Eine Nacht in Venedig

François De Carpentries inszeniert Strauß in Coburg

von Alexander Hauer
Landestheater Coburg
Eine Nacht in Venedig
Operette von Johann Strauß


Am Ende sind sie alleine und einsam, die beiden Superhengste aus Urbino, aber bis dahin war Fran
çois De Carpentries „Nacht in Venedig“ ein Riesenspaß. Unter der Leitung von Michael Weiger brillierten die Solisten und das Philharmonische Orchester genauso wie der Chor, vortrefflich wie immer einstudiert von Stefan Meier. Eine dennoch fast unerträglich süße Walzerseligkeit verbreitete sich im Auditorium gleich zu Beginn an.

Der Herzog von Urbino (Milen Bozkhov) kommt zum Karneval nach Venedig - weniger um die

Foto © Henning Rosenbusch
Masken zu betrachten, mehr um eine im Vorjahr begonnene Affäre weiterzuführen. Um das Terrain zu sondieren, schickt er seinen Leibbarbier Caramello (mit feinen lyrischen Tönen: Roman Prayer) vor. Dummerweise läuft der seiner Freundin Annina (Sofia Kallio, in strahlenden Höhen) in die Arme. Ein abgegebenes Heiratsversprechen bringt unseren Schwerenöter ganz schön in Schwierigkeiten. Ebenso ergeht es Pappacoda (Karsten Münster als schmierig geldgeiler Neapolitaner), der sich in Venedig um das leibliche Wohl der Touristen kümmert. Ihm zur Seite steht Cibuletta, jenes kleine scharfe „Zwiebelchen“, das ihren Mann antreibt und fördert. Marie Smolka gibt dieses heiße italienische Ding mit treffsicheren Sopran und überbordendem Temperament. Zusammen mit Michael Lion als doppelt gehörnter Senator Delaqua stellt das Opernensemble des Landestheater die Hauptpartien der Operette. Und die Entscheidung, die Rollen ausschließlich mit Opernpersonal zu besetzen, ist richtig. Die scheinbar leichten Partien Strauß‘ stecken voller musikalischen Klippen, die absolut sicher gemeistert wurden.

De Carpentries schuf zusammen mit der Dramaturgin Susanne von Tobien und den Ausstattern Siegfried E. Mayer (Bühnenbild) und Judith Fischer (Kostüm) eine stimmige  50er-Jahre-Atmosphäre. Aber geht das, ein im Rokoko angesiedeltes Stück schadlos in eine andere Zeit umzusiedeln? In diesem Falle schon, denn die 50er waren ja ähnlich bigott wie die Entstehungszeit des Werks.

Foto © Henning Rosenbusch
De Carpentries verteilt die Sympathien gleich zu Beginn. Wie in der Operette üblich geht die Handlung von den Underdogs, vom „Volk“ aus, und der einfache Bürger steht im Mittelpunkt der Handlung. Als erstes begegnen wir Pappacoda, den Karsten Münster mit sicherem Spieltenor und herrlich falschem italienischen Akzent gibt. Sein Herzensding Marie Smolka hat ihren feurigen Neapolitaner fest im Griff. Er will, sie auch, aber zuerst wird geheiratet und vor allem eine feste Stellung muß her. Und für die kommt nur die herzogliche Küche in Frage. Roman Prayer gewinnt mit weichem leistungsfähigen Tenor und blendendem Aussehen als Caramello und hat in Sofia Kallio eine ideale Partnerin. Auf der anderen Seite des sozialen Spektrums stehen die Senatoren und der Herzog. Milen Bozkov gibt den Souverän mit gewohnten Spintoqualitäten. Delaqua, Barbaruccio und Testaccio, drei karrieregeile Senatoren, die auch gerne die Ehre und auch das eine oder andere Körperteil ihrer Frauen für einen Posten bei Hofe opfern würden, werden von Michael Lion, Rainer Scheerer und Martin Trepl als stimmsichere aber unsympathische Polittrottel gegeben. Ihre Damen, Rotraut Arnold als aus Coburg stammende Barbara, Stefanie Schmitt als Agricola Barbaruccio und Monica Tahal als Constantia Testaccio sind lustig geile Senatorengattinnen. Frederik Leberle vom Schauspiel gibt den brunftigen Neffen Enrico, der mit seiner Tante Barbara den Karneval in Venedig „genießen“ will.
Soweit das Personalgemenge der Operette. Die Dramaturgie hält sich da an zwei Opern, einmal Don Giovanni, der ja auch nicht zum Zuge kommt und durchaus ein Onkel des Herzogs sein könnte, und an Offenbachs viel zu selten gespieltes Meisterwerk „La vie parisienne“. Auch da geht es um zwei Hyperpotente, die am Ende leer ausgehen. Der wichtigste Handlungsstrang in der Deutung von De Carpentries und von Tobien ist aber die emanzipatorische Entwicklung der Annina. Während Barbara weiterhin als ungetreue Gattin als Senatorin weiterlebt, Cibuletta als Frau des wankelmütigen Küchenchefs stets auf der Hut sein muß, entscheidet sich Annina gegen die Ehe mit Caramello, auch wenn dieser einen Hofmeisterposten beim Herzog erhält. Ein Leben als selbstständige Fischhändlerin erscheint ihr erstrebenswerter zu sein, als einerseits Frau eines notorischen Fremdgängers, andererseits als Sexobjekt des Herzogs zu sein.

Foto © Henning Rosenbusch


Diese Emanzenstory kommt aber nicht kopflastig und mit erhobenem Zeigefinger daher, sondern ist ein buntes, kostümreiches Märchen im Sehnsuchtsland des Nachkriegsdeutschlands, das auch heute noch Gültigkeit hat. Viel zu schnell verging die Revue der schönen Stimmen, der bunten Bilder und der grandiosen Musik. Operette wie sie sein soll, spritzig, witzig, wunderbar gesungen hervorragend gespielt. Der Weg nach Coburg hat sich mal wieder  gelohnt.
 
Fotos © Henning Rosenbusch

Weitere Informationen unter:
www.landestheater-coburg.de

Redaktion: Frank Becker