Die Operette lebt!

Fred Raymonds "Maske in Blau" in Coburg

von Alexander Hauer
Coburg
Maske in Blau
 

Deutschland 1937

 
Nach der erfolgreichen Vertreibung und/oder Vernichtung erfolgreicher Operettenkomponisten, weil entweder Juden, Kommunisten oder schwul, schlug die große Stunde der Epigonen. Fred Raymond, der musikalische Autodidakt, gehörte dazu. Nach anfänglichen Erfolgen mit Schlagern wie „ Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren“ 1923 und dem Shimmy „ Ich hab‘ das Fräul’n Helen baden sehn“ 1924, schuf er zusammen mit Fritz Beda-Löhner, der später von Raymonds braunen Brötchengebern im KZ Auschwitz erschlagen wurde, ein erfolgreiches Singspiel „Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren“ um das gleichnamige Lied.
Raymond wurde 1934 von Hitlers/Göbbels/Görings Gnaden ans Berliner Metropoltheater, die führende Operettenbühne Deutschlands, als Hauskomponist verpflichtet, um die Lücke zu schließen, die mit der Verbannung von Abraham, Kalman und weiterer Größen, entstanden war. Neben der „Maske in Blau“ bleibt heute nur noch das Ersatzstück für das „verjudete“ weiße Rössl, „Saison in Salzburg“, Kiel 1938, in Erinnerung.

„Maske in Blau“ knüpft stilistisch an Abrahams „Blume von Hawaii“1931 und den „Ball im Savoy“1932 an. Die starre, in einzelne Akte aufgeteilte Operettenform weicht einer lockeren Bilderfolge, die in diesem speziellen Fall, auch eine Verbeugung vor der politischen Verbündeten der Zeit ist.
 
Karnevalsamstag, trotzdem ausverkauftes Haus.

Hans Stähli am Pult des Philharmonischen Orchesters Coburg läßt die Potpourriouvertüre gemütlich und unaufgeregt angehen, steigert sich aber schnell in synkopische Ausgelassenheit. Der geplante Funke zündete, das Spiel begann. In dem stimmungsvollen Bühnenbild von Dietrich von Grebner, die Kostüme von ihm sind leider nicht alle gelungen, wartet der Maler Armando Cellini (voll tenoralem Schmelz Milen Bozkhov) auf eine schöne Unbekannte, die er vor einem Jahr blaumaskiert portraitierte. Zusammen mit seinen Freunden Seppl Fraunhofer (mitreißend quirlig Karsten Münster), Juliska Varady (Sofia Kallio in ihrem gelungenem Soubrettendebüt) und Franz Kilian (Stephan Bieker gibt der Rollenbezeichnung „drastischer Komiker“ tiefere Bedeutung) ist er in San Remo, um den ersten Preis der Frühjahrsaustellung entgegenzunehmen. Da reist die junge Plantagenbesitzerin Evelyne Valera (bezaubernd Betsy Horne) mit ihrem Major Domus Gonzala (Coburgs Mann für alle Fälle Stephan Mertl) an. Armando ist sofort von der Schönen fasziniert, ist sie doch die schöne Unbekannte, die sich nur nicht gleich zu erkennen gibt. Aber, wie könnte es anders sein, das Böse ist auch gleich zur Stelle. Pedro dal Vegas (eher komisch als verschlagen Niklaus Scheibli) buhlt ebenfalls um die Gunst Evelynes. Nach vielen Verwicklungen, verschwundenen Taschen, gestohlenen Ringen und viel zu kurzen zweieinhalb Stunden, finden sich die Liebenden.


Geniale Regie

Diese ballaststofffreie Revue findet in Volker Vogel einen genialen Regisseur. Mit scheinbar leichter Hand treibt er die Handlung voran, treibt sein Spiel mit Geschlechteridentitäten und -selbstverständnissen, so bei der schmissig-schönen Westerwald- Parodie und dem Swing Fox „Was nicht ist, kann noch werden“. Die Herren des ausgezeichneten Balletts als Putzfrauengeschwader waren da genauso voll drastischer Komik wie Kilians kölsches Knickhändchen (Aloha!), wenn er das Angeln meinte. Überhaupt gaben Bieker und Mertl gemeinsam dem Affen Zucker. Der eine deftig, der andere vornehm zurückhaltend, waren die beiden einer der Glanzpunkte der Show.

Tara Yipp choreographierte zum ersten Mal in Coburg. Die Tänze wurden präzise und unter Ausnutzung der kleinen Bühne ausdrucksstark und raumgreifend dargeboten. Aber sie choreographierte nicht nur das Ballett, auch die Solisten und der Chor mußten ran. Und das ist für gestandene Opernsänger nicht immer selbstverständlich. So konnte Sofia Kallio endlich einmal ihr komödiantisches Talent als Juliska auch tänzerisch darbieten. Nach der schmissigen Csárdás „Die Juliska aus Budapest“, dem lyrischen Walzer „Frühling in San Remo“ und der berückenden Kantilene „Schau einer schönen Frau nicht so tief in die Augen“ kam es dann aber im Argentinienbild zum Höhepunkt der „Maske“, dem faszinierend mitreißendem „Sassa Sassa“. Welchen Sog dieses Lied hat, wenn es nicht gerade von den Mainzer Hofsängern vergewaltigt wird, erlebte man am Premierenabend in Coburg. Ein Chor, wie immer sängerisch überragend einstudiert von Stefan Meier, wuchs schier über sich hinaus. Angeführt vom Ballett und den Solisten sprang der Zauber auch hinunter in den Zuschauerraum.


Das dünne Eis der leichten Muse: tragfähig

Wie auch schon in „Crazy for you“ bewies das Opernensemble des Landestheaters Coburg, daß es nicht nur sängerisch Spitze ist, sondern sich genauso sicher auf dem dünnen Eis der leichten Muse bewegen kann. Volker Vogel zeigt mit seiner „Maske“, daß die seit den 68ern so verpönte, Operette  ihren festen Platz auf den Bühnen verdient, wenn sie klug inszeniert, spritzig choreographiert und vor allem hervorragend musiziert wird. Den Mief der jungen BRD trieb er erfolgreich aus, die schlechten Bearbeitungen der Fernsehoperette der 70ern macht er mit seiner gestrafften, aber nicht entstellenden Version vergessen. 
Der Abend endete unter schier nicht endendem Applaus, der nur durch Einschalten der Saalbeleuchtung ein Ende fand. Eine Wiederholung des „Sassa“ wäre schön gewesen, hätte aber vielleicht, zum Abrocken des Hauses geführt. Selten waren die Coburger so beigeistert.

Fotos © Henning Rosenbusch
Weitere Informationen unter:
www.landestheater-coburg.de

Redaktion: Frank Becker