Nordkorea - Bericht aus dem Zentrum der Macht

Ingrid Steiner-Gashi/Dardan Gashi - "Im Dienst des Diktators - Leben und Flucht eines nordkoreanischen Agenten"

von Frank Becker
Personenkult
und
Säbelrasseln
 
Das Säbelrasseln zwischen Nord- und Südkorea hat in den letzten Tagen bedrohlich zugenommen, seit Nordkorea mit einer Artillerie-Attacke die Insel Yonpyong vor der Westküste Südkoreas angegriffen, vier Menschen getötet und viele andere zum Teil schwer verletzt hat. Erst vor einigen Wochen war ein südkoreanisches Kriegsschiff in internationalen Gewässern vermutlich von einem nordkoreanischen U-Boot versenkt worden. 46 Marine-Soldaten kamen dabei ums Leben.
Diese schwersten Zwischenfälle seit 50 Jahren rücken das seit dem Koreakrieg 1950-53 in den kommunistischen Norden und den westlich orientierten Süden geteilte Land schlagartig wieder in den Fokus der Weltpolitik. Daß von Nordkorea, das nach Atomwaffen strebt und möglicherweise über Massenvernichtungswaffen verfügt, neben dem hochgerüsteten Iran Mahmud Ahmadinedschads und den fanatisierten Islamisten um Osama bin Laden heutzutage mit die größte Gefahr für den Weltfrieden ausgeht, wird nur zu gern übersehen.
 
Eine der letzten absoluten Diktaturen dieser Erde

Davon, wie es hinter den Kulissen der Macht in Korea und seiner Hauptstadt Pjönjang aussieht, dringt nur wenig aus dem hermetisch abgeriegelten Land mit seinen rund 24 Millionen Einwohnern, von denen
ständig mehr als eine Million als Soldaten der Land- und die Luftstreitkräfte unter Waffen stehen. Nordkoreas Armee ist die zweitgrößte in Asien nach der Volksrepublik China. Doch im Gegensatz zum  großen Bruder im Norden denken die in Erbfolge regierenden Diktatoren Nordkoreas nicht im Traum daran, einen Wandel im System und eine Öffnung zur Welt einzuleiten. Kim Jong Ryul, ehemaliger nordkoreanische Agent und Vertrauter des mittlerweile verstorbenen Diktators Kim Il Sung, floh 1994 unter spektakulären Umständen bei einer europäischen Materialbeschaffungs-Aktion in der Slowakei und hielt sich 15 Jahre lang in Österreich verborgen. Nachdem er im Exil den Machtwechsel zu Kim Il Sungs Sohn Kim Jong Il und nicht das Zusammenbrechen des Regimes erlebte, offenbarte er sich schließlich dem Journalisten-Ehepaar Gashi, das aus seinen Aufzeichnungen den Bericht „Im Dienst des Diktators“ destillierte. Daß die Verhältnisse, über die Kim Jong Ryul berichtet, 15 Jahre her sind, dürfte ihrer Übersetzbarkeit auf die heutigen Umstände wenig anhaben – denn im politisch wie geistig abgeschotteten Nordkorea hat sich wohl nur der Name des Despoten geändert, nicht jedoch die Lebensumstände von Volk und Machthaber.
 
Historischer Abriß

Kim Jong Ryul beginnt seine Erinnerungen mit der Zeit der japanischen Besetzung Koreas, ein Trauma für Korea wie für alle anderen von Japan annektierten asiatischen Gebiete in den 30er Jahren (denken wir an Taiwan oder China). Die „Befreiung“ 1945 durch die Volksarmee Kim Il Sungs mit Hilfe Stalins (die Japaner mußten nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki fluchtartig das Land verlassen) führte zur Teilung in die amerikanische und die sowjetische Einflußzone beim 38. Breitengrad, der bis heute bestehenden Grenze. Seit dem Krieg 1950-1953 zwischen beiden Landesteilen, in dem 940.000 Soldaten und drei Millionen Zivilisten starben, besteht ein Waffenstillstand, der immer wieder vom Norden gebrochen wird.
 
Upstairs, downstairs...

Das nordkoreanische Volk hat seit 1945 viele Hungersnöte und Engpässe in der Energieversorgung mit Hunderttausenden von Toten erlebt, während seine Diktatoren in unvorstellbarem Überfluß lebten. Kim Jong Ryul war für einen Teil der Versorgung der Machthaber mit Waren aus dem dekadenten Westen zuständig. Abgesehen von Gourmet-Lebensmitteln und Getränken aus dem Westen u.a. und besonders aus Österreich, kostbaren Möbeln, Tapeten, Textilien und einem Wagenpark aller Luxusmarken der Welt besorgte Kim alles, was durch westliches Embargo verboten, aber von skrupellosen deutschen und österreichischen Geschäftsleuten dennoch gegen Bares zu haben war: technisches Gerät wie Spezialfahrzeuge, Überwachungselektronik, Alarm- und Schutzsysteme für die Villen und Verstecke des Diktators, Waffen, darunter vergoldete Handfeuerwaffen für Kim Jong Il und seinen Sohn und Nachfolger und vieles anderes mehr. Währenddessen mußten die einfachen Leute in Hungerwintern die Rinde von den Bäumen essen, um zu überleben. Aufbegehren ist bis heute unter dem brutalen Druck des repressiven Systems nicht möglich, zu perfekt funktionieren Überwachung, Geheimdienste und Straflager-Organisation. 
 
Absurdistan

Kim Jong Ryul zeigt neben dem absoluten Machtstreben und der kompromißlosen Brutalität der Nomenklatur auch deren Schwächen auf: schnelle Wagen (s.o.), Filme und schöne Frauen – erinnert uns das nicht an andere üble Figuren der jüngeren Weltgeschichte? Ein besonders interessantes Kapitel widmet er seiner Studienzeit ab 1955 in der DDR - für ihn und die anderen abgeordneten Studenten damals ein Paradies - und der überstürzten erzwungenen Rückkehr in die Heimat im Juli 1962. Nordkorea ist - durch Kim Jong Ryuls Erinnerungen wird es einmal mehr deutlich - bis auf den Tag ein grauenhaftes Absurdistan. Bald wird Kim Jong Un, der in der Schweiz erzogene Sohn Kim Jong Ils die Macht und den persönlichen Wohlstand in einem längst bankrotten Staat aus der Hand seines Vaters übernehmen.
Ein wichtiges Buch. Die Lektüre von Kim Jong Ryuls Aufzeichnungen ist sehr zu empfehlen.
 
 
Interview mit Kim Jong Ryul (aus der Pressemappe des Carl Ueberreuter Verlags):
 
Wie schätzen Sie die politische Situation in Nordkorea aktuell ein?
Heute wie damals, als ich geflohen bin, ist Nordkorea eine grausame, verlogene und
heuchlerische Diktatur. Diktator Kim Jong Il besitzt alles, was man sich nur vorstellen
kann, während das Volk leidet und hungert. Alle Macht ist in seinen Händen und daran scheint sich auch nichts geändert zu haben, auch nach seinem Schlaganfall. Der „kleine Diktator“ sieht jetzt krank und geschwächt aus, aber so lange er lebt, wird sich in Nordkorea nichts ändern. Als Diktator Kim Il Sung gestorben ist, war ich mir sicher, daß die Diktatur stürzen wird, so wie die Regime im ganzen kommunistischen Osten Europas und sogar in der Sowjetunion gefallen sind. Aber jetzt, nach all den Jahren, habe ich diese Hoffnung aufgegeben. Zumindest befürchte ich, daß ich diesen Tag nicht mehr erleben werde, wenn Nordkorea endlich frei sein wird. Was dann passieren wird? Ob es dann ein vereinigtes Korea geben wird? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur: Ich möchte diese ganze Diktatur zerbrechen, wie einen riesigen Berg sprengen, ich möchte, wenn ich könnte, sie einfach wegfegen.
 
Warum treten Sie nun nach all den Jahren Versteckspiel an die Öffentlichkeit?
Daß ich mich so lange verstecken würde, war nicht geplant. Ich hatte meine Flucht nach Österreich in dem Gedanken vorbereitet, daß ich vielleicht zwei, drei Jahre untertauchen würde. Innerhalb dieses Zeitraumes, so hatte ich gehofft, würde das Regime in Nordkorea zusammenbrechen und ich würde in meine Heimat zurückkehren können. Doch es kam anders. Ein Jahr verging und dann noch eines und noch eines und noch eines, und heute sind es bereits mehr als 15 Jahre, die ich vergeblich auf das Ende der Diktatur Kim Jong Ils gewartet habe. Heute bin ich 75 Jahre alt und habe kaum noch Hoffnung, je zurückkehren zu können. Aber ich will nicht still und leise abtreten. Ich will, bevor ich sterbe, endlich die Wahrheit sagen. Ich will über die Grausamkeit und die Brutalität berichten, über die Verlogenheit der Diktatoren, über die Schamlosigkeit des „kleinen Diktators“, der sich alle Luxusgüter dieser Welt bringen läßt, während die Menschen hungern. Ich will alles erzählen, was ich erlebt habe und was man vielleicht außerhalb Nordkoreas nicht weiß.
Diese Wahrheit ist auch meine Rache und ich hoffe, daß ich mit diesem meinen Bericht mithelfen kann, die Diktatur zu schwächen. Und noch etwas wollte ich aufzeigen: Daß westliche Firmen jahrzehntelang gutes Geld mit ihren Geschäften mit der Diktatur gemacht haben. Daß sie mit ihren Waren teilweise mitgeholfen haben, dieses System zu stützen – und daß diese Geschäfte auch heute noch laufen.
 
Ingrid Steiner-Gashi/Dardan Gashi - Im Dienst des Diktators
Leben und Flucht eines nordkoreanischen Agenten
© 2010 Verlag Carl Ueberreuter
207 Seiten, geb. m. Schutzumschlag,
16 Seiten mit  farbigen und s/w- Illustrationen - ISBN 978-3-8000-7450-1 - 19,95 €

Weitere Informationen unter: www.ueberreuter.at