Einer, der irrt, aber nicht schwankt

„Der Weg zum Glück“ von Ingrid Lausund beim Duisburger Theatertreffen

von Martin Hagemeyer

Bernd Moss - Foto: Deutsches Theater Berlin
Einer, der irrt, aber nicht schwankt
 
„Der Weg zum Glück“ von Ingrid Lausund
beim Duisburger Theatertreffen
 
 

Regie
: Ingrid Lausund – Raum, Kostüme, Licht: Beatrix von Pilgrim - Darsteller: Bernd Moss.
 
Daß auf diese Idee noch keiner gekommen ist. Das rastlose Getriebensein heutiger Menschen vorführen, indem man einen rastlosen Menschen über die Bühne treibt: Damit verblüfft nun seit 2004 das Stück „Der Weg zum Glück“ von Ingrid Lausund, das die Dramatikerin selbst inszeniert und am 11. März vom Deutschen Theater Berlin zum Theatertreffen der 34. Duisburger Akzente mitgebracht hat. Ein Erlebnis. Bernd Moss tritt auf, fängt an zu gehen und hört für eineinhalb Stunden nicht mehr auf damit. Für die Zuschauer heißt das: Vergnügen und Faszination daran, einen Eigenbrötler zu beobachten, der glaubt, sein Weg führe ihn zum Glück, wenn er nur einen positiv denkenden Weggefährten erfindet (den „Anderen“). Unterbrochen bloß durch manch unkontrollierte Ein-Wort-Beschimpfung in den leeren Raum hinein – man möchte sagen: verbale Muskelzuckungen. 
 
Denn Gehen und Reden sind eins bei dieser Fleisch gewordenen Aktionismus-Metapher. Der Irr-Weg seiner Füße führt ihn voller Richtungswechsel und absonderlicher Windungen in alle Winkel der großen Bühne. Und der Weg seines Hirns: quer durch seine Welt. Ohne Halt geht es, geht er von Running Gags im wahrsten Wortsinn („Es reicht jetzt!“ – „Aber es läuft doch!“) zu Sex und Tod und wieder zurück. Beim eigentlich doch vitalen Thema „Wald und Holz“ liegt für seinen übermächtigen Assoziationsdrang die Leiche gleich um die Ecke, genauer: im Sarg; und von dort ist es natürlich nicht weit zur bangen Frage, ob die nicht vielleicht „doch noch lebt“. Aber: „Das ist gar nicht schlimm.“
Mit Kommentaren wie diesen und wiederholtem „Aha!“ gibt der Irrläufer ständig zu verstehen, daß er trotz allem Herr der Lage sei. Um im Bild zu bleiben: Dieser Mann irrt zwar ziellos umher, aber er schwankt nicht. Und das wirkt wohl genau deshalb so komisch, weil man als Zuschauer sein Bemühen, sich trotz allem abgeklärt zu geben, natürlich durchschaut. „Dieses Gefühl, ein Ich zu sein …“ – „Was ist damit?“ – „… das habe ich nicht.“ Aha.
 
Die Begegnung mit Fremdheit in „Der Weg zum Glück“: sie ist nämlich nicht eigentlich rätselhaft, nicht kafkaesk. Vielmehr fühlt man sich überlegen im Zuschauersessel, denn jeder durchschnittlich informierte Zeitgenosse hat beim Betrachten schnell ein paar ganz konkrete Begriffe aus dem populär-psychologischen Inventar unserer Tage zur Hand, um diesem Fremden seine Diagnose zu stellen: „schizophren“, „Paranoia“, „Tourette“. Und „bei der Hand“ heißt: Er ist faßbar.
Doch: Bernd Moss denunziert den komischen Kranken nicht, sondern macht ihn bei aller Verranntheit plausibel, ja sympathisch. Sicher, immer wieder reizt der absurde Parforce-Ritt zum Lachen; aber auslachen läßt uns Moss seine Figur nie. Im selben Tonfall und ganz „im Vorbeigehen“ wie zuvor sagt er einmal: „Und dann sehe ich mich am Tisch sitzen, wie ich ein Spiel vorbereite, das nie stattfinden wird. Und das Ganze ist so traurig, daß ich lachen muß.“ Spätestens da hat er uns. Und nicht zuletzt fragt man sich, je weiter man vorne sitzt, mit fortschreitendem Abend irgendwann auch unweigerlich: Gerät der nicht mal außer Puste?
 
Ein ganz außergewöhnliches Theatererlebnis. Aber in abstrakterem Sinn Vergleichbares gibt es natürlich doch zuweilen: Peter Turrini hat einmal den Monolog „Endlich Schluß“ geschrieben. Ein ganz unappetitliches Stück. Auch dort ein schwer gestörter Einzelkämpfer, auch dieser stur und nicht zu stoppen – nur kämpft er nicht laufend, sondern zählend; bei „tausend“ schießt er sich in den Kopf. Metaphorisch gibt das gar nichts her bei Turrini, Identifikation fällt dort auch flach, und Lachen sowieso. Ganz anders ist da Ingrid Lausunds „Weg zum Glück“. Zum Glück.

Weitere Informationen:  www.deutschestheater.de  und www.duisburg.de/theater