Hans-Georg Arlt ist tot

Der große Berliner Geiger starb am 11. Juli im Alter von 84 Jahren

Ein Nachruf von Alfred Wagner

Hans-Georg Arlt - Foto: Duo-Phon Records
Hans-Georg Arlt
(3.2.1927-11.7.2011)

Der profilierte
Berliner Violinist ist tot 
 
Sein Leben und sein musikalischer Werdegang
 
Hans-Georg Arlt hat das musikalische Leben der Stadt Berlin nachhaltig viele Jahrzehnte über mitgeprägt und ist durch seine intensive Rundfunktätigkeit über die Grenzen Berlins hinaus bekannt geworden.
 
Geboren wurde er am 3. Februar 1927 in Züllichau in der Mark Brandenburg (im heutigen Sulechow, Polen) als Sohn einer von der Musik geprägten Familie. Sein Vater, Ernst Arlt, Lehrer und selbst ein sehr guter Geiger, bestimmte schon vom Zeitpunkt der Geburt seines Sohnes an dessen Lebensweg auf recht ungewöhnliche Weise. Als Hans-Georg auf die Welt kam, spielte der Vater im Nebenzimmer das Violinkonzert von Alexander Glasunov und sagte: "Der Junge muß ein Geiger werden!" Seine Mutter war Lotte Kruse, eine Konzertpianistin und die Tochter des Musikschriftstellers Georg Richard Kruse, der sich der Erforschung und Wiederbelebung der deutschen Spielopern von Albert Lortzing und Otto Nikolai widmete.
 
Ein musikalisches Talent zeigte Hans-Georg Arlt schon sehr früh, indem er sich heimlich am Klavier selbst kleine Musikstücke beibrachte. Sein Vater bemerkte dieses Talent und begann, seinen Sohn im Alter von sechs Jahren im Geigenspiel zu unterrichten. Hinzu kommt, daß er bei seinem Sohn die Gabe des absoluten Gehörs entdeckte, die das Erfassen aller musikalischen Zusammenhänge und vor allem der Tongestaltung auf der Geige in besonderer Weise ermöglicht. Dieser Vorteil – manch ein Musiker empfindet ihn auch als eine Art Fluch, da jede Unsauberkeit in der Intonation fast schmerzlich sein kann – führte den jungen Geiger recht früh an die vielfältigsten musikalischen Aufgaben heran. Aber auch ein begabtes Kind muß viel üben, und darüber wachte der Vater sehr streng. Jedoch ermöglichte diese recht ‚harte Schule' es ihm schon in jungen Jahren das Erlernen eines immens großen Repertoires und einer perfekten Technik, wenn auch das stundenlange Üben, zuerst mit den Schülern seines Vaters und oftmals danach allein, nicht immer leicht gefallen sein mag. In dem Züllichauer Orchester, das lokale Feierlichkeiten und Anlässe umrahmte, erwarb er sich als Junge erste Orchesterpraxis.
 
In den Ferien besuchte er regelmäßig seinen Großvater in Berlin und von da an war Berlin die Stadt, in der er leben wollte. 1939, als 12jähriger, hatte Hans-Georg Arlt die Gelegenheit, bei Professor Max Strub an der Hochschule für Musik vorspielen zu können. Schon damals bot man ihm an, ein Studium aufzunehmen. Aber erst vier Jahre später 1943 zog er dann zu seinem Großvater nach Berlin und nahm als jüngster Student mit 16 Jahren an der Hochschule sein Studium auf.
 
Das Studium in Berlin bedeutete für Hans-Georg Arlt eine weitere Entwicklungsstufe in seiner künstlerischen Laufbahn. Hier nämlich, bei Max Stub, lernte er über die rein technische Seite des Geigenspiels hinaus zu gehen - die Spieltechnik als virtuose Fertigkeit war dank des intensiven Unterrichts bei seinem Vater ausgebildet - und sich gedanklich in künstlerischer Weise mit der Musik auseinander zusetzen. Und so konnte sich in ihm sein individueller Stil langsam entwickeln. Wie jeder Musikstudent spielte er im Hochschulorchester, dort auch unter der Leitung des jungen Sergiu Celebidache, der zur selben Zeit dort studierte.
 
Durch einen Kommilitonen kam er in den Berliner Mozart-Chor und in die damit verbundene Rundfunkspielschar Deutschlandsender. Der Mozart-Chor besteht aus Kindern und jungen Leuten, die in zahlreichen Auftritten vom Volkslied bis zu Messen in Deutschland und auch auf Gastspielreisen im Ausland musizieren. Im Mozart-Chor lernte Hans-Georg Arlt auch seine spätere Frau kennen. Mit diesem Kreis von jungen musikbegeisterten Menschen, aus dem später viele Musiker hervorgingen, reiste Hans-Georg Arlt auf einer Tournee eines Tages nach Ungarn. Nach dem Konzert gingen einige der Mitwirkenden noch in ein Restaurant, in dem eine Zigeunerkapelle spielte. Einer der Musiker sah, daß ein junger Mann einen Geigenkasten bei sich hatte und fragte ihn, ob der nicht etwas spielen wolle. Der gefragte zögerte nicht lange und spielte alles, was er schon bei seinem Vater an virtuosen und unterhaltsamen Stücken der Geigenliteratur gelernt hatte. Das Publikum war begeistert, der Primas des Orchesters verschwand und der Wirt bot dem jungen Hans-Georg Arlt sofort einen Vertrag an. Man muß nicht unbedingt nur ‚Klavier spielen können', um beim Publikum so erfolgreich zu werden.
 
Doch es war Krieg und so mußte 1944 auch er Soldat werden. Die schrecklichen Kriegserlebnisse und einige Monate in russischer Kriegsgefangenschaft sind prägende Erfahrungen in seinem Leben. In dieser Zeit hatte er keine Geige in der Hand – und doch, trotz Hunger und grausamster Zustände im Gefangenenlager – in Gedanken verarbeitete Hans-Georg Arlt in dieser Zeit die Dinge, die in ihm bei Max Strub während seines Studiums geöffnet worden waren, nämlich "Musik zu machen", wie er selbst immer sagt. Kaum aus der Kriegsgefangenschaft entlassen, schon einen Tag nach seiner Heimkehr nach Berlin, wurde er Mitglied eines Kammerorchesters, in dem sein Vater und mehrere seiner engsten Studienfreunde musizierten. Seine geigerischen Fähigkeiten ermöglichten ihm dadurch vom ersten Tag an in dieser schwierigen Zeit, sich und seine Familie über Wasser zu halten. Wie unter den damaligen Umständen üblich, nahm er jede Gelegenheit war, die unterschiedlichsten Termine anzunehmen. So lernte er von der Kammermusik bis zur Tanzmusik alle Sparten kennen. In dieser Zeit begann auch die Tätigkeit für den Rundfunk.
 
In den Jahren 1946 bis 1950 war Hans-Georg Arlt Konzertmeister im RBT– Orchester des Berliner Rundfunks, arbeitete im Kammerorchester und machte Kammermusik. Gleichzeitig war er im Orchester der Staatsoper als Aushilfe, machte Bühnenmusik im Deutschen Theater und spielte im Orchester des Friedrichstadt-Palastes. Auch zahlreiche Musik-Synchronisationen von Kinofilmen gehörten von da an zu dem umfangreichen und abwechselungsreichen Beruf. 1950 bis 1958 war er dann Konzertmeister des RIAS-Tanzorchesters, wo er Gelegenheit zu vielen Solo-Auftritten hatte. Ab 1959 begann seine Arbeit als Mitbegründer und Konzertmeister des Studio-Orchesters Berlin, das in den Sendern RIAS und Sender Freies Berlin (SFB) für Produktionen, Konzerte und Fernsehsendungen tätig war.  Als Solist gastierte er in vielen Konzerten und bei verschiedenen Sendern im In- und Ausland. Es folgte eine rege Tätigkeit bei Hunderten von Schallplattenaufnahmen mit Stars von der Oper bis zur Pop-Musik. Besonders mit dem österreichischen Komponisten Robert Stolz kam es zu einer äußerst erfolgreichen Zusammenarbeit. Der gute Ruf des Studio-Orchesters und seines Konzertmeisters Hans-Georg Arlt verbreitete sich rasch und so kam man, wenn man eine anspruchsvolle Produktion machen wollte, deswegen nach Berlin.
 
Mit einer Spezial-Besetzung, für die besondere Arrangements geschrieben wurden, nahm der Künstler im SFB über 200 Solo-Titel unter der Bezeichnung "Hans-Georg Arlt und seine Solisten" auf (in der Edition der Berliner Musenkinder ist eine CD mit einigen der schönsten Titel dieser Produktion bereits erschienen unter dem Titel Caféhaus-Träumereien). Und nicht zuletzt kommen viele Kammermusik- und Konzertaufnahmen, Klaviertrios, Flötenquartette u.a. hinzu, die er in dieser Zeit im Rundfunk aufnimmt. Das "Streichorchester Hans-Georg Arlt" mit populärer Musik war über drei Jahrzehnte fester Bestandteil der Sendungen im SFB (Musenkinder-Edition Musik liegt in der Luft).
 
Die Virtuose Violine dieser CD ist eine Auswahl der ganz besonderen Solo-Aufnahmen von Hans-Georg Arlt aus den Jahren 1970 bis 1981. Es sind große Werke der virtuosen Violin-Literatur, die kein Geiger sich entgehen läßt, wenn er Technik, Musikalität und Gefühl vereint spielen lassen möchte. Komponisten wie Sarasate, Paganini und Kreisler waren selbst große Virtuosen ihrer Zeit und wussten, wie eine Komposition für Geige am wirkungsvollsten ist. Die Stücke, die sie selbst spielten, stellen aber auch größte Anforderungen an jeden anderen Interpreten. Ein Solist wie Hans-Georg Arlt nahm diese Herausforderung gerne an. Hatte er sich eines dieser Stücke, die er aufnehmen wollte, erarbeitet, so schlug er es den maßgeblichen Dirigenten vor, die gerne eine Aufnahme mit ihm machten, denn sie wussten um die Außergewöhnlichkeit, einen Solisten dieses Formates für den eigenen Sender engagieren zu können. Und der Erfolg der Aufnahmen und der Auftritte in den Konzerten vor begeistertem Publikum gab ihm recht. So zählen die "Zigeunerweisen" zu seinen Glanzstücken und besonders in Kollegenkreisen genießt diese Aufnahme bis heute besondere Hochachtung. Die Dirigenten, mit denen die Aufnahmen entstanden, waren Werner Eisbrenner und Kurt Gaebel, beide an den Rundfunksendern in Berlin regelmäßig aktiv. Werner Eisbrenner war lange Jahre verantwortlich für die Musikabteilung des SFB und ein bekannter Filmkomponist.
 
1978 bis 1991 war Hans-Georg Arlt auch Konzertmeister im Theater des Westens, wo er sein Können dem Aufbau des dortigen Orchesters widmete. Seit 1991 ist er eines von drei Ehrenmitgliedern des Theaters neben Johannes Heesters und Götz Friedrich.

Redaktion: Frank Becker