Deutscher Jazz-Preis geht an Peter Brötzmann

Reflexionen

von Jörg Aufenanger

Foto © Karl-Heinz Krauskopf
Deutscher Jazz-Preis
geht an Peter Brötzmann
 
Es brötzt wie eh und je, wenn Brötzmanns Peters Lippen das Mundstück seines Saxophons berührt haben und er losbläst wie ein junger Gott, der indes schon siebzig Jahre zählt. Zum ersten Mal habe ich ihn 1968 in Berlin gehört, im damals angesagtesten Club der Stadt, dem „Kilroy“ in Wilmersdorf. Völlig unvorbereitet war ich in den Keller hinuntergestiegen, ein musikalischer Sturm empfing mich, der mich umhaute, so daß ich mich am Geländer festhalten mußte. So etwas Radikales hatte ich nie zuvor gehört, aber diese Musik paßte in die Zeit wie keine andere, das spürte ich nach wenigen Tönen.
 
Nun 43 Jahre später besitzt diese Musik die gleiche Radikalität und Unbedingtheit, doch paßt sie noch in die Zeit? Anscheinend nicht, denn als Peter Brötzmann nun in der Berliner Akademie der Künste den Deutschen Jazzpreis verliehen bekam, herrschte Grau im Saal, ich meine graue Haare bestimmten das Bild, kaum ein jüngerer Mensch war im Saal zu finden. Ist die Zeit über diese Musik, die damals die Zeitmusik war, hinweggegangen? Oder ist nur jede Radikalität in den Künsten und nicht nur da, wie schon zuvor jede Utopie, flöten gegangen. In seiner Dankesrede beklagte Brötzmann dann auch, daß er und die jüngeren Jazzmusiker einer freien Musik, kaum noch Auftrittsmöglichkeiten fänden. Gerade sei er von einer mehrwöchigen Chinatournee zurückgekehrt, wo er mehr Auftritte gehabt habe, als im gesamten Jahr in Deutschland.
 
Begonnen hat alles in Wuppertal. Aber das ist schon ein Gemeinplatz und doch hob der Laudator Markus Müller nochmals hervor, welche Wuppertaler Atmosphäre zu Beginn der 60er Jahre geherrscht habe, als in der Galerie Parnass am Brill mit Brötzmanns Beteiligung jene Ausstellungen und Happenings stattfanden, die in die Kunstgeschichte eingingen. Zu der Free Art gesellte sich flugs der Freejazz, und 1963 erschien schon Brötzmanns erstes Album „Für Adolphe Sax“ mit  Lovens und Johansen, und zwar im eigenen Label „Brö“. Wuppertal wurde Weltstadt, hierhin kamen in der Folge die besten Musiker des Freejazz aus Europa und Übersee, und die Wuppertaler Musiker, wie eben Brötzmann, Kowald, Schönenberg, Johanson und andere gingen in die Welt. Die Konzerte im Von der Heydt-Museum waren Fixpunkte der freien Musik, später auch in der Börse, wo jenes Konzert stattfand, das für mich das Begeisterndste war, das ich je von einer Freejazzformation gehört habe, das Nato Alarm Orchester hieß es wohl, das Brötzmann mit Musikern aus aller Welt

Foto © Frank Becker
zusammengestellt hatte. So eine radikale Musik hatte ich außer der von Bernd Alois Zimmermann in seiner Oper „Die Soldaten“ nie gehört und auch danach nie mehr. Eine Musik jenseits aller Fragen. Eine Orgiastik.
Dann Berlin. Hier fanden ab 1969 in der Akademie der Künste die Workshops Freie Musik statt, auch in diesem Jahr wieder, geleitet von Brötzmann. Hier entstand das Label FMP, gegründet von Jost Gebers und Brötzmann, das diese Musik auch in die Wohnzimmer der Welt trug.
 
Aus Anlaß der Preisverleihung blies Brötzmann in sein Saxophon in einer kleinen Combo, „Full Blast“ mit dem Schlagzeuger Michael Wertmüller, und dem Gitarristen Marino Pliakas, und zwar mit einer sich stets aufbäumenden Verve, eben wie eh und je. Nach einer Zugabe „A lonely woman“, zart und lyrisch, sad poem eben, trabte Brötzmann wie ein ermatteter Bär von der Bühne. Ein Ereignis. Das kurze Konzert.
 
Jörg Aufenanger