Es ist immer dasselbe

von Hanns Dieter Hüsch
Es ist immer dasselbe
 
Wenn die Frieda verreist, ist bei uns immer ein großes Durcheinander. Wir stellen die ganze Wohnung auf den Kopf; denn die Frieda will sich dann in Schale werfen, und das finde ich ja auch in der Ordnung. Aber bis wir das Reisekostüm zusammen haben, haben wir eine unheimliche Wut. Die Frieda sagt: „Das beißt sich mit dem; man kann Grün nicht zu Rosa tragen. Man kann Rosa zwar zu Schwarz tragen, aber man kann Grün nicht zu Rosa tragen.“ Das läßt sich die Frieda nicht nehmen. Das leitet sie, glaube ich, von den Dings da…öh…von den Regenbogenfarben ab, denn die Frieda ist eine romantische Frau, und die Schneiderin von der Frieda ist auch eine romantische Frau, und romantische Frauen sagen immer: „Das beißt sich mit dem.“
 Tja, und dann verreist die Frieda. Die Frieda reist gern durch die Nacht, auch wenn es nur von hier bis gleich ist. Auf dem Bahnsteig sucht jeder nach Worten. Ich sage: „Nicht in den Wagen spucken!“ Die Frieda sagt: „In der Glasschüssel ist noch Feldsalat, und klebe die Rabattmarken ein, das gibt wieder einsfünfzig!“ Dann putzt sich die Lokomotive die Nase, dann putzt sich die Frieda die Nase, und ich kaue an meinen Fingernägeln herum, damit die Stimmung nicht so blödsinnig wird. „In zwei Tagen bin ich wieder da“, schreit die Frieda, denn die Lokomotive ist schon in vollem Gange, und wenn ich jetzt mitliefe, beim nächsten Tunnel müßte ich ja doch umkehren. Dann gehe ich durch die Sperre zurück, wie ein Detektiv, der eine Spur verloren hat.

 Und dann fängt das an: Das Zimmer wird einem zu groß. Man steht keinem mehr im Weg. Es gibt keinen Streit. Man hat seine Ruhe. Man kann auf und ab gehen. Und man geht sogar auf und ab. Und die Frieda reist durch die Nacht und sagt morgen zu den Verwandten: „Man kann Grün nicht zu Rosa tragen!“ Und morgen, dann nur noch einen Tag, dann ist die Frieda wieder da, und es gibt wieder Streit, und man steht sich im Weg; aber ich weiß nicht, das ist doch irgendwie schöner, als dauernd auf und ab zu gehen. Ich wette, daß ich morgen den ganzen Tag in der Stadt herumlaufen werde, damit die Leute wieder sagen können: Der ver- dient sein Geld mit Nichtstun. Dabei laufe ich nur herum, weil man Schwarz zu Rosa tragen kann. Doch das können die Leute ja nicht wissen. Aber die Leute wissen, daß Köln die zerstörteste Stadt war. Sie sagen immer so: „Köln war die zerstörteste Stadt, da kann Essen nicht dran tippen.“Und die Leute in Essen sagen: „Essen war die zerstörteste Stadt, die Kölner sollen sich mal nichts einbilden.“ Und dann gibt’s noch welche, die sagen: Köln und Essen war ja ein Kinderspiel, da müßt ihr mal zu uns kommen, wir sind die einzige Stadt, die völlig zerstört worden ist, das mach uns mal einer nach! Ich wette, daß ich morgen den ganzen Tag in der Stadt herumlaufe.

   Und übermorgen kommt die Frieda. Ich kenne das ja, wenn die Frieda kommt. Ich rase mit der Bahnsteigkarte den Zug entlang. Hin und her. Aber sie ist schon längst am anderen Ende ausgestiegen und ist immer zehn Minuten früher zu Hause als ich. Dann rase ich die Treppe hinauf, und wenn ich in der Tür stehe, und sie sieht mich, dann sagt sie: „Du hast den Feldsalat ja doch nicht gegessen. Es ist immer dasselbe mit dir“, sagt sie. Das habe ich fast schon hundertmal gehört; aber sie sagt so etwas so unvergleichlich, daß ich darauf am besten keine Antwort gebe. „Wie war´s denn?“ frage ich. „Ooch, weißt du“, sagt die Frieda, „die Leute haben ja keinen Geschmack, einfach keine Ahnung. Sie wollen partout Grün zu Rosa tragen. Ich glaube, ich fahr´ nicht mehr hin.“ „Ja, ja“, sage ich, „es ist immer dasselbe. Die Leute haben keinen Geschmack, sie wollen partout die zerstörteste Stadt gehabt haben. Ich glaube, ich höre nicht mehr hin.“

Es ist immer dasselbe: Das beißt sich mit dem. Und die Frieda macht die Tür hinter mir zu, und es ist alles wieder wie vor zwei Tagen. Und wenn es eines Tages gar nicht anders geht, dann reist die Frieda wieder einmal los, und ich gehe wieder einmal auf und ab. Das kommt von dem großen Durcheinander.
 
 

 Aus: Frieda auf Erden(1959) / Der Große Hüsch - Band 1 (2011)

© Chris Rasche-Hüsch/ Verlag Kiepenheuer & Witsch
Veröffentlichung aus "Der Große Hüsch, Bd. 2" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung