Ein Spiegelbild unserer Zeit

Franz Molnars "Liliom" in Coburg

von Alexander Hauer
Landestheater Coburg 

Liliom
 
Der Liliom, das ist ein schöner Mann“, so sagt eine Frauenstimme in Hans Albers Lied  „Komm auf die Schaukel, Luise“. Nils Liebscher, sicherlich auch ein schöner Mann, spielt in Coburg den Liliom. Aber Liebscher verläßt sich nicht auf seine Schönheit, eher legt er seinen Liliom mit einer reptilienartigen, undurchschaubaren Kälte an. Seiner Wirkung auf Frauen durchaus bewußt, verbirgt er sich hinter einer Maske, die keinerlei Gefühl erahnen läßt. Einzig seine Julie, Anna Staab brilliert in dieser Rolle als „gefallenes“ Dienstmädchen, kann sein Herz erwärmen. Zusammen sind die beiden ein wunderbares Spiegelbild unserer Zeit, in der Gefühle nicht gelebt werden dürfen. Unfähig das magische Wort Liebe auszusprechen, sind sich die beiden verfallen. Der Verlust ihrer bürgerlichen Existenz, er als erfolgreicher Ausrufer beim Ringelspiel der Frau Muskat (voll unterschwelliger Geilheit Kerstin Hänel), sie in halbseriöser Stellung im Haushalt, ändert nichts daran. Man lebt mehr schlecht als recht in den Tag, und Liliom driftet ab in die Kriminalität.


Foto © Andrea Kremper

Zusammen mit Ficsur (Sebastian Pass gibt diesem schmerbäuchigen Kleinstgangster gefährliche Züge) beschließt er Linzmann, den Prokuristen der ortsansässigen Lederfabrik zu überfallen. Doch Linzmann (Helmut Jakobi) wehrt sich und Liliom entzieht sich der Verhaftung durch Selbstmord. Thomas Straus und Sönke Schnitzer sind die beiden ermittelnden Polizisten, die auch vor sexueller Belästigung bei ihren Ermittlungen nicht zurückschrecken. Julie findet Halt und Unterstützung bei ihrer Freundin Marie (Ines Lutz), überzeugend in der Charakterwandlung vom spätpubertierenden Gör zur Kaffeehausbesitzerin, die auch mal in Liliom verschossen war, aber in eine bürgerliche Ehe mit Wolf (Frederic Leberle) geflüchtet ist. Liliom selbst wird von zwei himmlischen Polizisten verhört und zu 14 Jahren Läuterung im rosenfarbenen Feuer verdammt, bevor er dann wieder für einen Tag auf die Erde darf, um seinem Kind etwas Gutes zu tun. Er stiehlt vom Himmel einen Stern, trifft seine Tochter, streitet mit ihr, schlägt sie und stiehlt sich davon. Die Schläge haben Luise genauso wenig geschmerzt wie die Prügel, die ihre Mutter von ihrem Liliom bezog. Einzig der Stern liegt unbeachtet im Dreck.

Andreas Nathusius rettete mit Franz Molnars hart am Kitsch vorbeischrammender Vorstadtlegende ein Stück jener „guten, alten Zeit“ die Friedrich Torberg so wunderbar in seiner „Tante Jolesch“ beschreibt, in unsere Zeit. Die Tatsache, daß er Molnars Stück rund um zwei Drittel des Personals beraubt und es auf 90 kurzweilige Minuten runterkürzt, dient dabei der Sache. So werden aus Liliom, Julie, Frau Muskat und Marie moderne Menschen unserer Zeit, in der Sexualität schon fast eine öffentliche Angelegenheit wird, aber man sich scheut dem Gegenüber seine Zuneigung zu gestehen. Günter Hellweg schuf ein sich ständig drehendes Bühnenbild. „Happiness is a warm gun“ steht in bunten blinkenden Lichtern, die erst mit dem Tod Lilioms aufhören zu leuchten. Happiness is a warm gun, jener mottogebende Beatles-Titel birgt in sich schon etwas abgründiges, ein Gewehr, das noch warm ist, aus dem also vor kurzem erst geschossen wurde. Kann man Glück nur dann genießen, wenn zuvor ein anderer verletzt wurde?


Foto © Andrea Kremper
 
Nathusius und Hellweg versuchen diese Theorie zu untermauern, und im Falle von Julie und Liliom gelingt ihnen der Beweis. In einer Stimmung wie aus einem frühen Quentin Tarantino-Film bewegen sich ihre Darsteller durch das Stück, moderne Menschen, unfähig Gefühle zu äußern und dazu zu stehen. Bis in die kleinste Nebenrolle überragend besetzt wird der Liliom zu einem Spiegelbild unserer Zeit. Der prügelnde Ehemann, das leichtfertige Verdrängen dieser Tatsache durch sein Opfer, das unverständliche Festhalten an dieser Beziehung, das Unverständnis der Freunde und das Ausblenden der Tatsache der Mißhandlung, spiegeln die gesellschaftlichen Verhältnisse wider, und dadurch wirkt Molnars Liliom humaner und ethischer als so manches Ehedrama.
Klaus von Dohnanyi skandierte während einer Hamburger Aufführung des Liliom  „Das ist ein anständiges Stück, das muß man doch nicht so spielen!“. Wenn er mal nach Coburg kommt, dann sieht er ein anständiges, das genauso gespielt werden muß.
 

Redaktion: Frank Becker