Wansleben opfert sich nicht auf

von Erwin Grosche
Wansleben opfert sich nicht auf
 
Kürzlich sah ich im »Westfälischen Volksblatt« ein Foto, auf dem unser Oberkreisdirektor zu sehen war. Oberkreisdirektor Dr. Rudolf Wansleben saß neben Polizeikommissar Sigurd Böhme, der gerade an ihm den neuen Alkoholtester »Alcotest 7110«, mit dem Alkohol in der Atemluft nachgewiesen werden kann, ausprobiert hatte. Das Ergebnis war ebenso eindeutig wie erwartet: Der Oberkreisdirektor war nüchtern.
 
Aber so einfach geht das nicht. Folgende Fragen müssen mit Verlaub erlaubt sein:
   Hat der Alcotest 7110 wirklich einwandfrei funktioniert und war er ordnungsgemäß bedient worden? Oder hat man Fünfe gerade sein lassen und dieses Meeting mit Wansleben, Böhme und der Alcotest-Maschine 7110 nur gestellt, um der Öffentlichkeit einen erfolgreichen Abschluß im Kampf gegen den Teufel Alkohol vorzuführen?
   Besteht nicht auch die Möglichkeit, daß OKD Wansleben volltrunken war und der Alcotest 7110 seine hohen Werte nicht ermitteln konnte oder wollte? War der Alcotest 7110 demnach defekt, überfordert und bestochen? Wurde OKD Wansleben geschont, weil die Anschaffung der Alkoholtestmaschine vorher von Wansleben, Böhme und dem Fotografen gebührend gefeiert worden war, was auch das verwackelte Zeitungsfoto nicht entschuldigen, aber erklären würde?
   Auf dem Foto sieht man, wie Polizeikommissar Sigurd Böhme selbstsicher neben dem OKD sitzt, der vor sich einen Gegenstand hält, welcher aussieht wie ein Mikrofon, in das er aber nicht hineinspricht, sondern hineinbeißt wie in eine Banane. Natürlich ist es schön, so fotografiert zu werden, um als Kämpfer gegen den Teufel Alkohol in der Öffentlichkeit zu er- scheinen. Der Teufel Alkohol läßt sich bloß nicht an der Nase herumführen. Polizeikommissar Sigurd Böhme hätte OKD Wansleben anhalten müssen, stärker und überhaupt in dieses Ding zu pusten, wenn nicht sogar zu blasen, um der Öffentlichkeit nicht nur die Belastbarkeit des Alcotest 7110 zu demonstrieren, sondern sie auch durch die exakten Werte zu beeindrucken.
   Es ist doch so, daß das Foto mit diesem Gerät potentielle Alkoholsünder abschrecken soll. Nun sitzt aber Dr. Rudolf Wansleben neben dem Polizeikommissar und mümmelt an diesem Ding herum wie an einer Möhre und vermittelt nichts von der bedrohlichen und peinlichen Prozedur, die manche fröhliche Zecher nur überlebt haben, weil sie zum Glück völlig besoffen waren und dachten, sie wären tot. Diese Zecher glaubten doch, sie ständen am Tor des Himmels und es ginge um ein weltweit anerkanntes Aufnahmeverfahren, um ins Paradies eingelassen zu werden.
 
Ich will nun meine Verbitterung erklären. Ich möchte erklären, daß wir Menschen auf der Suche nach Wahrheit sind. Wir sind es von Fernsehen und Kino leid, mit inszenierten Wirklichkeiten gelangweilt zu werden. Wir wollen Menschen sehen, die sich aufopfern, Menschen, die scheitern, Menschen, die wirklich leben.
   Man hätte vom OKD Dr. Rudolf Wansleben gerne gesehen, wie er sich im Dienste der Allgemeinheit gehen ließe und sich unter den Augen eines nüchternen Notars auf Kosten der Stadt rechtschaffen besoffen hätte, vielleicht mit Zwischenstops, bei denen sein jeweiliger Zustand vom Alcotest 7110 dokumentiert würde, bis sein erreichter Endzustand nicht nur die Funktionsfähigkeit des Alcotest 7110 belegt hätte, sondern die alkoholtaugliche Standfestigkeit dem Oberkreisdirektor auch die Sympathien seiner Wähler gesichert hätte.
   Um zu erkennen, daß der Oberkreisdirektor Wansleben nüchtern war, hätte ich keinen Alcotest 7110 gebraucht, das hätte ich als Mann mit gesunder Menschenkenntnis auch nach einem Blick sagen können.



 
© Erwin Grosche
Veröffentlichung aus „Lob der Provinz“ in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung