In New York abgelehnt –
In Berlin getröstet
The Rejection Collection Tour in Germany von unserem Beobachter Andreas Greve
Viele Köche
An einem Samstagabend im März versammelte sich im Plenarsaal der Akademie der Künste am Pariser Platz, nur einen Steinwurf vom Brandenburger Tor, eine kleine, internationale Schar von Aufmüpfigen, um über die altbekannte Frage „Was darf Satire?“ und „Wo fängt der Spaß erst richtig an?“ zu debattieren. Anlaß war ein relativer Geniestreich, nämlich die Präsentation von etlichen abgelehnten US-Cartoons, der sogenannten „The Rejection Collection“ bzw. der dazu gehörige Talk auf dieser mit vielen Zeichnungen durchreisenden Rejection-Collection-Tour. Wunden lecken auf höchstem diplomatischem Niveau - und unter dem schützenden, fast neuen Dach der ansonsten 300 Jahre alten Akademie der Künste und im Beisein ihres Präsidenten, des einschlägig bekannten Plakat-Aktivisten Klaus Staeck.
Den Kulturaustausch angezettelt hatte der (teils in den USA lebende) Stern-Cartoonist Til Mette, gefördert wurde von der Bundeszentrale für Politische Bildung und zu einer Ausstellung umgesetzt von der umtriebigen Einsatzzentrale www.caricatura.de. Letztlich prallten im Saal die Kulturen nur sanft aufeinander. Nicht unbedingt ein Verstehen – aber viel Verständnis.
Zu Anfang ein akademischer Ausflug Die Ablehnung ist vielleicht der größte gemeinsame Nenner unter allen Künstlern, ja, sogar Kehrseite ihres künstlerischen Antriebs. Außer großen Mengen Alkohols oder reinen Glücks helfen dagegen diverse Formen der Organisierung, in Gruppen, Verbänden oder Akademien. Am „Salon de Paris“ war nicht zuletzt die Gegenausstellung „Salon de Refuses“/ „der Abgelehnten“ interessant, durch die z.B. der Name Cezanne (1863 erstmals) bekannt wurde. Von der „Sezession“ in Berlin hinterließ die Abspaltung der Abspaltung, die „Freie Sezession“ unter der Leitung von Max Liebermann, (der auch bis 1933 der Preußischen Akademie der Künste in Berlin vorstand), den bleibenderen Eindruck. Und der bekannte US-Cartoonist Jack Ziegler sagt: „Wer mit Ablehnung nicht umgehen kann, hat schon verloren!“ Der in den USA bekannte Ziegler, sollte man sagen. Oder unter Cartoonisten bekannte.
Selbst den „New Yorker“ muß man ja mittlerweile hierzulande als eher unbekannt annehmen: Der „New Yorker“ ist ein legendäres wöchenliches Intelligenzblatt – still going strong since 1925 -, in dem alle Geistes- und Gaggrößen der Zeit geschrieben haben, von Truman Capote oder Jerome Salinger über Woody Allen bis John Updike und Susan Sontag oder (zeichnerisch) von James Thurber über Saul Steinberg und Robert Crumb bis zu, ja, warum nicht: Ziegler oder Booth oder Roz Chast. Woche für Woche erscheinen ein sehr gutes Dutzend im Heft verstreute Cartoons, geliefert von ungefähr 50 fest dem „New Yorker“ verbundene Cartoonisten, die jeder jeweils zehn
Vorschlagsskizzen einreichen. Das heißt: Woche für Woche 50 narzistische Kränkungen und 500 quasi überzählige Cartoons. Gezeigt oder erzählt wurden die schönsten Mißerfolge: Entweder zu kindisch, zu drastisch, zu unkorrekt: „Opa, wie kommt es eigentlich, daß ihr keine Farbfotos machen konntet in Auschwitz?“ Oder zu unverständlich oder – und so etwas kann der Stand-Up erfahrene Matthew Diffee sehr punktgenau liefern „zu viele! – oder eine Mischung aus allem.“ Ablehnung als Aufgabe Beim Durchblättern einiger dieser Stiefkinder dachte der junge New Yorker „New-Yorker“-Cartoonist Matthew Diffee: „Hej – die sind doch lustig! Warum sollte man sie nicht veröffentlichen?“ und schon war das Projekt geboren, aus dem in den USA mittlerweile zwei von Diffee herausgebrachte Bücher geworden sind und eine Roadshow, mit der er herumreist und in einer Art komischer Powerpoint-Präsentation haltlose Theorien über den Humor und Gründe der Ablehnung im Besonderen darlegt. Mir gefiel der trockene Kommentar von Jack Ziegler, der sagte, für ihn wäre nichts grundlegend anders „Jetzt lehnt eben Diffee meine Zeichnungen ab“, der sei sein neuer Boss. Und als solcher hat Diffee mittlerweile seinerseits viel mehr Verständnis für den Redakteur des „New Yorker“, der Woche für Woche diese fürchterlichen Entscheidungen treffen muß: Robert „Bob“ Mankoff.
In einem kleinen Einspielfilm, der die Sitzung einer fiktiven Selbsthilfegruppe zeigt, in der alle lang und breit über diesen Mankoff klagen, erschlägt ihn Roz Chast am Ende mit einem Baseball-Schläger. Eine ganz eigene Ironie bekam die Sache dadurch, daß die in Berlin anwesende Vollstreckerin Roz weder in der Ausstellung noch in dem deutschen Katalogbuch „Die besten Cartoons“ vorkommt, ja, noch keiner der von ihr dabei auf die Leinwand gebeamten Cartoons je abgelehnt worden waren. Aber das blieb nicht die einzige Ironie. Deutscher Ernst Der Gesprächsleiter Leo Fischer, Chefredakteur der Titanic, ironisierte das Thema derartig stark, daß die drei US-Gäste sichtbar Mühe hatten, noch den Witz in ihrer Sache zu sehen. Das lag aber vielleicht auch an der der fast unmöglichen Aufgabe für die Simultan-Übersetzerin, sich in diesem Wirrwarr der Ebenen, Andeutungen und Anspielungen halbwegs zurechtzufinden. Das Publikum trug seinen Teil dazu bei, da Fragen gleich auf Englisch gestellt wurden, während die Übersetzung
simultan durch den Kopfhörer auf die Ohren der US-Gäste schallte… Ja, es war teils ein rechtes Durcheinander. Leo Fischer zog es vor, nicht den Part des ablehnenden Redakteurs, sondern des verklagten Satirikers zu spielen und zeigte ein Best-Of teurer, weil gerichtlich verbotener, Titanic-Titelbilder und auch Klaus Staeck holte ein paar ganz andere Hämmer aus seinem Plakat-Archiv. „Alle reden vom Frieden – Wir nicht!“ Im Laufe der Jahre hatte er 41 Klagen und Prozesse am Hals. (Danach hörte er auf, mitzuzählen). Seine Theorie: Nur mit Satire kommt man an die Vorurteile. Er brachte den deutschen Ernst in die Debatte, die sich sowieso in Themen tummelte, die eher weniger mit der Tagungsfrage zu tun hatten, etwa, ob Frauen weniger Humor hätten als Männer. .. Goldig Im Publikum saßen wenigstens zwei dieser raren Gattung: KA Greve und Kitty Hawk. Überhaupt saßen viele Vertreter des Cartoon-Geschäfts im Publikum: Rattelschneck, OL, Sowa, Hurzlmeier, Goldt. Sie kamen auch als Fans. Sie kannten ihre Idole schon ein halbes Leben und taten, was Fans tun: Sie machten Fotos und ließen sich – wie etwa Max Goldt von Roz Chast – Bücher signieren, die sie schon seit Jahren wie ihren Augapfel hüteten. Das war wirklich goldig. Akademiepräsident Staeck nahm sich keineswegs davon aus. Mal ehrlich: Es muß doch wirklich ein großartiges Gefühl sein, in New York abgelehnt und am Brandenburger Tor so gründlich getröstet zu werden. Wäre das Thema „Wo bleibt das Positive?“ gewesen, wäre dies die Antwort.
Dauer: 3. März bis 29. April 2012 Zeiten: Do + Fr, 14 – 20 Uhr,
Sa + So, 12 – 20 Uhr CARICATURA - Galerie für Komische Kunst im KulturBahnhof, Rainer-Dierichs-Platz 1, Kassel Kontakt: Tel. 0561 776499 - info@caricatura.de
Matthew Diffee (Hrsg.) - Die besten Cartoons, die der New Yorker nie druckte
C 2011 Liebeskind Verlagsbuchhandlung, München, Gebunden, 96 Seiten, ISBN-10 3935890842
18,90 EUR Weitere Informationen: www.liebeskind.de
Redaktion: Frank Becker
|