Generation Fusselrolle

Wilfried Schmickler liest Deutschland die Leviten

von Frank Becker

Wilfried Schmickler - Foto © WDR/Fürst-Fastré
Generation Fusselrolle
 
Wilfried Schmickler
liest Deutschland die Leviten


Mit seinem á jour gebrachten Programm „Weiter!“ riß am vergangenen Samstag Wilfried Schmickler sein Publikum in der restlos ausverkauften Remscheider Klosterkirche zu Begeisterungsstürmen hin. Er war aber auch mächtig gut drauf, und der Funke sprang schon in der ersten Minute zündend über. Frei von Anbiederung und Schmeichelei sagt Schmickler, was Sache ist. Er gehört zu den wenigen Klar- und Weitsichtigen im Lande, ist ein Wahrhaftiger, der auch die unbequemsten Wahrheiten ungefiltert ohne Rück- und Vorsicht ausspricht. Längst gebührte dem virtuosen Schnellsprecher für seine Programme (die Pflicht für jeden Oberstufen-Kurs deutscher Schulen sein müßten) neben seinen großen Kabarett-Preisen auch ein staatlicher Verdienstorden. Aber den würde er vermutlich pikiert anlehnen. Warum hat man ihn eigentlich bei der Bundespräsidenten-Kür übersehen? Wohl, weil er auch hier spöttisch abwinken würde.
 
Daß Wilfried Schmickler sogar prophetische Gaben hat, bewies er 2010, als er den damaligen Neu-Bundespräsidenten Wulff einen „Wulff im Schafspelz“ nannte. Heute verleiht er ihm den Ehrentitel des Bundes-Schnäppchenjägeres (Der Mann wollte doch nur sein Bestes!) und stellt zu Recht den „Ehrensold“ von rund 200.000,- pro Jahr, plus dies und das in Frage. Der Vergleich mit der Rente einer Krankenschwester nach 40 Jahren Dienst am Menschen ist bedrückend. Beschämend, würde Wulff auf diesem Sold bestehen. Da paßt Schmicklers mahnendes Gedicht: „Was ist das für ein Tier, die Gier?/ Es frißt in mir und frißt in Dir./ Will mehr und mehr/ und frißt uns leer…“ Schmickler ist ein zeitkritischer Lyriker von Rang und ein großer Moralist. Seine eingestreuten säurehaltigen Lieder (keine Moralinsäure, notabene) haben die Qualität, die wirkliches Kabarett ausmacht – böse, bissig, wahr. Das der SPD gewidmete „Allein im Ortsverein“ hat das Zeug zum Klasssiker.
Die Kulturgeschichte des Katholizismus mit der schmierigen Gewissenserforschung zum 6. Gebot in der Beichte (was, wie oft, mit wem, wo?) in direkter Verbindung zum Zölibat und Mißbrauch Schutzbefohlener liegt dem katholisch erzogenen Satiriker besonders am Herzen. Schmicklers griffige Erklärung für das System der Leerverkäufe, das uns alle durch die Skrupellosigkeit von Finanzjongleuren an den Rand des Ruins bringt und nicht grundlos die Angst vor dem großen Gelduntergang schürt, läßt frösteln.
 
Doch auch das befreiende Lachen hat er für seine Zuhörer parat, wenn er (aktuell) das abendliche Fernsehprogramm im allgemeinen, Kochsendungen im besonderen zum quietschenden Vergnügen vor allem der Damen im Saal analysiert, über Rauchverbote, Coffee to go, lächerliche Dress-Codes und den Niveau-Limbo („How low can you go?“ sang schon anno schnirch Chubby Checker) mobil telefonierender Jugendlicher räsoniert, über unsere ewige Kanzlerin (Mein Gott, ist die locker!“) ihre Mundwinkel und Handhaltung herzieht, sie im Titelsong „Weiter!“ besingt oder klarstellt: „Wäre Merkel ein Mann, man hätte sie längst zum Teufel gejagt. Aber sie ist wie der VW Käfer: läuft und läuft und läuft. Einziges Problem: sie weiß nicht wohin.“ Jung-Ministerin Kristina Schröder nennt er eine ahnungslose Truutsche, für die Riege Niebel/Döring/Rösler hat er den Namen „Pamper-Boys“ parat, zu Guttenberg den Kommentar: „Lieber einen Blender als gar keine Lichtquelle“ und für Silvana Koch-Mehrin, das FDP-Pendant zum Dissertations-Abschreiber hat er nur Verachtung übrig.
 
Mit saftigem Vergnügen kommentiert Schmickler das Urteil gegen „Bild“, nicht mehr behaupten zu dürfen, neben der Bischöfin Käßmann habe Gerhard Schröder damals bei ihrer Trunkenheitsfahrt im Auto gesessen: „Hat er auch nicht, der lag besoffen auf der Rückbank!“ Ist eigentlich jetzt raus, ob, wo, womit und durch wen das Schröderle sich zur Kanzlerzeiten die Haare hat färben lassen?
Schmickler, vielleicht der wort- und pointenreichste, auf jeden Fall sprachgewaltigste und schnellste seiner Zunft bekennt, zur Generation Fusselrolle zu gehören: „Je älter ich werde, umso fusseliger werde ich.“ Kann man verstehen. Hut ab.

 
Weitere Informationen: www.wilfriedschmickler.de