Spiel mit dem Wasser

Mozarts "Idomeneo" in Wuppertal

von Daniel Diekhans

Rechter, Chafin, Northrup - Foto © Uwe Stratmann
Spiel mit dem Wasser
 
Idomeneo“. Dramma per musica
von Wolfgang Amadeus Mozart.
Libretto von Giambattista Varesco.
In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
 
Musikalische Leitung: Hilary Griffiths - Inszenierung: Constanze Kreusch - Bühne: Jürgen Lier; Kostüme: Petra Wilke - Fotos: Uwe Stratmann
Besetzung: Idomeneo (Robert Chafin) – Idamante (Joslyn Rechter) – Ilia (Dorothea Brandt) – Elletra (Elena Fink) – Arbace (Christian Sturm) – Oberpriester Neptuns (Nathan Northrup) – Zwei Kreterinnen (Barbara Pickenhahn, Diane Claars) – Zwei Trojaner (Mario Trelles-Diaz, Andreas Heichlinger) – Stimme des Orakels (Thomas Laske)
Chor der Wuppertaler Bühnen; Studierende der Hochschule für Musik und Tanz Köln, Standort Wuppertal; Sinfonieorchester Wuppertal
 
 
Die Wuppertaler Oper gibt Mozarts Königsdrama „Idomeneo“ neue Farben
 
Fast ein Riese. Ein sorgfältig gestutzter Vollbart. Ein prächtiges Gewand. Eine goldene Krone auf dem Kopf. Wenn Idomeneo das erste Mal auf die Bühne des Wuppertaler Opernhauses tritt, erscheint eine imposante Gestalt. Durch eine Leuchtschrift an der Wand erfährt man, daß der König von Kreta zehn Jahre im Trojanischen Krieg gekämpft hat. Ein Kriegsheld also? Das bleibt im Dunkeln. Aber wer den Kriegsheimkehrer an seinen Taten mißt, wird bei bestem Willen keinen Helden entdecken können. Hinter der äußeren Hülle des Herrschers verbirgt sich ein schwacher Mensch. „Ich wollte leben!“ – In diesem einen Satz ist Idomeneos ganzes Dilemma enthalten. Weil er leben will, läßt er sich erpressen. Dem wütenden Sturm, den Neptun gegen ihn und seine Flotte entfacht, kann er nicht entkommen – es sei denn, er opfert dem grausamen Meeresgott das erste lebendige Wesen, das er bei seiner Landung zu Gesicht bekommt. Zu seinem Unglück begegnet er am heimatlichen Strand zuerst dem eigenen Sohn.
 
„Mein neues Selbst!“
 
Der Sohn kommt nicht nach dem Vater. Der jungenhafte, gutmütige Idamante hat das Zeug zu dem Helden, der der Vater nie sein wird. Er stellt sich dem Ungeheuer, das Neptun zur Strafe dafür schickt, daß Idomeneo den geliebten Sohn außer Landes bringen will, und tötet es. Nun ist er zu allem bereit: „Ich sterbe für die Zukunft meines Landes.“ Doch auch jetzt fehlt dem Vater der Mut zum Opfer. Er bricht zusammen: „Ich kann dich nicht töten!“ Da greift der Deus ex machina ein. Idomeneo muß abtreten. Idamante wird sein Nachfolger und darf endlich Ilia, die trojanische Prinzessin, zur Frau nehmen. Mit den Göttern und seinem Schicksal ausgesöhnt, krönt Idomeneo voller Stolz seinen Sohn: „Seht hier den neuen König. Mein neues Selbst.“


Robert Chafin, Joslyn Rechter - Foto © Uwe Stratmann
 
Ein feudales Erbauungsstück
 
Im Winter 1780/ 81 schrieb Mozart „Idomeneo“ als Auftragswerk für den Münchner Hof. Dieser Ursprung ist der Oper deutlich anzumerken. Ganz im Einklang mit der barocken opera seria stellt sie antike Figuren auf die Bühne, um einem vornehmlich adligen Publikum vorzuführen, wie ein idealer Herrscher zu sein habe. Idomeneo gibt dabei das schlechte Beispiel des wankelmütigen, schwachen Anti-Helden ab. Idamante hingegen kommt dem Ideal nahe: Er wächst in die Rolle des guten Fürsten von Gottes Gnaden hinein, dem das Wohl seiner Untertanen am Herzen liegt. Mit anderen Worten: „Idomeneo“ ist ein feudales Erbauungsstück, ein klingender Fürstenspiegel. Das Libretto ist somit eng seiner Zeit – der Epoche des aufgeklärten Absolutismus – verhaftet. Das mindert nicht die Qualität von Mozarts Musik, macht aber eine Aktualisierung des Stoffes schwierig.
 
Wasser- und Farbenspiele
 
Vor einigen Jahren unternahm Hans Neuenfels eine radikale Neuinterpretation des „Idomeneo“. Am Ende seiner Inszenierung befreit sich der Mensch radikal von jeglicher Autorität, indem er die Gottesbilder buchstäblich zerstört. In der Wuppertaler Version findet Regisseurin Constanze Kreusch einen ganz anderen Zugang zum Werk. Sie tastet seinen Inhalt nicht an und gibt ihm stattdessen eine ansprechende ästhetische Form. Das Wasserbecken in der Bühnenmitte deutet es an: Das nasse Element in all seiner Ambivalenz steht im Mittelpunkt. Wenn sich Idomeneo zu Beginn mühsam durch einen Regenvorhang an Land kämpft, ist es lebensbedrohlich. Auf Ilia, die liebesselig im Becken planscht, wirkt es erquickend und beruhigend zugleich. Selbst der stilisierte antike Tempel, in dem sich die Handlung abspielt, ist grün wie das Meer. Überdies leuchten die Kostüme im reizvollen Kontrast zu den vielen düsteren Sturmszenen in allen Regenbogenfarben. Die quietschbunten Gummistiefel, die der Chor zur Schau trägt, sind vielleicht nicht jedermanns Sache, stören aber nicht den positiven Gesamteindruck. Denn sicher in allen Klangfarben bewegt sich nicht nur der Chor, sondern auch die Wuppertaler Sinfoniker. Besonders die mit Holzbläsern gesättigten Passagen werden glänzend interpretiert. Dirigent Hilary Griffiths ist ganz in seinem Element und bietet den Solisten eine mehr als solide Basis. Überzeugend spielt und singt Robert Chafin die Rolle des emotional zerrissenen Idomeneo. Ihm ebenbürtig ist Elena Fink als aufgedonnerte Hysterikerin, deren problematischer Charakter fast den Rahmen des Stückes sprengt. Wohl auch deshalb gerät ihr Abgang von der Wuppertaler Bühne so spektakulär. Den Prinzen Idamante nimmt man Mezzosopranistin Joslyn Rechter voll und ganz ab. Und last but not least tragen auch Dorothea Brandt als Ilia und Christian Sturm als treue Seele Arbace ihren Teil zur umjubelten Premiere bei.


Elena Fink, Chor - Foto © Uwe Stratmann
 
Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de