Der Hund, der Audrey Hepburn nachmachte

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker

Der Hund, der Audrey Hepburn nachmachte
 
Ich kenne einen Hund, der kann einen Hasen nachmachen. Wenn man dem Hund zurief: „Wie macht der Hase?“ richtete er sich auf, preßte die Vorderpfötchen an sich und ließ die Ohren hängen. Sieht so denn ein Hase aus? Welch eine Demütigung. Ein Hase ist ein Fluchttier und fürchtet den Hund als Jäger. Welche Anstrengung muß es dem Hund kosten, sich in einen Hasen zu verwandeln? „Dem Hund fehlt doch die ganze innere Einstellung“, sagte ich zu dem Hundebesitzer. „Das muß doch sehr erniedrigend für einen Hund sein einen Hasen nachzumachen.“ Ich nahm den Mann an die Seite. Ich wollte ihm etwas erzählen, was nicht jeder zu hören brauchte. „Ich kenne einen Theater-Hund in Dortmund“, sagte ich. „der kann „Schäm dich“ machen, auch wenn er nichts angestellt hat. Er hält sich dazu eine Pfote vors Gesicht und senkt dabei den Blick. Wohl gemerkt“, ergänzte ich, „das ist ein Theaterhund. Der weiß: Ich spiele das nur. Aber einen Hund zu nötigen in sein Feindbild, einen Hasen zu schlüpfen, ist doch von einem anderen Kaliber.“ Der Mann tat so, als wäre er beleidigt und fragte mich, was denn mein Hund so drauf hätte. Da dachte ich nach. Mein Hund kann ja nichts und war noch stolz darauf. Plötzlich fiel mir etwas ein. Ich schaute meinen Hund an und sagte: „Wie macht Audrey Hepburn? Wie macht Audrey Hepburn in dem Film „Frühstück bei Tiffany?“ Mein Hund wußte erst gar nicht, was er tun sollte. Er kannte ja Audrey Hepburn nicht, geschweige denn den Film „Frühstück bei Tiffany“. Er schaute mich also groß an. Unbewußt schaute er dabei in die Welt wie die zierliche Schauspielerin. Es war dieser „Hilf mir weiter“ Blick, dieser „Ich bin ganz klein, tu mir nichts“–Blick, dieser wunderbare Audrey Hepburn-Blick. Und alles strahlte und wurde beglückt, als kraulte einem Audrey Hepburn den Kopf. Ich nickte nur bescheiden und streichelte den Hund. Der Mann mit dem Hasenimitator schüttelte den Kopf. Er hielt sich die Hand vors Gesicht, als wollte er ein „Schäm dich“ andeuten und  summte dazu die Melodie von „Moon River“. Da wurde es doch noch ein schöner Nachmittag.
 
 
 
© 2012 Erwin Grosche