Eine Kindheit in Berlin (8)

Detektor und Grammophon

von E.G.

In Elsässer-Tracht - Foto © Archiv Musenblätter
Eine Kindheit in Berlin
(8)



Sehr deutlich in meiner Erinnerung ist auch die Erfindung des Radios. Plötzlich hörte man von dieser Erfindung mit der man „von irgendwoher“ Töne aufnehmen und hören konnte. Mutti - eine moderne Frau - kam eines Tages nach Hause und brachte diese neue Erfindung mit.

Detektor und Grammophon

Es handelte sich um eine Art Kasten, ca. 25 x 25 cm Fläche, auf dem oben ein „Stein“ befestigt war. Außerdem befand sich auf dem Kasten ein „Detektor“, für meine damaligen Begriffe eine Art kleiner Hebel, an dessen Spitze sich ein dünner Draht befand, mit dessen Spitze man über den Stein tastete, während man gleichzeitig Kopfhörer aufhatte, die irgendwie mit dem Kasten verbunden waren. Meine Mutti saß also vor ihrem Kasten, Kopfhörer auf und tastete den Stein mit dem Detektor ab, wobei es gelingen konnte, Laute, Töne, Worte und sogar Musik einzufangen. Währenddessen mußte es im Raum mucksmäuschenstill sein, damit dem Radiohörer auch nicht die kleinste Kleinigkeit entging. Das Ganze war eine Tortur, sowohl für den „Radiohörer“ als für den Danebensitzenden. Aber genau so stellt sich in meiner Erinnerung diese Erfindung dar. Einige Zeit danach wurde dann das Radio laufend verbessert, aber diese Entwicklungsschritte konnte ich nicht mitverfolgen, da Mutti nach der Anfangsenttäuschung mit dem Detektorapparat daran nicht mehr interessiert war. Wir bekamen unser erstes richtiges Radio erst viele Jahre später, als wir in eine Wohnung mit elektrischem Strom umgezogen waren und nun einen ganz modernen Radioapparat mit Plattenspieler anschafften. Bis dahin hatte uns unser Grammophon mit seinen Schallplatten zur Unterhaltung gedient und große Freude bereitet. Dies Grammophon war auch schon neuerer Bauart und hatte keinen Trichter mehr, wie die früheren Geräte, sondern der Ton kam unten aus einem im Gerät eingebauten Schalltrichter heraus. Die Lautstärke regelte man, indem man zwei hölzerne Türchen mehr oder weniger öffnete. In Betrieb gesetzt wurde der Apparat mittels eine Handkurbel, und wenn der Plattenteller sich nach lösen einer Bremse drehte, setzte man einen Hebelarm mit Membrankopf, in den man eine stabile „Nadel“ eingesetzt hatte, auf den äußersten Rand der Schellackplatte, den Beginn der Musikaufnahme. Als wir unser Grammophon neu hatten, war es einfach ein Erlebnis, die ersten
Platten zu hören.


Ruder-Idylle am Stölpchensee - Foto © Archiv Musenblätter

Geburtstagsfeiern zu Silvester

Zu Silvester, an meinem  Geburtstag, wenn sich sehr viele Familienmitglieder bei uns versammelten, wurde unser nicht gerade riesiges Wohnzimmer zum Tanzparkett. Die Möbel wurde soweit wie möglich zusammengerückt, Schallplatten aufgelegt, und wir tanzten!  Das war gemütlich und vergnügt. Inge, die natürlich auch dabei war, wurde neben dem Kachelofen in eine Ecke gesetzt und konnte bis zum Einschlafen allem beiwohnen. Wenn ich überlege, dann waren wir manchmal 10-12 Personen! Und wir haben es nicht als zu eng empfunden. Fröhlich feierten wir ins Neue Jahr. Später, als ich größer war, habe ich es oft verwünscht, am 31. Dezember Geburtstag zu haben, alle feierten bei mir, gingen dann nach Hause und für mich begann das Neue Jahr mit Aufräumen, Abwaschen und Saubermachen! Eines Tages - aber da war ich schon verheiratet - habe ich dann gestreikt und gesagt: „Schluß mit meinen Geburtstagsfeiern, ich möchte das neue Jahr auch mal in Ruhe beginnen und nicht mit Arbeit!“ Es hat funktioniert. Aber schön waren die Feiern in unserer alten Wohnung in der Menzelstraße doch. Für mich sind sie unvergessen!
 
Meine Freundin Margot verließ unsere Schule schon 2 Jahre früher und besuchte eine Handelsschule, was unserer Freundschaft keinen Abbruch tat, da wir uns ja täglich in der Menzelstraße trafen. Margots Eltern waren Mitglieder im Club der Elsässer, weil ihr Vati ein gebürtiger Elsässer war. Es war einfach selbstverständlich, daß ich mit von der Partie war, wenn der Club sein Jahresfest feierte. Einmal nahmen wir beide in echten Elsässer-Kostümen an einem Umzug zum 1. Mai teil, eine Veranstaltung, die die Nazis ins Leben gerufen hatten. Wir  hatten mit der Politik ja absolut nichts zu tun, es machte uns nur einfach Freude, dabei zu sein.

Die schöne Mutti - Foto © Archiv Musenblätter
Ach, von einem Abschlussball von Margots Handelsschule muß ich noch erzählen. Margot und ich (selbstverständlich) machten den zusammen mit unseren Müttern mit. Als der erste junge Mann auf unseren Tisch zusteuerte, weil der Tanz begann, wurde es spannend, wen er auffordern würde! Und wir konnten es nicht glauben, dieser Mensch forderte meine Mutti zum Tanz auf! Er kam  hartnäckig immer wieder, um sie aufzufordern. Er erklärte ihr, er habe sich in sie verliebt und müsse sie unbedingt wiedersehen! Ihr Hinweis, daß sie viel zu alt für ihn sei, nützte nicht viel Mutti war damals ungefähr 40 Jahre alt und er ein Jüngling von ca. 20 Jahren. Aber für mich war das ein Beweis, was für eine gut aussehende Mutti ich hatte. Es machte mich stolz!
 
 
 

Hier enden die Aufzeichnungen. Die Verfasserin starb 2008 im gesegneten Alter von 93 Jahren.

Redaktion: Frank Becker