Ein Buch, das die Lebensqualität erhöht

Ugo Cornia - "Geschichten von meiner Tante"

von Frank Becker
Kleine Wunder

Ugo Cornias kleine Geschichten, die sich nicht wichtig nehmen, die eigentlich gar nichts überaus wichtig nehmen und die bei aller gelegentlichen Trivialität von großer Weisheit sind, werden von ihm erzählt, weil alles so ist, wie es ist - und weil er uns einfach nur unterhalten möchte. Das wiederum macht sie, indem sie die Lebensqualität des Lesers erheblich verbessern, besonders wichtig. Das gelingt Cornia wie nebenbei so hervorragend, daß ich, ohne darüber ins Schwärmen zu kommen, diesem Erzähler aus Carpi - das übrigens über eines der zauberhaftesten kleinen Theater in ganz Norditalien verfügt und sich der großen Philosophie verpflichtet sieht, aber das nur am Rande - und seinem schmalen Bändchen bescheinigen kann, daß ich selten etwas besseres gelesen habe.
Ugo hat eine große italienische Familie und neben seiner Mutter und seinem Vater Giorgio nebst einigen Onkeln und Freunden wie Fabio Bonvicini Tanten, viele Tanten, die eine Rolle in seinem Leben einnehmen und eine unersetzliche Stütze seiner Geschichten sind: Tante Maria, Tante Ester, Tante Fila, Tante Luise und natürlich Tante Bruna, die ganz wesentlichen Anteil an vielen der kleinen Geschichten hat. Selten mehr als zwei Seiten haben die oft mit überraschenden Wendungen ausgestatteten Begebenheiten, die Ugo in bildreicher Sprache auch dann höchst unterhaltsam mit dem ihm eigenen trockenen Humor erzählt, wenn es den Protagonisten gelegentlich auch unmittelbar an die Gesundheit geht. Durch seine Art des Erzählens holt er die meist alltäglichen, mitunter aber auch im bürgerlichen Rahmen aufregenden Geschehnisse lakonisch vom Sockel der Sensation. Der Leser begreift sie schnell als genau die Welt, in der er selber leider zu oft mit geschlossenen Augen herumtappt - und kommt aus dem Schmunzeln, dem glucksenden und oft genug auch dem schallenden Lachen nicht heraus. Ugo Cornia erweist sich Mal um Mal nicht nur als feinsinniger Beobachter und mit durch ihre Knappheit überwältigender Sprache als brillanter Erzähler, er zeigt auch eine überaus verblüffende Meisterschaft im vergnüglichen Gedankensprung. Solchen erzählerischen Rösslsprüngen zu folgen ist selbst bei Straßenbahnunfällen, Kriegerinnerungen, Alkoholvergiftungen, falsch gewählter Garderobe und Sterbefällen das pure Vergnügen.

Lesen Sie eine kleine Kostprobe: "Gnocco fritto":
„Mein Vater und zwei Freunde von mir, Fabio Bonvicini und Gianni Pecchini, hatten die Gewohnheit, wenn wir im Gebirge waren, sich um fünf Uhr nachmittags in der Küche einzuschließen und Lasagne für alle zu machen, sie machten immer fünf bis sechs Bleche. Oder sie machten gnocco fritto. Aber absolut niemand durfte in der Zeit die Küche betreten und sie stören.
Während sie einmal so in der Küche arbeiteten und Radio hörten, kamen auf einmal die Nachrichten, und fünf Minuten später, als alle Neuigkeiten durchgegeben waren, sagte das Radio: Die Nachrichten wurden gelesen von Franco Bianchi und Gina Motta, im Studio Mario Zitti und Giuseppe Rossi, Berichte aus dem Inland von Aliio Venturi, Franca Mangiapane und Fausto Rombi, Auslandskorrespondenten Rino Quadrati und Maurizio Fanti, Regie Arturo Righini und so weiter.
Da sagte mein Vater »Lieber Gott, so ein Haufen Leute für einen Furz«.“

Pragmatisch, voll leiser Heiterkeit, ganz und gar ohne jede Bosheit auskommend, mit großen Augen die Welt bestaunend und von liebenswertem Verständnis für die Schwächen des Individuums sind Ugo Cornias hervorragend von Marianne Schneider ins Deutsche übertragenen Geschichten vom Alltag, vom Leben mit und in einer Welt, die voller kleiner Wunder steckt. "Tante Brunas Nervenzusammenbruch" habe ich jetzt schon zum fünften Mal gelesen, bei "Saponetta" kann ich mir auch beim wiederholten Mal das Lachen nicht verkneifen, und "Notar Bacchetti" rührt jedes Mal aufs Neue.
Ein Buch, das auf jeden Nachttisch gehört, eine Empfehlung der Musenblätter, die ich Ihnen besonders ans Herz legen möchte - von uns mit dem Musenkuß ausgezeichnet.
 
 
Ugo Cornia – „Geschichten von meiner Tante“
Aus dem Italienischen von Marianne Schneider

© 2009 Verlag Klaus Wagenbach
, WAT 618
140 Seiten, Broschiert, 10,90 €

Weitere Informationen:
www. wagenbach.de