Abisag Tüllmann

Bildreportagen und Theaterfotografie aus 35 Jahren

von Frank Becker
Abisag Tüllmann
Bildreportagen und Theaterfotografie
 
Es ist einer der ersten Fotobände, der Eingang in meine Bibliothek fand – und er gehört zu denen, die mir noch immer am liebsten sind: „Großstadt“ von Abisag Tüllmann, 1963 im Societäts-Verlag erschienen. Mit so viel Herz und Humor wie diese wunderbare Fotografin, die nur von 1935 bis 1996 lebte, hat selten ein Fotograf seine Mitmenschen und ihre/unsere Welt betrachtet. Sie tat das bei ihrem Buch-Debüt „Großstadt“ am Beispiel der Stadt Frankfurt/M., wohin sie nach den Stationen Hagen (wo sie geboren wurde) und Wuppertal, wo sie zur Schule ging und erste Erfahrungen in der Agentur- und Theaterfotografie machte. Richard Kirn stellte sie damals mit einem prall vollen Kaleidoskop von s/w-Aufnahmen dem Publikum vor.
 
Repräsentative Auswahl aus 610.000 Negativen

Wartesaal des Hauptbahnhofs, Frankfurt/M., 1959
© Historisches Museum Frankfurt

 
Heute gehört Abisag Tüllmann zu den bekanntesten deutschen Fotografinnen, wenn auch das renommierte Prestel-Lexikon der Fotografen das in seiner Ausgabe 2002 auch ignoriert. Es kommt darauf nicht an. Frankfurt, die Stadt ihrer großen Jahre, hat ihr jetzt eine Ausstellung gewidmet, die noch bis zum 27. März 2011 einen Querschnitt ihres Lebenswerks zeigt. Zu der sorgfältig zusammengestellten Ausstellung ist im Verlag Hatje Cantz ein wahrhaft üppiger Katalog erschienen, darin auch ein Kapitel über „Großstadt“ (1963). Martha Caspers, Monika Haas, Barbara Lauterbach, Kristina Lowis, Ulrike May und Katharina Sykora stellen in thematischen Aufsätzen die Arbeit Tüllmanns für Tagespresse, Film, Theater und Bildende Kunst vor – die Hauptsache bleiben jedoch die für ausgedehnte Bildsequenzen ausgewählten Fotografien aus gut 35 Jahren, überwiegend in s/w. Bei einem Archiv von 260.000 Negativen, 50.000 Abzügen und 10.000 Diapositiven uaus dem journalistischen Spektrum und 350.000 Negativen, 17.000 Abzügen und 17.000 Diapositiven aus dem Theaterbereich eine Auswahl zu treffen darf schlicht formuliert als schwierig angesehen werden.
 
Lieblingsbilder
 
Die Kuratoren und Herausgeber haben es gewagt, und es sieht so aus, dass sie gute Arbeit geleistet haben. Das für Abisag Tüllmanns Bilder typisch Körnige der 60er, das Situative der 70er, die schon in den 70er beginnende zeitweise Hinwendung zur Farbe in den 80ern und die Rückkehr zu Schwarz/Weiß in den 90ern werden beim Studium der Bilderstrecken deutlich. Der Mensch, ob als Individuum im Porträt, als Teil der Gesellschaft oder als Künstler ist stets im Mittelpunkt. Geht es Ihnen auch so, daß Sie beim Blättern in solchen Kompendien insgeheim nach „Lieblingsbildern“ Ausschau halten? Drei sprangen mich an – und sie sind sämtlich aus den 60ern: „Nordweststadt, Frankfurt/M.“ (1965), „Fly-over“, Frankfurt/M. (1968) und „Der Schriftsteller Uwe Johnson (im Gespräch)“ (1961). Besonders erfreulich ist, daß der Katalog zu den ausführlichen biographischen Notizen auch viele Fotos enthält, die als fortlaufende Leiste den Lebensweg der Fotografin in Selbstporträts und Aufnahmen anderer, oft unbekannter Fotografen zeigen. Eine bessere Gelegenheit, als diese, die Fotokünstlerin Eva Ursula (Abisag) Tüllmann posthum kennenzulernen, wird man kaum finden.


Terrassencafé, Frankfurt/M., 1968 - © Historisches Museum Frankfurt
 
 
Die Fotografin Abisag Tüllmann (1935-1996)
 
Ausstellung: Historisches Museum Frankfurt am Main 24.11.2010 – 27.3.2011
 

Parkplatz des Europa-Kimos, Frankfurt/M., 1963
© Historisches Museum Frankfurt

Der Katalog:


Abisag Tüllmann
1935-1996 Bildreportagen und Theaterfotografie
Hrsg. Martha Caspers, Mit Texten von Martha Caspers, Monika Haas, Barbara Lauterbach, Kristina Lowis, Ulrike May, Katharina Sykora
Erschienen als Bd. 30 der Schriften des „historischen museums frankfurt“, hrsg. von Jan Gerchow
© 2010 Verlag Hatje Cantz, 304 Seiten, gebunden, 298 Abb. davon 35 farbig, 263 in Duplex, 25,40 x 30,70 cm
€ 29,80 | CHF 43,90 - ISBN 978-3-7757-2708-2
 
Weitere Informationen unter: www.hatjecantz.de