Tanzsensationen

Sufistische Derwisch-Rituale mit dem Galata Mevlevi Ensemble und Ziya Azazi

von Frank Becker

Foto: Alba Kultur
Tanzsensationen
 
Sufistische Rituale
mit dem Galata Mevlevi Ensemble
und Ziya Azazi
 
 
Volksfest-Charakter bekam am vergangenen Samstagabend in Remscheid der Auftritt des Galata Mevlevi Ensembles und des Tanz-Solisten Ziya Azazi Theater durch die Mitwirkung des türkischen Bildungs- und Dialog-Vereins „Spektrum“, dessen Damen vor der Veranstaltung und in der Pause mit einem üppigen, rege angenommenen türkischen und internationalen Büffet aufwarteten. Gut 300, interessanterweise fast ausschließlich deutsche Besucher waren gekommen, um das berühmte und wohl beste sufistische Derwisch-Ensemble der Welt aus Istanbul mit seinem geheimnisumwitterten rituellen Tanz zu erleben. Sufismus ist eine mystische Form des Islam. Ein Sufi (schlicht in Wolle Gekleideter) versucht im Gebet und drehenden Tanz das Selbst zu durchdringen, um negative eigene Eigenschaften zu überwinden und sich Gott zu nähern. 
 
Demut

Abgedunkelte Bühne, Stille: nachdem drei Felle ausgebreitet wurden, eines davon blutrot ausgeleuchtet, beginnt ein minutenlanger schweigender Ablauf. Mit vielen Verneigungen gegen das rote Fell betreten fünf Musiker in schwarzem Umhang und mit dem hohen nahtlosen Filzhut Külah das Podium im Hintergrund, es folgen vier gleich gekleidete Männer und nehmen auf den weißen Fellen davor Platz. Ein fünfter, der Vorbeter Al Sheikh Nail Kesova mit Külah und Destar (Turbanband) setzt sich auf das rote Fell. Ein Sänger stimmt sonor einen Gesang a cappella an, der vom wunderschön klagenden Ton der Ney abgelöst wird. Die Tänzer verharren im Schneidersitz, bis die übrigen Instrumente die langsame Melodie aufnehmen. Wir erleben mittelalterliche Rituale der Demut, völlig aus unserer Zeit heraus gefallen. Zeit scheint auch während des Rituals ihre Bedeutung zu verlieren.


Galata Mevlevi Ensemble - Foto: Alba Kultur
 
Entrückung

Nach einer halben Stunde stummen Schreitens und zahlloser weiterer Verneigungen vor den Würdenträgern und dem roten Fell legen drei Tänzer den schwarzen Umhang ab, um nach einer Segnung durch den Vorbeter und unter dem wachsamen Blick des Ranghöheren in reinweißer Tracht mit wirbelndem Rock ihren Tanz zu beginnen. In bis zu neun Minuten dauernder permanenter Linksdrehung um die Körperachse, bei der mit dem rechten Fuß umgesetzt und der Kopf nach rechts geneigt wird, soll ein Zustand der Entrückung erreicht werden. Die rechte Handfläche der dabei ausgebreiteten Arme zeigt dabei nach oben, um den Segen Gottes zu empfangen, die linke nach unten, um ihn an die Erde weiterzugeben. Zwischen den Drehphasen von sieben, einer, einer und neun Minuten werden Minuten meditativer Pausen mit abermaligen Verneigungen eingelegt. Ein Schlußgesang des Aufsehers und ein Gotteslob des Vorbeters beenden nach 70 Minuten das archaische Ritual in altarabisch/persischer Sprache. Daß nach 65 Minuten ein ungeduldiger Zuschauer „Pause“ in den stillen Saal rief, muß mit Nachdruck als grob unhöflich kritisiert werden. Wer eine solche Veranstaltung besucht, ist ihr Respekt schuldig.

Fotos Galata Mevlevi Ensemble: Alba-Kultur
 

Ästhetik

Ziya Azazi - Foto © Max Moser


Der zweite Teil des Abends mit dem klassisch ausgebildeten anatolischen Solo-Tänzer Ziya Azazi geriet zur gefeierten Tanz-Sensation. Azazi hat den traditionellen Sufi-Tanz in Haltung, Gestik, Drehung und Botschaft übernommen, ihn aber unter dem Titel "Dervish in Progress" in eine faszinierend moderne, energische Adaption übersetzt, mit elektronischen Klangmitteln angereichert und um Elemente des zeitgenössischen Tanzes erweitert. In einem scharf umrissenen Lichtquadrat wirbelt der muskulöse Tänzer dunkel gekleidet und ohne den markanten Sufi-Hut, nach Ablegen der Bluse mit nacktem Oberkörper in beinahe unfaßbar schöner körperlicher und motorischer Ästhetik in gleicher Linksdrehung, aber ungleich schneller, kraftvoller und eleganter. Rock um Rock schält sich von der schwirrenden Achse, dreht sich wie schwerelos über dem Kopf des Tänzers. Auf das Tiefschwarz folgen ein weißer und ein blutroter Rock, welcher schließlich triumphierend wie eine Muleta geschwenkt wird und unter dem Azazi nach 15 Minuten zusammengekauert wie ein kleines Tier im Dunkel verschwindet.
Minutenlanger Jubel des hingerissenen Publikums dankte dem Ausnahmetänzer.



Ziya Azazi - Foto © Max Moser


Fotos Ziya Azazi mit freundlicher Erlaubnis von Max Moser Photography Wien