Kleine Leute

Arbeiten von Karl Röhrig im Von der Heydt-Museum Wuppertal

von Frank Becker/ARe.

Sonntagspaziergang, 1932 - Foto © Frank Becker
Eine Spurensuche
 
Arbeiten von Karl Röhrig im
Von der Heydt-Museum Wuppertal



Bilder einer verspießerten Gesellschaft
 
Im Wuppertaler Von der Heydt-Museum wird morgen eine Ausstellung zum Werk des Bildhauers Karl Röhrig (1886-1972) eröffnet, der im Gegensatz zu Zeitgenossen wie Ernst Barlach, Käthe Kollwitz oder Georg Kolbe in Deutschland eher unbekannt geblieben ist. Nach Ansicht des Museumsleiters Dr. Gerhard Finckh, der das Werk Röhrigs bereits 1982 bei der Recherche zu der ersten von ihm kuratierten Ausstellung wiederentdeckt hatte, muß Röhrig  jedoch als einer der  bedeutendsten Bildhauer der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts betrachtet werden. Seine Holzskulpturen „Sonntagsspaziergang“ und „Autofahrt“, die 1932 entstanden, sind nicht nur humorvolle Satire auf das gesättigte Bürgertum, sondern wie „Der Mann von der Winterhilfe“ an Sarkasmus kaum zu überbieten, so Gerhard Finckh.
Röhrig widmete sich darüber hinaus zu großen Teilen seines Werks den kleinen, ja  armen Leuten. Es gelang ihm, der verspießerten Gesellschaft und der verlogenen Moral seiner Zeit einen Spiegel vorzuhalten. Mit dieser Pointierung hat sich der Bildhauer mit seinen völlig neuen Arbeitsweisen wie der Materialcollage anderen Künstlern wie etwa Georg Grosz oder Otto Dix als durchaus ebenbürtig erwiesen. Mit seinen kleinformatigen plastischen "Karikaturen" trat Röhrig gleichberechtigt neben die bekannten zeit- und sozialkritischen Malergrößen seiner Zeit. Bereits im Sommer 2011 war die von Gerhard Finckh, Joseph Hierling und Erich Schneider konzipierte und auf der Sammlung Hierling basierende Ausstellung in etwas anderer Auswahl und Zusammenstellung in Schweinfurt zu sehen.
 
Dokumente
 
Zu Röhrigs bekanntesten Werken zählt der oben erwähnte „Mann von der Winterhilfe“, der 1933

Hüttenarbeiter, 1937/38
Foto © Frank Becker
entstand. In diesem Werk gelang es ihm, „den Nazispießer so zu entlarven“, daß keine Fragen mehr übrig bleiben. Er zeigt mit der nur 36,5 cm hohen holzgeschnitzen, auf eine Aluminium-Platte montierten und mit Plaketten des NS-Winterhilfswerks ausgestattet Figur den Prototyp des reichen, beleibten Mann mit Zigarre - ein bei ihm oft symbolisch eingesetztes Attribut, der glaubt, sich mit einem kleinen Obolus für das Winterhilfswerk nicht nur eine Anstecknadel, sondern auch einen Heiligenschein und einen Freibrief für seine Börsenspekulationen erkauft zu haben - ein Spekulations- später Kriegsgewinnler. Diese Arbeit konnte Röhrig bis 1945 nie öffentlich zeigen, sie hätte ihm unweigerlich KZ-Haft oder gar den Tod eingebracht. Sie ist „in Ausführung und Zeitdokument einzigartig“, so Gerhard Finkch. Daß sie seinen Kriegseinsatz und die Ausbombung seines Ateliers überstanden hat, grenzt an ein Wunder. Viele aus seinen ebenfalls erhalten gebliebenen Tagebüchern 1918-1942 bekannte Arbeiten sind durch Kriegseinwirkung zerstört oder nachher durch unregistrierte Verkäufe verstreut und verschollen. So u.a. das Original seines „Zeitungslesers“, den er 1927 für eine Auflage der Porzellanmanufaktur Rosenthal modelliert und damit die gleiche Akzeptanz wie Fritz Klimsch bekommen hatte. Der „Zeitungsleser“ ist verschollen, nachdem der Käufer nach 1945 die Arbeit weiterverkauft hatte, später dement wurde und sich nicht mehr an den Verkauf und den Erwerber erinnern konnte.
 
Arrangement und innere Emigration
 

Torso, 1920 - Foto © Frank Becker
Röhrig selbst vermied das Wort Kunst im Zusammenhang mit seinen Werken und sprach vielmehr von Arbeit. „Meine Arbeit ist nicht von der Politik her inspiriert, sondern von Wahrheit und Menschlichkeit. Ich weiß sicher, daß meine Arbeit der zeitgenössische Ausdruck ist und ihren Wert künstlerisch und kunstgeschichtlich haben wird. Meine Arbeit ist geleitet vom Gefühl der Wahrheit und Ordnung, da war es natürlich, daß sich auch Gesellschaftskritisches dazugesellt hat.“ Aus dem 1. Weltkrieg, in dem sein Bruder gefallen war kam er als erklärter Pazifist, ja Sozialist zurück, was seine Tagebuchaufzeichnungen belegen und seine folgende Arbeit deutlich macht. Während des 3. Reichs lebte er in der „inneren Emigration“, mußte sich jedoch um des nackten Überlebens willen für Brotaufträge mit dem System arrangieren. So arm und mittellos wie während des 2. Weltkrieges, in den er noch als 58-jähriger einrücken mußte, nachdem er 1943 noch an der „Ausstellung Münchener Künstler“ im Maximilianeum teilgenommen hatte, blieb der in München ausgebombte Künstler bis zu seinem Tod im Jahr 1972. In nur wenigen Ausstellungen nach 1945 konnte Röhrig sein Werk zeigen, so u.a. 1961 in „Neuer Realismus“ im Pavillon des Botanischen Gartens München, 1972 in der Neuen Münchner Galerie in „Der Bildhauer Karl Röhrig und die Anfänge der proletarisch-realistischen Plastik in Deutschland“ und 1982 in der von Gerhard Finckh besorgten Ausstellung „Karl Röhrig, 1886-1972. Ein Leben zwischen Kunstgewerbe und Zeitkritik“ im Münchner Stadtmuseum.
 
Dramatik und Ästhetik

Dramatik und Ästhetik markieren nebeneinander und neben seinem bissigen Humor die Arbeiten


Heimkehrer, 1945 (Detail) - Foto © Frank Becker
Röhrigs. Zauber liegt über dem „Torso“ von 1920, nonchalanten Witz hat der „Pfeifenraucher“ von 1917 und die Wucht harter körperlicher Arbeit in den Bronzen „Stehender Mann“ (1928) und „Hüttenarbeiter“ (1937/38). Deutlich autobiographisch ist im letzten Raum der Ausstellung der „Heimkehrer (Mann mit Sack)“, der den entwurzelten, hoffnungslosen aus dem Krieg in eine zerstörte Welt zurückkehrenden Soldaten zeigt. Oft sind die nur in den wesentlichen Grundzügen gestalteten Gesichter der dargestellten Personen von Kummer, Sorge, Gram oder Zweifel gezeichnet. Auch das Hinweise auf Röhrigs eigene seelische Verfassung. Nur Teile seines verstreuten und zum Teil verlorenen bzw. verschollenen Werks sind heute zugänglich. 18 der wichtigsten erhalten gebliebenen Arbeiten sind nun – z.T. in posthum angefertigten Bronzegüssen - bis zum 17. Juni in Wuppertal, begleitet von Arbeiten zeitgenössischer Bildhauer aus dem Bestand des Von der Heydt-Museums, darunter Renée Sintenis, Ernst Barlach, Wilhelm Lehmbruck, Rudolf Belling, Hans Arp, Gerhard Marcks und Käthe Kollwitz zu sehen. Die Wiederentdeckung des Werks des fast vergessenen Bildhauers durch Gerhard Finkch ist im Kontext mit seinen Tagebüchern zugleich eine historische Spurensuche.


Alter Mann, 1926 (Detail) - Foto © Frank Becker

Die vom Kunst- und Museumsverein unterstützte Ausstellung ist dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Zur Ausstellung ist ein Katalogbuch erschienen: „Karl Röhrig – Kleine Leute“ – Schweinfurter Museumsschriften 179/2011.

Weiter gehende Informationen zur Ausstellung → hier in den Musenblättern
Informationen des Von der Heydt-Museums: www.von-der-heydt-museum.de

Am 25. April gibt es ein musikalisch-literarisches Begleitprogramm im Rahmen der Reihe "Kunst³". Informationen  → hier.