Reinigungsfrau

von Karl Otto Mühl
Reinigungsfrau
 
Als ich noch allein lebte und wohnte, und wenig Geld hatte, heuerte ich eine ältere Putzfrau an, die alle vierzehn Tage für zwei Stunden kam und mein kleines Appartement gründlich reinigte.
Sie war überhaupt nicht gesprächig, sondern eher verschlossen. Viele, die uns persönliche Dienste leisten, vom Fußpfleger angefangen, behalten ihre private Existenz ganz für sich, aber meistens fällt diese Tatsache hinter ihrer glatten Gewandtheit nicht auf.
Hier aber fiel sie mir auf. Es war, als ob die alte Frau ein Geheimnis mit sich herumtrage, vielleicht ein kranker Mann zuhause, vielleicht ein trauriges Schicksal, ganz sicher aber auch Armut.
 
Beim ersten Kennenlernen hatte sie gesagt, sie sei Vierundsechzig. Aber nach einem Jahr hörte sie auf, sie sei jetzt Fünfundsiebzig und habe genug gearbeitet. Ihr falsches Alter habe sie aus Angst genannt, daß ich sie sonst nicht engagieren würde.
 
Die nächste Putzfrau war besonders anhänglich. Sie hinterließ jedes Mal eine kleine, angerichtete Kaffeetafel für mich, bei der ein Plätzchen und ein Stück Schokolade nicht fehlte. Manchmal stellte sie das Bild einer meiner verflossenen Freundinnen daneben.
Ihre beiden kleinen Töchter alberten um mich herum und versuchten, mir die Hose aufzuknöpfen. Ich war stolz darauf, daß ich sie ohne Gesichtsverlust für sie beiseite schieben konnte.
Auch diese Putzfrau hörte eines Tages bei mir auf. Sie sagte, sie habe eine chronische Krankheit, und die lasse sie zunehmend schwächer werden.



© Karl Otto Mühl - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2011