Blick in die Matratzengruft

Der Kölner "Oblomow" beim NRW-Theatertreffen in Wuppertal

von Daniel Diekhans
Blick in die Matratzengruft
 
„Oblomow (Wann soll man denn leben?)“
Eine Produktion des Schauspiel Köln
nach dem Roman von Iwan Alexandrowitsch Gontscharow
 
Inszenierung: Alvis Hermanis - Bühne und Kostüme: Kristine Jurjane - Fotos: Hermann und Clärchen Baus
Besetzung: Oblomow (Gundars Abolins) – Sachar (Albert Kitzl) – Olga (Dagmar Sachse )– Stolz (Martin Reinke) – Alexej Tarantjew (Robert Dölle) – Alexejew (Thorsten Peter Schnick) – Oblomow als Kind (Lysander Lenzen)
 
 
Mehr Seh- als Hörvergnügen: Kölner „Oblomow“ gastiert beim NRW-Theatertreffen
 
Einem sprichwörtlichen Faulpelz drei Stunden dabei zusehen, wie er kaum einmal das Bett verläßt – das verheißt nicht gerade einen kurzweiligen Theaterabend. Daß der lettische Regisseur Alvis Hermanis dennoch mit „Oblomow“ überzeugen kann, liegt an seinem sicheren Gespür für das komische Potential von Gontscharows 1859 veröffentlichten Roman. Nach seiner Kölner Premiere im Februar war „Oblomow“ am vergangenen Freitag nun auch im Rahmen des NRW-Theatertreffens im Wuppertaler Opernhaus zu sehen. Für Komik sorgt vor allem die Haßliebe, die Dienstherr Oblomow und Diener Sachar aneinander bindet. Schon die erste Szene, in der Oblomow in aller Herrgottsfrühe Sachar zur Arbeit scheucht, um gleich danach wieder in die Kissen zurückzusinken, spricht Bände. Die Ereignislosigkeit des gemeinschaftlichen Lebens läßt sich nur mit Necken und Streiten ertragen. Glaubwürdig mimt Albert Kitzl den Kauz Sachar, der sich nach dem Tod seines alten Herrn in der neuen Arbeitswelt nicht mehr zurechtfindet und ohne jeden Halt im Leben langsam zugrunde geht.
 
Zarte Liebe vor romantischer Kulisse
 
Während die treue Seele Sachar im gleichen Trott wie sein Herr gefangen ist, scheint sich für Oblomow eine neue Welt zu eröffnen, als er auf Olga trifft. Vom ersten Auftritt an bringt Dagmar Sachse als Olga frischen Wind in sein eintöniges Leben. Ihr zarter Gesang erreicht nicht nur Oblomows Ohr, sondern auch sein empfindsames Herz. Doch alle Rendezvous auf der Parkbank und vor romantischen Naturkulissen sind vergeblich. Olgas Leidenschaft verträgt sich schlecht mit Oblomows Ruhebedürfnis. Als die Liebesgeschichte durch Heirat zum gesellschaftlichen Ereignis zu werden droht, zieht er sich entsetzt zurück. Es kommt zu einer letzten Begegnung in Oblomows heruntergekommener Petersburger Wohnung. Olgas Enttäuschung ist an Sachses großen freundlichen Augen abzulesen. Ihr wird klar, daß auch sie ihn nicht vor dem Abgrund bewahren kann.
 
Zwei beste Freunde
 
Die zweite Person, die Oblomows Niedergang nicht verhindern kann, ist sein bester Freund Stolz. In einem bewegenden Monolog stellt Martin Reinke den widersprüchlichen Charakter Stolz vor – geprägt sowohl von der Nüchternheit des deutschen Vaters als auch von der Warmherzigkeit der russischen Mutter. Obwohl Freunde seit Kindertagen, erscheinen Oblomow und Stolz lange Zeit als Antipoden. Während dem einen das Nichtstun zur Gewohnheit geworden ist, muß der andere immer beschäftigt und auf Reisen sein. Freilich nennt Stolz den Freund einmal „einen Philosophen, einen Dichter“. Mehr noch: Nach Oblomows traurigem Ende verkriecht er sich in dessen Matratzengruft. Steckt ein bißchen Oblomow also auch in ihm?
 
Drama auf und vor der Bühne
 
Wenn eine Inszenierung mit ihrem Hauptdarsteller steht und fällt, dann ist „Oblomow“ in der Tat ein gemischtes Vergnügen. Hermanis’ Landsmann Gundars Abolins nimmt man die Rolle des Oblomow durchaus ab. Auch hat er bei Bühnengags wie Raufereien und Kissenschlachten die Lacher auf seiner Seite. Sein starker Akzent und eine oft undeutliche Artikulation (Murmeln!) machen es den Zuschauern allerdings schwer, der Handlung zu folgen. So spielt sich im Wuppertaler Opernhaus nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Zuschauerraum ein Drama ab. Einige Zuschauer gehen in der Pause: „Eine Katastrophe, eine Katastrophe!“ Viele setzen sich, wenn sie denn können, weiter nach vorne. Die oberen Ränge leeren sich. Doch selbst noch nach der Pause ertönen Zwischenrufe: „Lauter!“ – „Lauter, bitte!“ Da stellt sich die grundsätzliche Frage, ob die Akustik des Wuppertaler Opernhauses nicht zur Guckkastenbühne des Kölner „Oblomow“ paßt. Ob der Große Saal des Wuppertaler Schauspielhauses besser zum „Oblomow“ gepaßt hätte, ist eine müßige Frage. Denn dieser bleibt bis auf weiteres geschlossen. Daß sich ein solches Drama bei einem NRW-Theatertreffen ereignet, ist in jedem Fall sehr bedauerlich. Bedauerlich vor allem für das Schauspiel Köln, das nach Wuppertal gekommen ist, um sich beim Theatertreffen mit einer sehenswerten Inszenierung zu präsentieren. Sicherlich in einem guten Licht. Und nicht mit einer schlechten Akustik.

 
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