Dantes Inferno...

Donna Leon - "Wie durch dunkles Glas"

von Frank Becker

Dantes Inferno...

Auch in seinem fünfzehnten Fall stochert Commissario Brunetti wieder - und diesmal wörtlich zu nehmen - auf der Suche nach der Wahrheit im Schlamm der feinen Gesellschaft. Donna Leon hat ihren Roman um den venezianischen Ermittler düster "Through a Glass, Darkly" betitelt, deutscher Titel "Wie durch ein dunkles Glas". Die Insel Murano mit ihren Glasbläsereien steht diesmal im Mittelpunkt der Ereignisse, bei denen es um Umweltverbrechen, Korruption und um einen mysteriösen Todesfall geht. War es ein Unglücksfall oder Mord? Wenn ja, wer hat die Tat begangen und wer hat Interesse daran, den Nachtwächter einer Glasmanufaktur umzubringen?  Welche Rolle spielen bei der Lösung des Falles Dantes "Inferno" und die verschlüsselten Aufzeichnungen des Toten? Wer je eine solche Manufaktur, eine "fornace" besucht und den Maestro bei seiner Arbeit gesehen hat, hat, spürt beim Lesen die grundsolide Recherche der Autorin und genießt die dichten Bilder, welche die ausgewiesene Venedig- Kennerin zeichnet.

Auch an ihren Figuren hat Donna Leon gearbeitet, läßt sie sich entwickeln. Sie gibt den dramatis personae frische Züge und stellt sie teils in neuen, raffinierten Konstellationen zueinander. Das kann natürlich nur der passionierte Brunetti-Fan herauslesen. Wie auch schon bisher bei Donna Leons Romanen spielen
zunehmend die, nennen wir es zurückhaltend "Verknüpfungen" auf gesellschaftlichem Parkett, also auf administrativer, politischer und wirtschaftlicher Ebene, eine zentrale Rolle. Guido Brunetti, seine Frau Paola, sein Assistent Vianello und die geheimnisvolle Signorina Elettra mit den guten Verbindungen verkörpern das vermutlich berechtigte allgemeine italienische Mißtrauen gegen  die mafiosen Strukturen in Verwaltung, Wirtschaft und Justiz - und die stille Auflehnung dagegen. Erfreulich auch, daß Donna Leon Figuren wie dem Bootsführer Foa und Wachtmeister Pucetti eine stärkere Identität gibt und den Vice-Questore Patta mit noch mehr Liebe zum eitlen und korrupten Detail zeichnet. Nicht zuletzt durch seinen brillanten Film-Darsteller Michael Degen ist Patta zu meiner heimlichen Lieblingsfigur im Ränkespiel der Polizei Venedigs geworden.

Geschickt baut Donna Leon in
"Wie durch ein dunkles Glas" trotz der Feenhand des Frühlings, ihrer Blüten und Düfte, die im Roman allenthalben beschworen werden, eine pessimistische, ja bedrückende Stimmung auf, eine Atmosphäre, in der wegen besagter "Verknüpfungen" Recherchen zu Umweltvergehen der Groß- und Kleinindustrie nur heimlich angestellt werden können. Daß dabei ein möglicher Mord den Dreck tiefer aufwühlt, als "interessierten Kreisen" recht sein kann, kommt Brunetti gerade zu pass. Doch er läuft auch hier gegen Wände - bis Patta plötzlich anscheinend auf seiner Seite steht. Das verblüfft nicht nur Brunetti.  Doch der Mord scheint nicht beweisbar, der polisch ambitionierte Verdächtige kann sich der Justiz entwinden - bis sich ein Vaporetto-Kapitän der Linie 42 an einen Schwarzfahrer erinnert....
Ein Buch, das sich flüssig und in einem Zuge lesen läßt, beste Unterhaltung und bewährt von Christa E. Seibicke übersetzt. Nur über eines ärgere ich mich jedesmal aufs neue: wenn die Mobiltelefone  "telefonino" genannt werden. Das habe ich in Italien noch nie gehört! Dort nämlich nennt man sie "cellulare" und nicht anders.

Beispielbild
       Umschlagfoto Thomas Grand

Donna Leon
Wie durch dunkles Glas 

Commissariao Brunettis
fünfzehnter Fall


© 2007 Diogenes Verlag

344 Seiten, Leinen mit Schutzumschlag
21,90 €

Weitere Informationen unter:
www.diogenes.ch