Einbruch

Ein Nachtmahr

von Karl Otto Mühl
Einbruch
 
Es ist mausgrauer Nachmittag, und ich bin auch nicht viel besser. Nach einem langen Mittagsschlaf bin ich im Trainingsanzug einige Häuser weitergeschlurft, bis zu jenem Raum im Souterrain, wo ich für kleines Geld ein kleines Büro gemietet habe. Mausgrau alles, versteht sich.
Der Raum hat zwei Zugänge, einen vom Kellergang aus, den anderen von außen, vom Gehweg vorm Haus. Den nehme ich mit Selbstverständlichkeit, obwohl ich mich doch eigentlich wundern müßte; wundern darüber, daß sich die Türe, zu der drei Stufen hinabführen, ohne Schlüssel öffnen läßt.
Nun bin ich drinnen, stehe auf dem Betonboden, sehe das gleißende Licht im kleinen Fenster in den dicken Mauern, blicke mich um.
 
Erst jetzt fällt mir auf, wie kahl alles ist. Ich sehe nur noch Regale, einen länglichen Tisch, Stühle und einen Schreibtisch.
Mann, der Raum ist ja leer! Da ist kein Fetzen Papier mehr, kein PC, kein Telefon, kein Kalender, kein Bild oder Plakat ist an der Wand. Meine Welt ist entleert. Zum ersten Male merke ich, daß eine entleerte Welt nicht schmerzt, aber es ist viel schlimmer, sie löst mich auf wie in Säure.
Kein Zweifel, man ist eingebrochen und hat mich ausgeraubt.
Als ich spähend und behutsam die Türe zum Gang öffne, stehen zwei junge Riesenkerle vor mir. Falls sie etwas gesagt haben, weiß ich es jetzt nicht mehr, aber ich sehe noch vor mir, wie sie in den Raum eindringen. Sie wenden keine Gewalt an, sie dringen herein wie alles ausfüllende Schmierseife.
Aber ich stehe meinen Mann. Nachdem mir zunächst beim ersten Versuch die Stimme versagt hat, versuche ich es noch einmal, und da gelingt es. Ich sage: Verlassen Sie bitte meinen Raum! Ich muß arbeiten.
 
Die Schmierseifenkerle verlassen stumm meinen Raum. Eigentlich müßte ich befriedigt sein, aber ich weiß nicht, was ich in der Leere anfangen soll.
Gleich darauf weiß ich es. Die Riesenkerle kommen zurück. Sie haben angeklopft, aber es war natürlich kein fragendes oder bittendes Anklopfen. Schon sind sie im Raum, setzen sich mir gegenüber an den leeren Tisch und pfeffern ihre Manuskriptbündel darauf.
Es sind ihre Diplomarbeiten. Ich soll sie durchsehen und korrigieren, aber mich erfüllt tiefe Unlust. Eigentlich will ich doch viel Besseres machen.
 
Ich schleiche aus dem Raum, aber auf dem Gang laufe ich zwei großen Männern in roten, goldbestickten Talaren in die Arme. Es sind Inquisiteure, denn sie fangen gleich mit der Inquisition an. Ich soll abschwören und zugeben, daß ich dies alles soeben überhaupt nicht erlebt habe, sondern, daß es ein blöder Traum war, nichts weiter.
Nein. Nein. Niemals werde ich das zugeben, sage ich. Ich vermute, daß man mich gleich verbrennen wird.
Dazu lasse ich es aber nicht kommen. Ich gehe einfach aus dem Haus und bin wieder auf dem Hof vor den Garagen, genau auf dem Weg, auf dem ich vorher gegangen bin. Es ist immer noch alles mausgrau um mich, obwohl einzelne Leute vorbeigehen. Einer tritt auf mich zu und fragt mich: Suchen Sie jemanden?
 
Eigentlich nicht, antworte ich. Ich suche jemanden, der mich kennt.
Bedaure, sagt der Mensch. Ich kenne Sie nicht. Er geht weiter.
Ich merke, daß ich fröstele. Keine Wunder, denn ich bin jetzt im Schlafanzug, es hat angefangen zu nieseln. Auf dem Boden bilden sich die ersten Pfützen. Da trifft mich ein Fußball, dem ein kleiner Junge folgt. Er sagt, er weiß nicht mehr, wo er wohnt, und ob ich es wüßte? Klar, antworte ich, du wohnst doch neben uns.
Ich nehme den Jungen bei der Hand und gehe auf unsere Häuser zu. Der Junge läuft in sein Haus, ich gehe zu dem unseren.
 
Hast du daran gedacht? fragt meine Frau.
Ich habe nichts zugegeben, sage ich fröhlich und wundere mich, daß sie mich so erstaunt anblickt.
 


© 2012 Karl Otto Mühl - Erstveröffentlichung in den Musenblättern
Redaktion: Frank Becker