Tanzträume

Anne Linsel und Ulli Weiss – „Jugendliche tanzen KONTAKTHOF von Pina Bausch“

von Jürgen Kasten
Tanzträume
 
1978 fand in Wuppertal die Uraufführung des Tanz-Stückes „Kontakthof“ der Compagnie des Tanztheaters Pina Bausch statt. Im Jahr 2000 erlebte es eine Neu-Einstudierung, und zwar mit Senioren ab 65 Jahren. Wie das ursprüngliche Stück hatte es internationalen Erfolg. Dann, im November 2008, wagte das Tanztheater ein weiteres Experiment. Das Stück wurde unter der Trainingsleitung von Bénédicte Billiet und Jo Ann Endicott erneut einstudiert, diesmal mit Jugendlichen ab 14 Jahren.
Die Journalistin und Filmemacherin Anne Linsel begleitete dieses Projekt zusammen mit der Fotografin Ulli Weiss von Anfang an. Daraus entstand für den WDR und für ARTE ein Film, der erfolgreich auf internationalen Festivals und in Kinos lief.
Hier liegt nun das Buch zum Film vor. Die Texte, fast ausschließlich Zitate der beteiligten Tänzer und Tänzerinnen, stellte Anne Linsel zusammen. Fantastisch schöne, ans Herz gehende Fotos steuerte Ulli Weiss bei. Ausführlich kommen auch die Trainingsleiterinnen und Pina Bausch selbst zu Wort.
 
Nur die wenigsten Schüler wussten 2008, worauf sie sich einließen, viele kannten nicht einmal Pina Bausch. Safet zum Beispiel war der Meinung, er gehe zu einem Hip Hop-Casting und sagte sich „du bist hier falsch“. Nach einjähriger Probezeit und den ersten umjubelten Aufführungen war er der Meinung: „Tanzen ist mein Leben“.
Er ist einer von zwei Jugendlichen, die sich anschließend an der Folkwang-Hochschule bewarben und eine professionelle Tanzausbildung absolvieren.
Aber auch alle anderen sagen heute: „Das Projekt hat mein Leben verändert.“
Joy tanzte eine der Hauptrollen. Sie hat bereits als Jugendliche familiäre Schicksalsschläge erlitten. Im Stück agiert sie energiegeladen und lustvoll auf der Bühne. „Durch das Tanzen bin ich auf jeden Fall viel selbstsicherer geworden und dadurch vielleicht auch offener anderen gegenüber“, sagt sie.
 
Es ist geradezu faszinierend wie offen diese Jugendlichen ihre privaten Gedanken und Gefühle offenbaren. „Durch Pina Bausch sind die meisten von uns Freunde geworden...“, meint Andi. Und das ist eine starke Aussage, denn die Schüler wurden aus 200 Bewerbern ausgewählt. Sie kamen von den unterschiedlichsten Schulformen und standen sich anfangs mißtrauisch gegenüber. Gewachsen ist daraus ein Ensemble, das in doppelter Besetzung „Kontakthof“ international aufführte, jeweils Begeisterungsstürme auslöste und in der Presse enthusiastisch gefeiert wurde.
 
„Ihr seid ja am schönsten, wenn ihr ihr selbst bleibt. Mit allen Qualitäten und Raffinessen, die so ein Mensch hat“, sagte Pina Bausch auf eine der Proben zu den Schülern. Das haben sie verinnerlicht und gelernt es auszudrücken. Die Fotos von Ulli Weiss zeigen diesen Prozeß, unterstreichen die Aussagen der Jugendlichen und übertragen deren Spaß, die harte Arbeit, das Engagement, die Sehnsucht nach Nähe auf den Betrachter.
Das Buch stellt sich für mich fast noch eindringlicher dar als der Film. Ein überaus gelungenes Werk, in dem Anne Linsel neben einem ausführlichen Interview mit Pina Bausch auch einiges an Daten einbrachte, welche die Entstehungsgeschichte der verschiedenen Aufführungsarten und deren Protagonisten hinterleuchtet.
 
Anne Linsel und Ulli Weiss – „Jugendliche tanzen KONTAKTHOF von Pina Bausch“
Das Buch zum Film
© 2011 Verlag HP Nacke, Wuppertal, broschiert, 17 x 28,8 cm, 120 Seiten, € 19,80
 
Weitere Informationen:  www.hpnackekg.de