Ein tiefer Sturz zurück

Sybille Fabians Wuppertaler „Liliom“-Inszenierung: Ein Fiasko

von Frank Becker

Autsch! Tut das nicht weh? - Foto © Uwe Stratmann
Ein tiefer Sturz zurück
 
Sybille Fabians Wuppertaler
„Liliom“-Inszenierung:
Ein Fiasko
 
 
Regie: Sybille Fabian - Bühne: Herbert Neubecker - Kostüme: Michael Siebenrock-Serafimowitsch - Fotos: Uwe Stratmann
Besetzung: Thomas Braus (Liliom) - Julia Wolff (Julie) - Silvia Munzon-Lopez (Marie) - Gregor Henze (Frau Muskat) - An Kuohn (Frau Hollunder) - Ficsur/Berkovics (Marco Wohlwend) - Wolf Beifeld/Linzmann/ Stadthauptmann (Hendrik Vogt)


Am Anfang ist das Inferno. Unter tosenden elektronischen Maschinengeräuschen muß im fahlen blauen Licht eines Kolumbariums ein aller Individualität entkleideter, zur Nummer 164720 degradierter Liliom die wortlosen Höllenqualen eines Verdammten durchleiden. Dante, Goya, Bacon standen Pate bei diesem gewaltigen 10-minütigen Vorspiel, das in Super-Zeitlupe und in dem großartigen Bühnenbild von Herbert Neubecker ein beeindruckendes Kabinettstück von Thomas Braus ist. Das war´s dann aber auch, denn damit war das Pulver der Inszenierung restlos verschossen. Man hätte gehen können.
 
Geifern, Brüllen, Onanie

Für das, was Sybille Fabian anschließend aus Franz Molnars „Vorstadtlegende“ vom augenblitzenden Schiffschaukel-Schieber und seiner dumm-unglücklichen Geliebten Julie gemacht hat, gibt es im Amerikanischen ein passendes Wort, welches sich hier aus Höflichkeit verbietet. Aber denken darf man es immerhin (Read my lips). Von den weiß geschminkten, überwiegend (halb-)nackten, an Seele und Leib verkrüppelten Figuren wird unter konvulsivischem Zucken gebrüllt, zotig geröhrt, gegreint, Julie (Julia Wolff) zerrt sich, auch für den Zuseher schmerzhaft, unentwegt den Zwickel in die Scham, Marie (Silvia Munzón Lopéz) simuliert schreiend einen Orgasmus (Meg Ryan kann´s besser), gewalttätige Polizisten onanieren angesichts ihrer brutalen Macht, mit Gasmasken vermummte Uniformierte schießen ins Publikum und küssen sich anschließend, An Kuohn agiert als Frau Hollunder geil geifernd, Gregor Henze gibt eine grölend ordinäre, wie der Antichrist hinkende Weiberrolle als Frau Muskat im Mieder und zum bitteren Ende dieser grauenhaften Inszenierung muß die arme Julie - keiner weiß warum – aus ihrem Schoß ausbluten. Genug!


Inferno - Foto © Uwe Stratmann
 
Zurück in die 70er

Das war ein tiefer, sehr tiefer Fall zurück in die Pubertät des Blut- und Sperma-Theaters der 70er Jahre. Hermann Nitsch und Otto Mühl feierten eklige Urständ´. Das Wuppertaler Schauspiel, das zu dieser ins Theater der Nachbarstadt Remscheid ausgelagerten Premiere gerade mal 60 Zuschauer ins 619 Plätze bietende Teo Otto Theater lockte, tat sich in seiner ohnehin fragilen Situation damit keinen Gefallen. Auch durch die dramaturgischen Brüche und Verstümmelung (Sven Kleine) des von Alfred Polgar grandios ins Deutsche übertragenen ungarischen Originals von Franz Molnar muß diese Inszenierung unverständlich bleiben, ist inhaltlich allenfalls Eingeweihten zugänglich. Das Stück erklärt sich in dieser Inszenierung dem unvorbereiteten Zuschauer, der ohne Schauspielführer aufgeschmissen ist, nicht, setzt auf abgeschmackte, völlig abgedroschene Effekte und quält endlich nur noch.
Sahen wir nun "Liliom" oder war es "Woyzek"? Ein ideenloses Armutszeugnis, ein dramaturgischer Bankrott. Da schüttelt den Kopf, wer nicht Claque ist oder schon nach 15 bzw. 30 Minuten gegangen – zehn Prozent der ohnehin wenigen Mutigen taten das türenschlagend. Seufzend blieb der Rezensent. Das Stück dauert 100 quälende Minuten und hat keine Pause. Man wird wissen warum.
Dabei hätte Thomas Braus als Bild von einem Saukerl, gebeutelt zwischen Kotzbrocken und Opfer, eine Menge zu bieten gehabt und Julia Wolff genauso in der Rolle der zarten, mißbrauchten Pflanze. Was für eine Verschwendung.
 
Auf jeden Schrecken ein Bier!

Da kann man eigentlich nur Liliom zitieren: „Hau ab, du wortloses Grauen!“ und „Auf jeden Schrecken ein Bier!“ Theater braucht Publikum. Theater spielt für Publikum. So gewinnt man es nicht, sondern verprellt es und erweist besonders dem am Rande seiner Existenz balancierenden Wuppertaler Schauspiel einen Bärendienst. Für diese Inszenierung verleiht der Rezensent der Musenblätter Sybille Fabian ein selten vergebenes Prädikat - das, was für Hollywood die Goldene Himbeere ist: den Musenblattschuß.
 

Ausweglos - Foto © Uwe Stratmann

Für ganz Mutige: Die Wuppertaler Premiere ist am 19. April 2012 im Opernhaus

Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de