...and one more for the road...

Souvenir - Eine Phantasie über das Leben der Florence Foster Jenkins

von Frank Becker
Madam Flo

oder

Der Hölle Rache

"Souvenir" - Desirée Nick glänzt in Stephen Temperleys
"Phantasie" über das Leben der Florence Foster Jenkins




Ein einzigartiges Phänomen


Wer Oper liebt, kennt die Exzentrikerin Florence Foster Jenkins (1868-1944). Wer sie nicht liebt -
auch. Denn diese, nun ja, (ahem) Sängerin hat es geschafft, Freund und Feind des Genres zu sich - aus welchem Beweggrund auch immer - weinend in den Armen liegenden Massen zu vereinigen. Unvergeßlich ihre Version von "Mein Herr Marquis" aus der "Fledermaus", geradezu bestürzend Bachs Prelude Nr. XVI aus ihrer Kehle und wer könnte das je übertreffen: Florences Arie der Königin der Nacht aus Mozarts Meisterwerk "Die Zauberflöte". Ein Schallplattenaufnahme, die bis heute ihren Hörern die Tränen in die Augen treibt. Stephen Temperly hat sich mit einem Theaterstück dieses einzigartigen Phänomens und seiner völlig unbegreifbaren musikalischen Hintergründe angenommen: "Souvenir" hat er es genannt und sich mit dem Zusatz "Eine Phantasie über das Leben der Florence Foster Jenkins" klug von der Realität abgesetzt. Dennoch, die dramatis personae, Madam Flo und ihr Begleiter am Klavier Cosme McMoon waren Individuen aus Fleisch und Blut. Menschen mit Gefühlen und einer großen Liebe zur Musik. Ihnen mußte man gerecht werden, wollte man aus der Geschichte der fürchterlichen Sängerin keine Klamotte machen.

Grandios: Désirée Nick

Dem Stück, der hervorragenden Regie von Torsten Fischer und vor allem einer glänzenden Darstellerin in der Hauptrolle ist nicht nur ein fulminanter Theaterabend zu verdanken - weit mehr, ein völlig neuer Blick auf ein zerrissenes, bedauernswertes Geschöpf mit Seele. Der Diseuse, Schauspielerin und berüchtigten Selbstdarstellerin Désirée Nick, von der ich von heute an aus tiefstem Herzen mit dem Ehrentitel "Die Nick" sprechen werde, gelingt es zutiefst berührend, diese von grenzenloser Selbstüberschätzung, hoffnungslosem Untalent und geradezu rührender Unfähigkeit zur Selbstkritik gezeichnete Frau zu verkörpern - ein bedauernswertes Geschöpf mit Seele. Für jene, die
Florence Foster Jenkins nicht kennen: sie war eine reiche New Yorker Witwe, der Wohltätigkeit ebenso zugetan wie dem Gesang, wobei sie jeden Talentes bar war. Doch im unerschütterlichen Glauben an die eigene sängerische Größe unterhielt sie über geschlagene 12 Jahre die New Yorker Gesellschaft mit Konzerten im Ritz Carlton, der Town Hall und schließlich - Traum eines jeden Künstlers - 1944 in der Carnegie Hall.

Sympathisch: Christoph Schobesberger

An ihrer Seite war als Begleiter am Klavier während alles dieser Jahre der talentierte Cosme McMoon, Studienfreund ihres Neffen, der zunächst des ordentlichen Honorars wegen, später - hier ist man auf Vermutungen angewiesen - aus einer gewissen Treue und Gewöhnung. Neben der in perfekten Kostümen (Andreas Janczyk) und großartiger Maske (Sabine Guthke-Pooch) glänzenden, schillernden Nick, auf einer verspiegelten, fast ohne Ausstattung funktionierenden Bühne (Vasilis Triantafillopoulos) überzeugt in dieser Rolle mit leisen Akzenten der Reinhardt-Schüler und Mozarteum-Absolvent Christoph Schobesberger, der sich hier als sehr ordentlicher Jazz-Pianist erweist. Ihm gelingt es in dem seit 2008 erfolgreichen Kammerspiel zu vermitteln, wie sehr man sich trotz enormer Unterschiede an einen Menschen gewöhnen, ja ihn zu schätzen lernen kann. Es wird humorvoll, unterhaltend, ja burlesk, jedoch ebenso dramatisch, ernst und tragisch vor allem aber rührend aus der Sicht des Pianisten erzählt, wie alles kam. Schobesberger holt sein Publikum sympathisch in die Geschichte hinein. Wie sich die Menschen vor Lachen in die Fäuste bissen und an die Sessellehnen krallten, ja aus dem Saal flohen, wenn Florence
Foster Jenkins konzertierte. Aber sie kamen wieder, immer und immer wieder. Bei ihrem Carnegie Hall-Konzert gingen die Karten zu überhöhten Schwarzmarkt-Preisen weg wie warme Semmeln. Ein Phänomen.

Cosi... - Öl für die Stimme

Sie hatte keine Stimme, kein Gehör, kein musikalisches Empfinden, anscheinend keine Selbstkritik ("Ich bin doch keine taube Schlampe!") - wagte sich aber an Mozart und Gounod, Strauß, Bach und Delibes. Daß sie allerdings den händeringend verzweifelten Pianisten um Strenge und gnadenlose Ehrlichkeit bat - was er aus Rücksicht nicht wagte - läßt beinahe eine tiefere Einsicht vermuten. Désirée Nick vermittelt das so hautnah, authentisch und geradezu zauberhaft sympathisch "Cosi...  Öl für die Stimme", zugleich wunderbar ungelenk und voller kindlicher Freude am eigenen Tun, daß sie eine ganz andere als die geschmähte, sondern eine fast liebenswerte Florence Foster Jenkins skizziert. Mit der Arie der Königin der Nacht liefert Désirée Nick ein Meisterstück ab - wenn sie auch gelegentlich fast zu schön singt. Aber kreischen wie Florence Foster Jenkins kann selbst die Nick nicht.

In den 12 Jahren der Handlung großartig gealtert, gibt Madam Flo, wie Cosme sie nennt, 1944 ihr berühmtes, legendäres Konzert in der Carnegie Hall und erfüllt sich (und Cosme) damit einen Lebenstraum. Sie muß ihr grandioses Scheitern, nicht nur nach Gounods "Ave Maria" mit mächtigen Engelsflügeln, bemerkt haben. In dieser hochdramatischen, tragischen Szene entäußert sich die Schauspielerin so mitreißend, daß aus dem Saal auch nicht ein noch so winziges Geräusch stört. Vier Wochen nach dem Konzert, am 26. November 1944, stirbt Florence Foster Jenkins. Arturo Toscanini schickte Blumen.



Das Theater im Rathaus Essen gibt "Souvenir", eine Produktion des Renaissance Theaters Berlin, noch bis zum 14. März en suite. Die Musenblätter-Empfehlung: hin, unbedingt hin. Sie werden für den Weg - so weit er auch sei - reich belohnt.

Weitere Informationen unter:
www.theater-im-rathaus.de