Über einen Stadtbummel

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Über einen Stadtbummel
 
(A geht mit B durch die Soester Haupteinkaufsstraße. A ist eine Frau, B ein Mann.)
   A: Heute habe ich Kirschen entsteint und dachte, ich risse einem Feuerwehrmann sein Herz aus der Brust.
   B: Wir haben zwei Meerschweinchen geschenkt bekommen, die wir Maria und Margot getauft haben. Sie erinnerten uns so an die Hellwig-Schwestern, obwohl sie scheu sind.
   A: (schaut sich um) Soest macht einen guten Eindruck, weil man gerade von Soest nicht erwartet, daß es schön ist. Ich glaube, daß dies auch der Vorteil der westfälischen Küche sein kann.
   B: Wissen Sie, ich kann den Regen im Voraus spüren. Ich habe einen Freund, der zieht Unglück an. Ich hatte mal einen Bekannten in Herne, der konnte Soester nachmachen.
(A macht einen Soester nach und hört damit erst auf, als sie die Polizeiwache sieht.)
   A: (vorsichtig) Wie freudlos unsere Polizei untergebracht ist. Bis auf die Beamten, die mit dem Polizeikasper durch die Kindergärten ziehen, haben Polizisten doch einen unromantischen Job. Ich besichtigte mal eine Polizeidienstelle in Hamm, auf der mußte ich weinen. Was hatten die armen Polizisten getan, um in diesen Räumen ihr Leben fristen zu müssen? Die Autorität der Polizei steht auf so wackeligen Beinen, daß selbst Betrunkene bei ihnen keinen Kaffee bekommen, geschweige denn einen Anröchter Doppelkorn. Der Sage nach sollen alle Polizisten in ihrem ersten Leben Schuld auf sich geladen haben und müssen diese nun abarbeiten.
   B: (lenkt ab) Ich kann an den Ausscheidungen der Schnecke die Bodenbeschaffenheit Ihres Gartens feststellen, aber würde dies nur ungern unter Beweis stellen. Ich könnte Sie küssen, und Sie würden ohnmächtig. Es könnte auch sein, daß ich Sie küsse und ich würde ohnmächtig. Im besten Falle könnte ich Sie küssen und wir würden beide ohnmächtig. Wir würden beide gleichzeitig ohnmächtig werden und dabei so gegeneinander fallen, daß wir uns gegenseitig als Stütze dienen können. Welch schönes Bild unserer Zukunftsaussichten: ohnmächtig werden und trotzdem Stütze bekommen.
   A: (lacht) Gott zeigt sich uns als Brot, das gegessen werden will. Warum erscheint er uns nicht als Musik, die getanzt werden will? Warum kommt er nicht als Mensch, der Liebe braucht? Warum erscheint er uns als Brot, als Paderborner, als Ciabatta, als Fladen? Erscheint er uns heute als Burger-King, um den Gottlosen den letzten Rest zu geben?
   B: (als fiele ihm die Textzeile ein, nach der er so lange gesucht hatte) Gerade sprang die Sonne an. Für zwei Stunden sahen wir wieder, wie unaufgeräumt alles war. Duisburg erschien wie hingekotzt. In einer Ecke lag eine alte Liebe und trieb es mit einem Piraten.
(Beide sind ein wenig ratlos. B summt vor sich hin. In Soest schiebt sich die Sonne zwischen zwei dunklen Wol- ken hervor.)
   A: Wenn sich die Frau zu einer Schönheitsoperation entschließt und sich ihre typische Nase ändern läßt, müßten sich im Grunde auch ihre Kinder, die von ihr diese typische Nase geerbt haben, auf eine Schönheitsoperation einlassen. Ist es nicht eine komische Vorstellung, daß jemand, der sich seine typische Nase durch eine Schönheitsoperation ändern ließ, nun bei der Geburt eines Kindes wieder mit dieser typischen Nase konfrontiert würde? „Das ist nicht unser Kind!“
   B: Es ist schwierig, den Angsthasen zu sagen, daß sie gleich gejagt werden. Besser ist es, sie darauf vorzubereiten, daß es auch im Unglück schöne Momente geben kann. Im Grunde funktioniert so das Christentum. Es gibt Hasen, die erst im Gefängnis die Schönheit der Welt erkannten. Ich kannte einen Hasen, der eine Jägerlaufbahn angestrebt hatte. Ich sage nur Mobbing, oder dürfen auch Opfer Jäger sein?
   A: Der Delbrücker Spargel denkt auch, er wäre was besseres, nur weil er aus der Nähe kommt.
   B: Das verstehe ich nicht. Ich fühle mich so, als hätte ich einen Hut auf, an dem Flügel hängen, die auf und ab flattern, wenn man sich bewegt.
   A: (schüttelt den Kopf) Ich habe mal auf dem Dortmunder Hauptbahnhof eine Gruppe von betrunkenen Männern gesehen, die das Lied „Yellow Submarine“ von den Beatles mit dem Text: „Heinrich Böll von Köln am Rhein, Heinrich Bö hö höll von Köln am Rhein, Heinrich Böll von Köln am Rhein usw.“ gegrölt haben, und ich muß sagen, es klang besser als das Original und war auch vom Inhalt her logischer.
   B: Nachts ziehen sich im Fernsehen die Frauen aus, räkeln sich zu schwülstiger Musik und befeuchten ihre Finger. Früher konnte sich eine Frau stundenlang ausziehen, und man war wie gebannt. Heute trägt sich das auch nicht mehr so lange, vielleicht weil man weiß, was kommt. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, von den tausend Nackten, die mir bisher auf dem Bildschirm begegnet sind, hätte ich mir auch die Hälfte ersparen können - aber irgendwie ist man sich dabei nie ganz sicher.
(A zieht sich aus, B schaut nicht zu. In Soest wird die Polizei alarmiert. Man hört Sirenengeheul.)
 


© Erwin Grosche
Veröffentlichung aus „Warmduscher-Report“ in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung