Das Cello als Instrument völliger Entrückung

Wassily Gerassimez verzauberte mit Elgars Cello-Konzert

von Frank Becker
Das Cello als Instrument
völliger Entrückung
 
Wassily Gerassimez verzauberte
mit Elgars Cello-Konzert
 
 
Das jährliche Konzert der Bergischen Symphoniker mit Bundespreisträgern des Wettbewerbs „Jugend musiziert“ unter dem Titel „Total genial“ ist in Remscheid längst zu einer schönen, klangvollen Institution geworden. Auch am vergangenen Freitag gab es, humorvoll und informativ von Ulrich Mutz moderiert, im bestürzend schwach besetzen großen Saal des Teo Otto Theaters wieder eine Begegnung mit außergewöhnlichen Talenten: Irina Kalinowska (Viola), Jan Degenhardt (Schlagwerk) und Wassily Gerassimez (Violoncello).
 
Neben dem Schlagwerk-Virtuosen Degenhardt waren im Orchester vier weitere Schlagzeuger aufgeboten, dazu viel Blech und ein großer Streicherapparat, um Christopher Rouses Fantasie für Schlagwerk und Orchester „Der gerettete Alberich“ aufzuführen. Ungewöhnlich das 28-minütige Stück, das auf der Theorie fußt, Wagner habe seinen „Ring“-Zwerg Alberich die Götterdämmerung überleben lassen. Nicht minder erstaunlich die musikalischen Mittel, die Rouse zur Verwirklichung seiner orchestralen Endzeit-Vision einsetzt. Da mangelt es nicht an Bongos und Snore, Fußpauke und Klangkisten, Steeldrum, Ratschen, Marimbaphon und großem Drumset - von Kesselpauken, Glockenspiel u.a.m. gar nicht zu reden. Vor den schwebenden, fast sphärischen Hintergrundklängen der von Leo McFall sensibel geleiteten Symphoniker setzte der erst 19-jährige Solist das komplizierte Werk mit all seinen gewaltigen Klangorgien, arhythmischen Kirmesorgel-Tönen, Versatzstücken von Richard Strauss, George Gershwin, Richard Wagner und Buddy Rich beeindruckend um. Zweifel an der Halbwertzeit der kulinarisch an eine Schlachtplatte erinnernden Komposition müssen allerdings geäußert werden.
 
Ein luftiges Baiser zwischen zwei monolithischen Blöcken war Carl Stamitz´ Viola-Konzert op. 1, das von Irina Kalinowska (19) mit viel Gefühl, virtuoser Fingerarbeit und feiner Bogenführung ganz hervorragend aufgeführt wurde. Hell und licht das Allegro, das von der sonoren Stimme der Viola stark ausgefüllt wurde, das Andante moderato ein Ausflug in die Ruhe der Besinnlichkeit und zeittypisch tänzelnd, heiter und frisch das abschließende Rondo.
 
Für Edward Elgars spätromantisch melancholisches Cello-Konzert op. 85, von dem Jacqueline Dupré als von einem „Destillat einer Träne“ gesprochen hat, rüstete das Orchester auf: wieder großer Streicherapparat und viel Blech. Auf dem Podium nimmt Wassily Gerassimez Platz, der jugendlich wirkende, hoch aufgeschossene Solist mit einem historischen französischen Chanot-Violoncello aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Nach kurzer Sammlung setzt er den Bogen zu einem ergreifenden, gewaltigen Adagio (Moderato)) an, das tief durchatmen und träumen lässt, aber auch mit überraschenden Pizzicati aufwartet. Das Lento (Allegro molto) offenbart kraftvoll erneut die überragenden, beinahe nicht zu glaubenden Fähigkeiten des jungen Cellisten, dem man atemlos folgt. Im zweiten Adagio wird Jacqueline Duprés Zitat wunderschön eingelöst – man mochte sich nur noch fallen lassen, sich völlig der Musik hingeben und die Welt vergessen. Gerassimez setzte sein

Foto: Deutsche Stiftung Musikleben
Cello als Instrument der vollständigen Entrückung ein – glücklich, wer dabei war. Voller Temperament, in der Tat „Total genial“ ging er das abschließende Allegro an – schwindeln machend die unerhört artistische Fingerarbeit, das (mitunter zweihändige) Führen des Bogens. Sein Gefühl für die Seele des Stückes sprang spürbar aufs Publikum über, schien sogar das ohnehin hervorragend aufgestellte Orchester zu neuen Höhen zu inspirieren.

Ein Geschenk. Ein ganz großes Konzert-Erlebnis, eine Delikatesse, deren Rang nicht hoch genug einzuschätzen ist. Gerassimez steht eine große Zukunft offen, und wer ihn jetzt nicht erlebt hat, wird später sehr viel Geld für eine Konzertkarte ausgeben müssen.
 
 
Die Deutsche Stiftung Musikleben über Wassily Gerassimez:
 
Wassily Gerassimez (*1991 in Essen) erhielt im Alter von fünf Jahren seinen ersten Violoncellounterricht bei Birgit Saeger an der Musikschule Velbert. 1999 wechselte er zu Mechthild van der Linde nach Dortmund und war von 2002 bis 2006 Jungstudent an der Robert Schumann-Hochschule Düsseldorf in der Klasse von Prof. Gotthard Popp. Zusätzlich begann er 1999 mit Klavierunterricht bei Ida Jahner-König in Wuppertal. 2006 wurde Wassily Gerassimez Jungstudent bei Prof. Michael Sanderling an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main. 2008 wechselte er zu Prof. Peter Bruns an die Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin. Er ist außerdem Schüler des Carl-Philipp-Emanuel-Bach Musikgymnasiums in Berlin. Wassily Gerassimez besuchte internationale Meisterkurse bei Gustav Rivinius und Dobrila Berkovic-Magdlenic und nahm an der „Gocher Stringtime“ für Solo, Kammermusik und Orchester sowie an internationalen Meisterkursen für Streicher in Kloster Schöntal und in Weikersheim teil.
Der junge Cellist gewann bereits zahlreiche Preise bei Wettbewerben im In- und Ausland: Bei „Jugend musiziert“ war er mehrfacher 1. Preisträger in den Kategorien Kammermusik, Duo und in der Solowertung. Bei den Bundeswettbewerben 2004 und 2006 erspielte er sich 1. Preise und wurde für seine beispielhafte Interpretation zweier Stücke aus den „Zehn Präludien“ von Sofia Gubaidulina (*1931) mit dem Hans Sikorski-Gedächtnispreis der Deutschen Stiftung Musikleben ausgezeichnet. 2010 folgte ein Sonderpreis der Stiftung. 2002 erspielte er sich den 1. Preis beim Internationalen Wettbewerb für Violoncello in Liezen/Österreich und im Februar 2005 einen 1. Preis beim 3. Internationalen Dotzauer-Wettbewerb in Dresden. 2006 wurde er im Trio mit seinen Brüdern Nicolai (Klavier) und Alexej Gerassimez (Schlagzeug) mit dem Aalto-Bühnen-Preis in Essen ausgezeichnet.
2005 spielte er als Solist bei den Schwetzinger Festspielen mit der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz und trat ebenfalls mit der Neubrandenburger Philharmonie auf. Er konzertierte in Monaco und Österreich und trat bei dem Musikfestival „The Next Generation III“ auf, 2007 beim Schleswig-Holstein Musik Festival und 2009 bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern sowie beim Zermatt Festival. Ebenfalls 2009 debütierte er mit dem Konzerthausorchester Berlin und spielte 2010 zum 20. Jahrestag des Mauerfalls in Berlin bei der feierlichen Eröffnung des Besucherzentrums der „Gedenkstätte Berliner Mauer“.
Die Deutsche Stiftung Musikleben präsentierte Wassily Gerassimez auf zahlreichen Konzerten, u.a. 2007 zum Anlass des 45. Stiftungsjubiläums auf Einladung des Bundespräsidenten im Schloss Bellevue und 2009 beim Blankeneser Kirchenkonzert in Hamburg. Dank einer großzügigen Spende eines Freundeskreismitglieds der Stiftung erhält Wassily Gerassimez seit März 2009 ein monatliches Förderstipendium der Deutschen Stiftung Musikleben. Von 2004 bis 2007 wurde der Stipendiat der Deutschen Stiftung Musikleben auch von der Jürgen Ponto-Stiftung und 2008 von der Werner Richard - Dr. Carl Dörken Stiftung gefördert.
Als mehrfacher Preisträger des Wettbewerbs des Deutschen Musikinstrumentenfonds stellt ihm die Deutsche Stiftung Musikleben seit 2003 leihweise ein Instrument zur Verfügung, derzeit spielt Wassily Gerassimez ein Violoncello von Georges Chanot, Paris um 1840, aus dem Besitz der Bundesrepublik Deutschland.