Faszination Skythen

Ein Rundgang durch die Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau

von Friederike Hagemeyer

Kostromskaja, Kubangebiet
© Staatliche Eremitage St. Petersburg

Faszination Skythen

Gedanken beim Rundgang durch die Ausstellung

Seit 6. Juli ist die Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen. Es ist nicht die erste, in der „Skythengold“ gezeigt wird, aber es ist die erste, die die Kultur der skythenzeitlichen Völker so umfassend in zeitlicher wie auch geographischer Hinsicht präsentiert.

In der Zeit vom Ende des 9. bis zum 2. vorchristlichen Jahrhundert bestimmt die Kultur der Reiternomaden von Südsibirien im Osten bis zur nördlichen Schwarzmeerregion und dem Karpatenbecken im Westen den eurasischen Steppengürtel. Die Ursprünge liegen nach derzeitigem Wissensstand in Südsibirien (Autonome Republik Tuva), in der Mongolei und an der Grenze zu China.

Dramatischer Auftritt der Reiternomaden

Mit einer Art „Urknall“ (diesen treffenden Ausdruck prägte die Archäologin Tanja Rasetzki beim Rundgang durch die Ausstellung) meldet sich an der Wende vom 9. zum 8. Jahrhundert vor Christus im (schon früh beraubten) Kurgan (= Grabhügel) Arzhan 1 in Tuva die Kultur der Steppennomaden zu Wort.

Alle Charakteristika sind (fast) voll entwickelt vorhanden: die monumentale Begräbnisstätte mit komplizierter Holzkonstruktion unter einer Steinabdeckung, die typische Kriegerbewaffnung mit Streitpickel, geflügelten Pfeilspitzen und Kurzschwert (der spezifische Köcher, der „Goryt“, und der besondere Bogen waren nicht mehr vorhanden), die im skytho-sibirischen Tierstil verzierte Ausstattung sowie Goldapplikationen an (vergangener) Kleidung und Lederzaumzeug; auch der


Grabkammer 5 des Kurgans Arzan II., 7. Jhdt.
v.Chr. © Deutsches Archäologisches Institut
Bestattungsritus läßt sich schon erkennen, denn den Fürsten begleiteten seine Frau, sein Gefolge und eine ganze Pferdeherde (ca. 200 Tiere) ins Jenseits.

Grabfunde

In Westsibirien, Kasachstan und dem Nordschwarzmeerraum sind skythenzeitliche Gräber erst mehr als hundert Jahre später nachweisbar. Mit einem Abstand von nur wenigen Jahrzehnten treffen an der nördlichen Küste des Schwarzen Meeres skythische Reiter aus den östlichen Steppengebieten und griechische Kolonisten aus Kleinasien aufeinander. Diese Begegnung prägt bis ins zweite Jahrhundert hinein den ganzen nordpontischen Raum (so die griechische Bezeichnung). In der Kunst verschmilzt die naturalistische griechische Darstellungsweise mit skythischen Inhalten zu einem eigenen, dem greco-skythischen Stil. Herausragendes Beispiel ist das große Pectorale des 4. vorchristlichen Jahrhunderts aus dem Kurgan von Tolstaja Mogila.


Tolstaja Moglia, 4. Jhdt. v. Chr. - 31 cm Durchm.
© Nationalmuseum Kiew

Untergang eines rätselhaften Reiches

Im 5. Jahrhundert entsteht aus diesen beiden so gegensätzlichen Kulturen das Bosporanische Reich, ein gemeinsames staatliches Gebilde mit Zentrum auf der Krim. Hier verlieren sich im Laufe des 2. vorchristlichen Jahrhunderts die letzten Spuren skythischer Kultur.

Im sommerlichen Berlin hat sich die Skythenausstellung  - nicht zuletzt auch eine Leistungsschau moderner Archäologie und ihrer ausgefeilten interdisziplinären Methoden -  zu einem Publikumsmagneten entwickelt – soviel ist bereits feststellbar.

Die intensive Werbung trägt sicher das ihre dazu bei  – aber kann Werbung den Erfolg allein erklären? Was fasziniert die Besucher an einer längst vergangenen Kultur, der Hermann Parzinger, Skythenexperte und Chefausgräber des Deutschen Archäologischen Instituts und designierter Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz während seiner Pressekonferenz nicht einmal den Status einer Hochkultur zusprechen will (denn diese eurasischen Reitervölker besaßen weder Städte noch Schrift)?

Geheimnis der Steppenreiter

Etwas Geheimnisvolles umgibt diese Steppenreiter, die plötzlich „wie der Wind“ aus dem weiten östlichen Raum im „zivilisierten“ Westen auftauchen. Wer sind sie? Woher kommen sie? Was treibt sie nach Westen? Diese Fragen beschäftigen seit dem 7. Jahrhundert auch schon die griechischen Siedler an der Schwarzmeerküste. Die Aufzeichnungen Herodots (* um 484 v. Chr.; † um 424 v. Chr.) zeugen davon und sind unsere wichtigste Quelle.


Kurgan von Kul’-Oba, 5. Jhdt. v. Chr. Höhe 3,8 cm
©
Staatliche Eremitage St. Petersburg

Leichte Bewaffnung: Streitpickel und Kurzschwert, dazu Pfeile mit geflügelten Metallspitzen und der flexible Kompositbogen aus unterschiedlichen Materialien gefertigt, werden gemeinsam in einem Köcher, dem Goryt, auf dem Pferderücken mitgeführt  – das ist in der antiken Welt bisher unbekannt. Ebenso die militärische Taktik: in gestrecktem Galopp werden die Pfeile zielsicher abgeschossen, so bleibt der Feind auf Distanz. Selten stellen sich die Reiterverbände dem direkten Kampf, sie weichen aus und ziehen sich zurück; der Feind wird zu strapaziösen Verfolgungsmärschen gezwungen. Dieses militärische Vorgehen führt die berittenen Krieger von Sieg zu Sieg; ihre Nachbarn fürchten sie als gefährliche und grausame Krieger.

Hohe Kunstfertigkeit und Handel

Ein kleiner, fast unscheinbarer Gegenstand spricht hingegen eine andere Sprache: ein Schälchen (Durchmesser 7,5 cm) aus blauem phönizischem Glas, bemalt mit gelben und weißen Streifen, aus dem 5. Jhdt. v.Chr., gefunden in einem Kurgan am Südrand des Ural, deutet auf friedlichere Geschäfte hin. Feinste Seidengewebe aus China, gefunden in den Eiskurganen im Hochaltaj weisen in dieselbe Richtung. Mindestens zeitweise gibt es also einen funktionierenden Fernhandel entlang der Route etwa, die viel später die Seidenstraße heißen soll. Handel über große Distanzen erfordert sichere Handelswege; verhalten sich die Reitervölker der eurasischen Steppen nur ihren seßhaften Nachbarn gegenüber als aggressive und grausame Angreifer?


Trinkhorn, Kubangebiet - Kurgan 4 von Uljap
4. Jhdt. v. Chr., Höhe 37 cm
© Staatliches Museum des Ostens Moskau
Staunenswert auch ihre Lebensweise; das mobile Nomadendasein ohne feste Behausungen  – möglicherweise gab es schon jurtenähnliche Zelte? -  mit Milch als Hauptnahrungsmittel; sie steht im totalen Widerspruch zum seßhaften, städtisch geprägten Leben; das empfinden auch die Griechen so.

Zu sehen ist in der Ausstellung auch eine „Eismumie“, der Leichnam eines blonden Kriegers mit Tätowierungen im skythischen Tierstil an Armen und Schultern, der sich im Eis des Hochaltaj erhalten hat. Ein Glücksfall für die archäologische Wissenschaft, denn mit Hilfe paläopathologischer Untersuchungen können wir Auskunft über Krankheiten, Lebens- und Nahrungsgewohnheiten erhalten, die sonst im Dunkel blieben. In seinem gläsernen Sarg ist der entblößte Tote im Martin-Gropius-Bau schutzlos den Blicken des vorbeiziehenden Publikums preisgegeben – so hatten sich weder er selber, noch die, die ihn für die Reise in die andere Welt vorbereiteten und bestatteten, das Jenseits vorgestellt.


Gold und Sepulkralkultur

Möglicherweise ist das skythische Gold eine der Hauptattraktionen; wann hat man schon die Gelegenheit, dieses ganz besondere Edelmetall in solchem Überfluß an einem Ort betrachten zu können? Zu allen Zeiten hat Gold die Menschen fasziniert, und bei den Bestattungen der skythenzeitlichen Oberschicht wird geradezu verschwenderisch damit umgegangen – ein Grund für jahrhundertelangen Grabraub. Bewundernd steht man vor den elegant geformten kleinen Tierplastiken, größtenteils Halbreliefs, die als Applikationen die Kleidung der begrabenen Fürsten und das Zaumzeug der mitbestatteten Pferde schmückten. Begeisterung lösen die Schönheit dieser formsicheren künstlerischen Gestaltung und das handwerklichen Können aus, das sich gleichfalls bei Stoff- und Lederapplikationen auf Satteldecken und in Teppichen wiederfindet.

Doch Bewunderung verwandelt sich schnell in Schaudern, wenn einem bewußt wird, daß diese wunderbaren filigranen Goldplättchen und –figürchen die kunstvoll gestalteten Kleidungsstücke einer jungen Fürstin zierten, die ihrem wesentlich älteren Gemahl in den Tod folgen mußte; auch Gefolgsleute und Pferde hatten dieses Schicksal zu teilen.


Goldschmuck 7.Jhdt. v. Chr.
© Deutsches Archäologisches Institut

Kultivierte Krieger

Scheinbar unvereinbare Widersprüche charakterisieren die Kultur der skythenzeitlichen Reiternomaden in den eurasischen Steppen; „Kultivierte Krieger“ nennt sie Dieter Bartetzko in der FAZ (s.u.) und trifft damit genau den Punkt. Höchste Kunstfertigkeit und abstoßende Grausamkeit, beides prägte diese Völker. Das mag uns sehr fern und fremd vorkommen – aber ist es das wirklich? Denken wir an unsere eigene Geschichte im 20. Jahrhundert, auch in Deutschland lagen Hochkultur und entsetzliche Grausamkeit ziemlich nah beieinander – wir haben keinen Grund uns gegenüber dem „grausamen Reitervolk“ erhaben zu fühlen.

Ein paar Lesetips:

Informationen zur Geschichte der Skythenforschung, den Grabungen, wissenschaftlichen Untersuchungen an den Fundstücken etc. können dem Katalog entnommen werden (http://prestel.txt.de/)

Einen guten Überblick und Kurzinformationen bietet der Online-Ausstellungsführer www.smb.museum/

Interessant einige wenige Artikel aus der Tagespresse vom Anfang Juli:
Hervorragend Dieter Bartetzko in der FAZ „Kultur kommt nicht vom Gold allein“ www.faz.net/
Informativ Michael Zajonz im Tagesspiegel „ Die Steppenreiter“ www.tagesspiegel.de/kultur/

Ärgerlich Ulli Kulke „Das Gold des grausamen Reitervolkes“ www.welt.de/kultur/

Die Ausstellung ist noch bis zum 1. Oktober 2007 im Martin-Gropius-Bau,  Niederkirchnerstr. 7,  10963 Berlin zu sehen.
Weitere Informationen unter: www.smb.museum/smb/kalender/details.php

© Friederike Hagemeyer

Redaktion: Frank Becker