Eine Kindheit in Berlin (4)

Volksschule und Lyceum in Friedenau

von E.G.

E.G.undat. - Foto © Musenblätter
Eine Kindheit in Berlin
(4)



Es hieß auch Abschiednehmen von meiner Schule und den Mitschülerinnen, sowie dem geliebten Lehrer. Jetzt kam ich in die für mich zuständige Volksschule in Friedenau, die in der Rubensstraße lag, nur  Minuten von unserer Wohnung entfernt, was sehr angenehm war. In meiner Kindheit war der Schulablauf so, daß man 3 Jahre die Volksschule besuchen mußte, bevor man auf das Lyceum oder Gymnasium gehen durfte. Das Lyceum schloß mit der Mittleren Reife, das Gymnasium mit dem Abitur ab. Wer keine höhere Schule besuchen wollte, blieb 8 Jahre auf der Volksschule bis zum Abschluß. Ich hatte nur noch ½ Jahr Volksschule vor mir, um dann auf das Lyceum zu gehen. Das Lyceum, die Fontane-Schule, befand sich im gleichen Gebäude wie meine neue Volksschule, so daß es der selbe Schulweg blieb.

Zurück in Friedenau
 
Nun war ich also an meine Geburtsstätte zurückgekehrt, in unser kleines, bescheidenes Häuschen. Ja, es war äußerst bescheiden, das muß ich sagen. Wir hatten ein gemütliches Wohnzimmer, in dem ich auch schlief, eine große Küche, die zur Hälfte zum Schlafzimmer meiner Mutti umfunktioniert war (mit Bett und Kleiderschrank darin), dann einen großen Flur, wir sagten Korridor, in dem ein zweiter großer Kleiderschrank stand und in dessen erweitertem Ende später mein Bett aufgestellt wurde. Die Toilette war klein und kalt (kein gekacheltes Bad!), und dort wurden in einer Ecke im Winter die Kohlen für den Wohnzimmerofen gestapelt, um sie nicht ständig aus dem Keller holen zu müssen. Damit bin ich beim Thema Heizung angelangt: Im Wohnzimmer stand ein weißer Kachelofen, den zu heizen eine Wissenschaft für sich war, die ich später auch perfekt erlernte. In der Küche gab es einen großen Kachelherd, der nie benutzt wurde, weil das Ding keinen „Zug“ hatte. Er qualmte fürchterlich, wenn man versuchte, ihn zu heizen. Also ließen wir es. Es war eine kalte Wohnung, man wurde abgehärtet. Der Herd war nur Abstellfläche und daneben auf einem Schränkchen waren zwei Gaskocher installiert, auf denen gekocht wurde. Es gab eine Wasserleitung mit Ausguß (kein Spülbecken) und daneben stand ein Ständer mit einer Waschschüssel, die der morgendlichen Toilette diente. Gebadet wurde in einer großen Email-Wanne, wofür man das Wasser auf dem Gas erhitzte, eine mühsame Angelegenheit. Um keinen Preis der Welt möchte ich heute so primitiv wohnen.
 
Aber für meine Mutti war sicher nichts Besseres finanzierbar. Und doch habe ich dort eine überaus glückliche Kindheit verlebt. Zwischen meiner Mutti und mir herrschte eine wunderbare Harmonie, die nur Zufriedenheit zuließ. Überhaupt habe ich während meiner Kindheitsjahre in meinem gesamten Umfeld, ganz gleich ob in der Familie oder im Freundeskreis, nur Liebe und Freundlichkeit kennen gelernt, vielleicht hat das den Grundstein zu meiner bis heute positiv gebliebenen Lebenseinstellung gelegt, die auch spätere Enttäuschungen nicht zerstören konnten. Allerdings haben die letzteren aus dem ursprünglich so schüchternen und alles akzeptierenden Wesen einen oft kritischen und auch rebellierenden Menschen gemacht.
 
Gaslicht

Um noch einmal auf das Thema „Energie“ zurückzukommen: Wie schon geschildert, kochten wir auf Gas und hatten Gasbeleuchtung, wie alle übrigen Hausbewohner auch. Mit der Beleuchtung verhielt es sich folgendermaßen: in die jeweilige an die Gasleitung angeschlossene Lampe wurde ein „Glühstrumpf“ eingesetzt oder geschraubt. An dem Gasanschluß der Lampe hingen zwei Kettchen, eins mit dem Anhänger „A“ für „auf“, eins mit dem Anhänger „Z“ für „zu“. Wollte man die Lampe anschalten, zog man an „A“ und entzündete das ausströmende Gas mit einem Streichholz, so daß über den „Glühstrumpf“ das Licht verbreitet wurde. Zum Ausschalten zog man dann an dem „Z“, die Gaszufuhr wurde unterbrochen und das Licht erlosch. Es war sehr wichtig, das „Z“ richtig herunterzuziehen, damit nicht evtl. noch unkontrolliert Gas entweichen konnte. Den Glühstrumpf zu beschreiben, ist etwas kompliziert, aber ich will es versuchen. Es war ein ca. 5cm langes, röhrenähnliches Gebilde, unten abgerundet, das laut Lexikon aus einem textilen Gewebe bestand und in einer Fassung (Metall oder Porzellan?) saß, die in die Lampe geschraubt wurde. Dieses Gewebe durfte man beim Anzünden oder Ausschalten der Lampe nicht berühren, weil es sofort zerstört  wurde. Jede Wohnung hatte einen Gaszähler, der mit Münzen gefüttert werden mußte, um Gas in die Leitungen einzuspeisen, und das war die Bezahlung des Verbrauchs. – Wir behielten  das Gas als Energie, bis wir im Jahre 1932 in eine andere Wohnung umzogen. Zwar hatte man meiner Mutti zwischenzeitlich angeboten, sich  Elektrizität in die Wohnung legen zu lassen – auf eigene Kosten – , was sie jedoch ablehnte, da sie nicht bereit war,  für ihr Geld dem Hausbesitzer den Wohnungswert zu erhöhen.
 
Trotz all der negativen Aspekte unserer kleinen, kargen Wohnung habe ich dort doch sehr schöne  Jahre verlebt, an die ich immer gern zurückdenke.
 
Von der Volksschule aufs Lyceum

Jetzt will ich versuchen, meine Erinnerungen an diese Jahre hervorzuholen, die mit dem Besuch der dortigen Volksschule für ½ Jahr  beginnen. Was die schulischen Leistungen betraf, hatte ich keine Schwierigkeiten. Weiter weiß ich von dieser Zeit kaum etwas.
Aber  dann kam die Aufnahme in das Lyceum, und ich möchte sagen, hiermit eine ganz neue Erlebniswelt für mich. Unser Klassenlehrer wurde der an dieser Schule allseits beliebte Lehrer, „Pappa“ Görsch, weißhaarig und mit weißem Schnäuzer. Ein Einschulungsbild  zusammen mit ihm zeigt mich ganz unscheinbar inmitten der anderen Mitschülerinnen; aber er steht wirklich stattlich hinter der Klasse.


E.G., Erstes Jahr im Lyceum bei "Pappa" Görsch, 1923 - Foto © Musenblätter
 
Pappa Görsch war nicht nur ein guter und freundlicher Lehrer, sondern auch der Verfasser verschiedener kleiner Theaterstücke, die um die Weihnachtszeit herum in der Schulaula aufgeführt wurden. Für die Jüngsten der Schule, also unsere Klasse, hatte er für einige wenige, zu denen ich glücklicherweise auch gehörte, kleine Partien eingebaut, wie z.B. als tanzende Libelle. Ich kann gar nicht beschreiben, mit welcher Begeisterung ich bei diesen Theateraufführungen mitmachte, denn ich hatte tatsächlich jedes Mal eine kleinere oder größere Rolle. Einmal mußte ich u.a. nach der Melodie „Sah ein Knab´ ein Röslein stehn“ einen kleinen dramatischen Tanz  aufführen. Diese Aufführungen machten die Schule, in die ich sowieso so gerne ging, für mich noch wichtiger. Damals versuchte ich, meine Mutti zu überzeugen, dass sie mich Tänzerin werden lassen sollte. Aber da stimmte sie leider nicht zu!
 
Freundschaften

Im Laufe der sieben Jahre, die ich die Schule besuchte, hatte ich selbstverständlich einige Schulfreundinnen, die - bedingt durch äußere Umstände - wechselten. Ich selbst hatte schon damals einen Hang zur Treue, der mir bis heute geblieben ist. Damit will ich sagen, ich hätte nie mutwillig eine Freundschaft beendet. Meine erste „beste“ Freundin, wie wir damals sagten, hieß mit Vornamen so wie ich, und das fanden wir einfach toll. Sie hatte, soweit ich das damals beurteilen konnte, ein wohlhabendes Elternhaus, denn, wie ich fand, wohnten sie sehr komfortabel. Ich war des öfteren nachmittags bei ihnen und genoß den Aufenthalt bei ihnen sehr.  Diese Freundschaft wurde leider später dadurch beendet, daß meine Freundin umgeschult wurde, also auf eine andere Schule kam. Für mich war das ganz schlimm, aber ich fand zum Glück bald wieder eine nette Freundin und der Kummer war vorbei .
Eines Tages hörte ich von einer Mitschülerin, die in der Nähe meiner  früheren Freundin  wohnte, daß deren Mutter sich das Leben genommen hatte, und zwar durch einen Sturz vom 4. Stock des Treppenhauses in die Tiefe. Ich war damals sehr erschüttert und konnte es einfach nicht begreifen. Aber meine Freundin hatte nach dem Abgang von unserer Schule jeden Kontakt zu mir abgebrochen, so daß ich nicht wagte, mich jetzt in dieser für sie so entsetzlichen Situation mit ihr in Verbindung zu setzen. Dabei hätte ich sie so gern zu trösten versucht, hatte ich ihre Mutti doch gut gekannt.



Lesen Sie nächsten Sonntag hier mehr über diese Kindheit, nun ungefähr vor 90 Jahren
Redaktion: Frank Becker - © 2011 Musenblätter