seinem Überblickswerk vor; jedem Reich ist ein eigenes Kapitel gewidmet, verfaßt von einem Experten für die jeweilige Region. Außer den bereits genannten Reichen der Mongolen, Osmanen und Moguln informiert das Buch über China unter den Ming-Kaisern, die Herrschaft der Khmer in Südostasien, das persische Safawidenreich und die Meiji-Restauration in Japan. Jeder Abschnitt wird mit einer Karte und einer Zeittafel eingeleitet, welche die Schlüsseldaten zur Geschichte des im folgenden beschriebenen Reiches nennt. Der phantastisch bebilderte Band zeigt Ausschnitte aus alten Handschriften, Gemälden, Zeichnungen und Reliefs. Hervorragende Fotografien heutiger Landschaften und Bauwerke stellen die Verbindung zwischen Geschichte und Gegenwart her.
Wer sich für die Geschichte Asiens interessiert - hierzulande eine terra incognita -erhält einen guten Einstieg und wird mit Genuß und Gewinn in dem schönen Werk blättern und schmökern.
 
Jim Masselos (Hrsg.)  - Imperien Asiens
Von den alten Khmer zu den Meiji
© Theiss Verlag 2010, 1. Auflage
240 Seiten mit über 200 meist farbigen Abbildungen. 21,5 x 27 cm. Gebunden mit Schutzumschlag - ISBN 978-3-8062-2370-5
Subskriptionspreis bis zum 31.03.2011:
EURO 34,90 danach: EURO 39,90
Weitere Informationen unter: www.theiss.de


Text © Friederike Hagemeyer - Fotos im Text: © Anselm Schröter
 Redaktion: Frank Becker