Über das Glück

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Über das Glück
 
Ist Ihnen heiß? Sie haben Glück, das kann ich ändern. Ich werde Ihnen Luft zufächeln. Ist doch auch sonderbar, daß der, der andern eine Kühlung verabreicht, selbst dabei ins Schwitzen gerät. Da fragt man sich doch: Gibt es überhaupt Gott? Obwohl - Spinat kann man nicht zweimal heiß machen, es gibt Gott!
   Letzte Woche stand ich in einem Raum voller Öfen, war trotzdem kalt gewesen; war ein Ofenmuseum — da muß man schon umdenken!
   Manche finden abstehende Ohren entstellend, aber man vergißt, daß sie gleichzeitig das Gesicht schmaler erscheinen lassen. So hat alles seinen Sinn und seine Ordnung.
  Heute Morgen habe ich einen  Riesenkasten Mineralwasser hochgeschleppt in den sechsten Stock, weil der Aufzug kaputt war, davon kam ich gleich so ins Schwitzen, daß ich die Hälfte davon wieder austrinken mußte, Ich dachte, ist ja nicht so schlimm, weil ich eh im Supermarkt die Brötchen vergessen habe. Habe ich dann gesagt: Geben Sie mir doch bitte fünf Brötchen, hat sie gesagt, ich gebe Ihnen sechs, weil sie nicht so schön sind: da muß man schon umdenken!
   Treff ich da die Doppelgängerin von Frau Steinhart. Ich denke, das ist doch Frau Steinhart. Der gleiche sture Blick, die gedrungene Körperhaltung, die Hände zur Faust geballt, als wollte sie gleich auf mich los, und ich denke, das ist doch Frau Steinhart, und ich grüße ganz  normal: "Guten Tag, Frau Steinhart" aber Sie grüßte nicht zurück, da wußte ich gleich, es ist doch die Doppelgängerin von Frau Steinhart. da muß man schon umdenken.
   Heute Morgen hatte ich Glück, da habe ich einen Glückspfennig auf dem Bürgersteig gefunden, aber dann dachte ich, ist denn so ein Glückspfennig auf dem Bürgersteig überhaupt so viel Glück? Wäre nicht ein Glückstausendmarkschein auf dem Bürgersteig viel viel mehr Glück? Beim Glück sollte man nicht so bescheiden sein! Ein Glückstausendmarkschein mit einem fälschungssicheren Silberstreifen. Das wäre ein Silberstreifen am Horizont.
   Da überzeugt mich die Unglück bringende Katze von links schon eher, zumal ich eine Katzenallergie habe und meine Frau mich »Mausi« nennt: da muß man schon umdenken!    Hat meine Frau jetzt zu mir gesagt, daß in Hannover ein Schwimmbad abgebrannt wäre. Habe ich gesagt: Hä? In Hannover ist ein Schwimmbad abgebrannt? Wie soll das denn angehen? Oder haben sie den Dreier wieder aus Holz gebaut? Da dachte ich, Moment mal, das Flugzeugmuseum steht ja auch auf dem Boden. Früher dachte ich immer, es hört mir kein Mensch zu, bis ich gemerkt habe, ich habe noch gar nichts gesagt. da muß man schon umdenken: Einmal, einmal habe ich einen abgerissenen Mülleimer auf dem Bürgersteig gesehen. Dacht’ ich, ach, liegt da ein abgerissener Mülleimer auf dem Bürgersteig: jetzt wurde er auf einmal selber zum Gegenstand seiner früheren Funktion. Jetzt hätte man ihn brauchen können. Jetzt war er selber Müll geworden. So schnell kann es gehen. Ich meine, das ist doch genauso, als wenn man die Nummer der Auskunft nicht mehr weiß, dann kann man dort noch nicht mal anrufen, um danach zu fragen.  Ich habe jetzt in der Zeitung gelesen, daß sich beim Joggen nach zwanzig Minuten körpereigene Glückshormone bilden. Da habe ich gedacht, das schaffe ich mit fünf Bier - und das im Sitzen. Es muß nicht alles weh tun, was gut tut.
Letzte Woche habe ich nicht so viel Glück gehabt. Ich konnte also ruhig mal etwas riskieren, schlimmer konnte es gar nicht kommen. Es gab dann bei uns am Bahnhof eine Lotterie, da konnte man einen VW Golf gewinnen, da habe ich mir dann ein Los geholt, und was ist daraus geworden? Ein Vierfarbkugelschreiber. Ich meine, nichts gegen einen Vierfarbkugelschreiber, aber er schrieb nicht, alle vier Minen schrieben nicht, dann doch lieber einen VW Golf. Aber dann dachte ich, laß doch diesen Vierfarbkugelschreiber so wie er ist, vielleicht ist es seine Bestimmung, nicht zu schreiben. Ich dachte, ich schenke ihn einfach meinem Bruder zum Geburtstag, der schreibt mir sowieso nicht. Ja, man muß aufpassen,  das Glück lauert überall. Heute Morgen habe ich noch gedacht, daß ich gewachsen wäre, dabei hat nur jemand die Dusche verstellt - knapp am Wunder vorbei. Aber nichts ist lästiger als ewiges Glück, und ich weiß, wovon ich da rede: In meinem letzten Leben war ich mal Schaf in einem Streichelzoo.



© Erwin Grosche
Veröffentlichung aus „Lob der Provinz“ in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung