Et hätt noch emmer joot jejange

Karin Henkel inszeniert in Köln Tschechows "Kirschgarten"

von Andreas Rehnolt

 "Kirschgarten" nach dem Motto
"Et kütt wi et kütt" 
 
Karin Henkel inszenierte am Schauspielhaus Köln
Tschechows Komödie über Fatalismus und Depressionen 
  
In Zeiten, in denen manch einer den Gürtel enger schnallen muß und manch anderer den schönen Zeiten der Vergangenheit nachhängt, paßt der 1904 uraufgeführte "Kirschgarten" von Anton Tschechow wunderbar ins Jetzt und Heute. Die Komödie feierte am vergangenen Freitag im Schauspiel Köln in einer Übersetzung von Ulrike Zemme Premiere. Regisseurin Karin Henkel inszenierte das Stück über Fatalismus und Depression so, daß es auch auf das kölsche Motto "et kütt wi et kütt" paßte und der Kirschgarten auch im Umland der Domstadt stehen könnte.
 
Schon der Anfang auf der von Kathrin Frosch wie ein Acker mit schwarzem Sand vollgekippten Bühne macht klar: Hier blüht und wächst nichts mehr. Auf einem sich drehenden Karussell-Unterteil feiert die Gutsbesitzerin Ljubow Andrejewna Ranjewskaja ihre Rückkehr nach einem fünfjährigen Aufenthalt im fernen Paris. Den hat sie nur abgebrochen, weil sie so gut wie pleite ist und deshalb dort unterzukommen gedenkt, wo sie früher das Sagen hatte. Mitgebracht hat sie nicht nur ihre Tochter Anja, sondern auch noch eine Gesellschafterin und einen jungen Diener.
 
Adoptivtochter Warja, die nicht weiß, wie sie das runtergekommene Gut überhaupt noch führen soll, freut sich anfangs über die Bagage. Ljubows Bruder Leonid schwärmt wie seine Schwester von den Zeiten des "weißt Du noch?“. Der aus Paris mitgebracht Diener Jascha geht jeder der Frauen an die Wäsche und erweist sich in der rund 130-minütigen ohne Pause gespielten Inszenierung vor allem als Kettenraucher. Der ewige Student Pjotor Sergejewitsch Trofimow durchschaut die Fassade der Fatalisten, ist aber selbst einer. Seine Bemerkung, daß die Truppe um die Gutsbesitzerin "auf Pump lebt" und zwar auf Kosten von Menschen, die sie überhaupt nicht interessieren würde, bleibt folgenlos.
 
Ein einziger auf der schwarzen Bühne hat den Durchblick. Es ist der von Charly Hübner mit sehr viel Bodenständigkeit gespielte Kaufmann Lopachin. Er sagt immer und immer wieder, daß nur das Abholzen des Kirschgartens und der Verkauf der so gewonnenen Parzellen an Moskauer Sommerfrischler das Gut retten könnte. Doch eins ums andere Mal weigern sich die Ewiggestrigen, das als Chance für eine neue Zukunft zu akzeptieren. Stattdessen ist Verdrängung angesagt. Statt eine Entscheidung zu treffen ruft Ljubow (Lena Schwarz) eins ums andere Mal "Musik". 
 
Die dann folgenden Tänze erinnern mehr und mehr an einen Totentanz angesichts des drohenden Abgrunds, in den die Truppe sehenden Auges stürzen wird. Um an Rubel zu kommen, werden alte Erbtanten wieder entdeckt und die Heirat der jüngsten Tochter mit einem Mann von Geld ins Spiel gebracht. Am Ende kommt es so, wie es kommen muß. Kaufmann Lopachin, Sohn einstiger quasi Leibeigener auf dem Gut, ersteigert es mitsamt Kirschgarten und schickt die, die ihre Chance nicht wahrgenommen haben aus dem Haus.
 
Und siehe da, getreu dem zweiten kölschen Motto "et hätt noch emmer joot jejange" bekommt Ljubow von einer alten Tante eine hübsche Stange Geld, was eine Rückkehr nach Paris möglich machen wird. Tochter Anja will ein Leben mit Trofimow wagen und  Ljubows Bruder bekommt eine Stelle in der Stadt angeboten. Selbst haben sie nichts getan. Sie haben einmal mehr andere über sich und ihre mögliche Zukunft entscheiden lassen.


Foto © Schauspiel Köln
 
Während sich vom Bühnenhimmel ein illuminierter Kirschgarten mit wenig Blüten senkt, rennt die Truppe fünf, sechs Mal hin und her über die Bühne und schreit: "Auf in ein neues Leben". Doch einen wirklichen Aufbruch scheint keiner der Fatalisten zu wollen. Denn ein echter Aufbruch sieht wahrlich anders aus. Übrigens gibt es in der Domstadt tatsächlich eine Straße mit dem Namen "Kirschgarten".
 
Weitere Termine: 21., 25., 26., 30. Januar und 5. Februar
 
Weitere Informationen unter: www.schauspielkoeln.de
 
Redaktion: Frank Becker