All The Things You Are

Wolfgang Schmidtkes „Nachtfoyer“ im Schauspielhaus

von Frank Becker

Wolfgang Schmidtke - Foto © Frank Becker

All The Things You Are
 
Wolfgang Schmidtkes „Nachtfoyer“
im Schauspielhaus
 
 
Als der Saxophonist Wolfgang Schmidtke am 11. Dezember 1981 bei der Verleihung des alternativen Eduard von der Heydt-Kulturpreises (Bürgerpreis) an den Graphiker und Musiker R.M.E. Streuf  mit seinem Quartett auftrat, zog er sich das beinahe entsetzte Stirnrunzeln der anwesenden Riege der Avantgarde zu: er hatte Jerome Kerns „All The Things You are“ in einer Bebop-Version gespielt - und damit in der Stadt des Free Jazz ein Sakrileg begangen. Doch das konnte den Aufstieg des musikalischen Multitalents an die Spitze des Jazz in der Stadt seiner Wahl und auch überregional nicht bremsen.
In Münster, Düsseldorf und Wuppertal als Saxophonist, Musikwissenschaftler, Komponist und in Jazz-Theorie akademisch ausgebildet, brachte der in Lüdenscheid geborene Musiker das Rüstzeug

Foto © Frank Becker
für eine solide Karriere und eine tiefe Liebe zum Jazz und zur klassischen Musik mit. Fragt man ihn nach Vorbildern, fallen schnell aufeinander die Namen John Coltrane, Jimi Hendrix und Franz Schubert. Da erübrigt sich ein Kommentar. Alle Saxophone und die Baßklarinette sind seine Instrumente, dazu das Klavier, an dem er die meisten seiner Kompositionen schreibt – Jazz, Kammermusik, Musicals – alles Musik „zum sofortigen Gebrauch“, womit er sagen will, daß er nicht „für die Truhe“ schreibt, sondern für das Jetzt. Und ans Klavier setzt er sich auch zur Entspannung und Versenkung.
 
Seine Arbeit als Hochschuldozent und Instrumentalpädagoge hat Wolfgang Schmidtke nie davon abgehalten, auch auf anderen Sektoren neugierig und Tätig zu sein. Seine fünf Alben mit Tom Mega haben ihn in den 90ern einem jungen Rock-Publikum bekannt gemacht, mit der Formation „Das Pferd“ begegnete er dem Fusion-Jazz, als „E-Musiker“ kennt man ihn im Holzbläser-Ensembles des Sinfonieorchesters Wuppertal und viele Jahre lang hat Wolfgang Schmidtke für das Wuppertaler Schauspielhaus Bühnenmusik geschrieben und aufgeführt – legendär die Inszenierungen des „Sommernachtstraum“, von „Buddy Bolden´s Blues“, „I have a dream“ und „Sidemen“. „Carmen – Ein deutsches Musical“ entstand für die Bad Hersfelder Festspiele. 2002 die Produktion „Präludien, Fugen, Kommentare“, eine Kombination Bachscher Werke mit zeitgenössischer Improvisation. „Der Tod und das Mädchen“ (2003) verband Schuberts Quartett mit zeitgenössischer Musik. Mitwirkende: Auryn Quartett, Markus Stockhausen, Claudio Puntin. „Tango Westfalica“ (2005) ist eine Verbindung von mittelalterlichen Musiken mit der Welt des Tango. Mitwirkende: Hans Reichel, Stephan Meinberg, Achim Fink, Christian Thome. 2007 folgte „Elses Blaues Klavier“, Songs aus Gedichten von Else Lasker- Schüler - mit der WDR Bigband und Lisa Bassenge. Auftritte und Touren mit Karlheinz Stockhausen, Horace Parlan, Lydie Auvray, Ginger Baker, Randy Brecker, etliche Dutzend CD-Einspielungen tragen seiner Handschrift, und mehrere eigene Alben hat er aufgenommen, womit wir uns dem Thema nähern: „Nachtfoyer“.


Wolfgang Schmidtke - Foto © Frank Becker
 
Am 20. Dezember 1997 schlug die erste Stunde der jetzt seit 14 Jahren veranstalteten äußerst erfolgreichen Jazz-Reihe im Foyer des Wuppertaler Schauspielhauses mit einen Konzert des Wolfgang Schmidtke Orchestra + Peter Kowald, bei dem die Formation und der berühmte Free Jazz-Bassist Kowald (1944-2002) ausschließlich Stücke von John Coltrane spielten. Eine Verneigung vor dem großen Saxophonisten und ein „grenzüberschreitender“ musikalischer Händedruck zwischen Bop und Free. An dieses Konzert denkt Wolfgang Schmidtke, der als Vorsitzender der Peter Kowald-Gesellschaft dessen Vermächtnis hochhält, noch heute mit glänzenden Augen. Aber Gründe und Musiker, sich mit leuchtenden Augen an die seither rund 100 Konzerte zu erinnern, gibt es reichlich. Ein Jahr nach dem Debüt-Konzert stellte Wolfgang Schmidtke 1998 mit seinem „Wolfgang Schmidtke Orchestra“ das Album „Blues Variations“ vor. Mit dabei: Kurt Billker (dr), Harald Eller (b), Dietrich Geese/Martin Zobel (tp), Annette Gaddatsch (fl), René Pretschner (p) und Klaus Bernatzky/Wolfgang Schmidtke (as, ts, bcl).
 
In der Ära Holk Freytag, der das Nachtfoyer intensiv unterstützte, gab es immerhin zehn Konzerte pro Jahr, ab 2001 noch jährlich sechs. Alle Intendanten auch nach Freytag (Gerd Leo Kuck und Christian von Treskow zeigten und zeigen absolute Solidarität mit dem Projekt, über das auch von weither angereiste Stars der internationalen Jazz-Szene sagen: „So etwas gibt es bei uns nicht, das ist einmalig“. Und wer ist nicht alles aufgetreten: das Stefano Bollani Trio, Alexander von Schlippenbach, Peter Brötzmann, Willem Breuker, Hans Reichel, Aki Takase , das Tomasz Stanko Quartet, Simon Nabatov + Nils Wogram, das Louis Sclavis/Aldo Romano/Henri Texier Trio, Charles Peterson + Jasper van´t Hof, das Joachim Kühn Trio, Horace Parlan, die WDR Bigband, Arkady Shilkloper, Markus Stockhausen + Conny Bauer, Steve Lacy, Alan Skidmore, das Trio Frank

Foto © Frank Becker
Chastenier/John Goldsby/Hans Dekker. Und das ist nur eine Auswahl. Dem klassischen Jazz ist man in Wuppertal allerdings weniger aufgeschlossen, wie der Musiker ja schon 1981 feststellen konnte. Da wird auch schon mal Kritik laut: „Herr Schmidtke, das war aber gewagt.“
 
Viele der Konzerte waren Unikate der Jazzgeschichte, die zehnmal vom WDR 3 live in der Sendung „Nachtmusik im WDR“ übertragen wurden und die auch dafür sorgten, daß „Wuppertal definitiv unter den ersten fünf Städten der Republik im Jazz rangiert“ (W. Schmidtke). Wie er das hinbekommen hat? „Persönliche Kontakte sind das A und O. Viele der Musiker haben sich nur auf das Nachtfoyer mit zum Teil einmalig gespielten, eigens geschriebenen und arrangierten Programmen eingelassen, weil man sich kannte und vertraute.“ Auf die Selbstherrlichkeit vieler Musiker hat Wolfgang Schmidtke nie Rücksicht genommen: „Für mich braucht ein Programm mehr als nur die Persönlichkeit des Interpreten, nämlich einen klaren Inhalt, eine Idee. Kein Theaterintendant engagiert einen Botho Strauß, nur weil er Botho Strauß heißt, sondern weil Botho Strauß eine Idee zu einer bestimmten Thematik hat. In der Welt des Theaters heißt das Dramaturgie (lacht).“ Damit ist er gut gefahren und hat auch die Erfahrung gemacht, daß „in Wuppertal anspruchsvolle Sachen funktionieren, die in Düsseldorf oder München nicht gehen“.
Sicher spielt auch eine wichtige Rolle, daß dank der zuverlässigen Unterstützung der Reihe durch die „Freunde der Wuppertaler Bühnen“ seit jeher die Finanzierung gesichert war und ist. Und bei Engpässen haben die JazzAGe und das Kulturbüro ebenfalls stets geholfen. Der Wuppertaler Erfolg führte übrigens dazu, daß Wolfgang Schmidtke die Idee des Nachtfoyer später parallel auch in

Foto © Frank Becker
Dresden und Bremen mit guter Resonanz verwirklichen konnte.
 
Ob es Mitschnitte gibt, beantwortet Schmidtke vorsichtig optimistisch: „…schon, einige, aber es sind noch Schätze zu heben.“ Einen Schatz hat er nicht nur gehoben, sondern vor wenigen Tagen für eine CD abgemischt: Das Thelonious Monk-Programm „Monk’s mood“, 2001 arrangiert von Schmidtke und eingespielt vom Wolfgang Schmidtke Orchestra mit dem Gast Alexander von Schlippenbach, dem seinerzeit zum ersten Mal außerhalb Berlins ein solches Programm angeboten worden war. Noch vor dem Sommer soll das Album fertig sein – eine Herzensangelegenheit für Wolfgang Schmidtke.
Z
uvor aber wird man sein Nachtfoyer noch ein paar Mal besuchen und genießen können:

Samstag, 12. Februar, 23:00
 
Schauspielhaus Wuppertal Elberfeld
Philipp van Endert Trio
Philipp van Endert (g), André Nendza (b), Kurt Billker (dr)
 
Samstag, 26. März, 23:00 
Schauspielhaus Wuppertal Elberfeld
Arkady Shilkloper (h, flh) und Vadim Neselovskyi (p)
 
Samstag, 09. April, 23:00 
Schauspielhaus Wuppertal Elberfeld
Die freundliche Übernahme
Robert Landfermann (b), Niels Klein (ts, bcl), Jonas Burgwinkel (dr)
 
 
© 2011 Frank Becker - Eine Druck-Version dieses Artikels finden Sie ab Februar
im Kulturmagazin "Die Beste Zeit"