Musik im Fokus nationalsozialistischer Politik

Albrecht Dümling - "Die verschwundenen Musiker – Jüdische Flüchtlinge in Australien"

von Johannes Vesper

Albrecht Dümling - Foto © Johannes Vesper
Albrecht Dümling:
Die verschwundenen Musiker
George Dreyfus: Kompositionen
 
 
Beide stammen sie aus Wuppertal, wo sie vor wenigen Tagen gemeinsam auftraten. George Dreyfus ist zudem einer der von Albrecht Dümling in seinem neuen Buch beschriebenen 1933-1945 nach Australien geflohenen, „verschwundenen Musiker“. Zunächst erscheint es erstaunlich, daß die Musik als sinnfreie Kunst Veranlassung geben kann, aus politischen Gründen zu fliehen. Aber die Nationalsozialisten hielten die Musik für die deutscheste und mächtigste aller Künste, die direkt in die Seele dringt. So wurde einerseits die Musik im nationalsozialistischen Deutschland gefördert und vor allem aber auch kontrolliert.
 
Die Beseitigung von Juden und „Kulturbolschewisten“ aus dem Musikleben gehörte zu den wichtigen Punkten des nationalsozialistischen Programms. Beethoven, Mozart, Schubert waren besondere Vorbilder für die Deutschen. Mendelssohn gehörte nicht dazu. Hindemith, Schönberg und Kurt Weill auch nicht. Sie sind vielleicht die berühmtesten Komponisten, die Nazi-Deutschland verlassen mußten. Sie flohen in die USA. Albrecht Dümling lernte vor Jahren den australischen Komponisten George Dreyfus kennen. Schnell stellte sich heraus, daß beide aus Wuppertal stammen, daß Dreyfus seine Kindheit in der hiesigen Platzhoffstraße verbracht hat, bevor er 1939 mit einem Kindertransport nach Australien gebracht worden ist. Der Musikwissenschaftler Dümling wurde in Wichlinghausen groß, wohnt seit 1968 in Berlin und reiste 1995 zur Vorstellung seines großen Brechtbuches („Laßt Euch nicht verführen: Brecht und die Musik“ Kindler 1995) nach Australien, verbrachte einige Monate als Stipendiat der Nationalbibliothek in Canberra und stieß dort immer wieder auf Musiker mit deutschen Wurzeln. So entstand das heute vorgestellte Werk, in welchem er das Schicksal von 96 deutschen Musikern und Musikerinnen, die nach Australien fliehen mußten, nachzeichnet. 
 
Überraschend, daß der berühmte Pianist Artur Schnabel schon im März 1933 Berlin verläßt.
erschreckend, daß bereits am 13.03.1933 die Mutter des Juristen Walter Dullo über Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmung, Abhören des Telefons und Öffnen der Briefpost berichtet. Walter Dullo, sein Vater war ehemals Oberbürgermeister von Offenbach, war eine musikalische Ausnahmebegabung, komponierte schon als 11jähriger, wurde aber von seinem Vater nicht gefördert und studierte nach Abitur Mathematik, später Jura und lernte dann im Hinblick auf die sich abzeichnende Notwendigkeit der Auswanderung Schokoladenfabrikation und Massage. Er reist 1937 nach Australien aus, eröffnet dort einen Schokoladenladen, schreibt Programmhefttexte, komponiert und lernt Richard Goldner kennen, den ehemals 1. Bratscher des Wiener Kammerorchesters. Die beiden Musiker gründen 1945 die Sydney Musica Viva, die größte Kammermusikorganisation der Welt noch heute.

Der australische Komponist aus Wuppertal G. Dreyfus, geb. 1928, legt 1947 erste Kompositionen vor, ist als Fagottist in verschiedenen Orchester Australiens tätig und arbeitet seit 1964 als erster freischaffender Komponist. Seine Oper „Rathenau“ wurde nicht in Australien aber in Kassel aufgeführt. Ursächlich war dafür wohl nicht ein Ressentiment der australischen Kulturszene, welches es gegenüber den Flüchtlingen aus Deutschland damals aber durchaus gegeben hat. Antisemitismus, antideutsche Stimmungen in Verbindung mit der Angst um Arbeitsplätze, die von Flüchtlingen besetzt werden könnten, gab es damals auch in Australien. Die Musikergewerkschaft formulierte 1926 in ihrer Satzung die Diskriminierung ausländischer und farbiger Musiker als ihr Ziel. Mitglieder der Gewerkschaft waren verpflichtet in Orchestern, in denen zu viele Ausländer beschäftigt wurden, nicht zu spielen. Die berühmten Weintraubs Syncopators, das orchestrale Vorbild der Comedian Harmonists, hatten Berlin schon 1935 verlassen, hatten eine Tournee über Japan hinter sich, waren als Ensemble in Australien und Neuseeland ungeheuer erfolgreich, wurden aber erst nach 1945 eingebürgert. Stefan Weintraub wird sogar inhaftiert, gibt den Musikerberuf auf und arbeitet später als Mechaniker. Diffamierung und Internierung der deutschen Flüchtlinge waren nicht selten.        
Das minutiös und sorgfältig recherchierte Material, sehr gut lesbar, teilweise spannend ist auf 444 Seiten im Böhlau-Verlag erschienen und könnte mit den eingelegten Stadtplänen und Karten mit Markierung musikhistorisch interessanter Orte auch für interessierte Australienreisende lohnen.  
 
Zur Vorstellung des Buches spielte das Wuppertaler Kammerorchester am 22. April unter Leitung des Komponisten George Dreyfus seine Suite „Die Abenteuer des Sebastian, der Fuchs“. Ursprünglich handelt es sich dabei um die Musik einer Fernsehsendung für Kinder. Das lebhafte Dirigat endet zum allgemeinen Vergnügen in gemeinsamem Gesang zweier langjähriger Musikfreunde: George Dreyfus und Prof. Hartmut Klug. Die vier letzten Else-Lieder für Frauenstimmen und Streicherorchester (Solistinnen Silke Huhmann, Carina Sohn, Kristina Strack Andrea Wingen) sind sozusagen nachbarschaftliches Gemeinschaftswerk von G. Dreyfus aus der Platzhoffstr. und Else Lasker-Schüler aus der Sadowa-Straße. Joachim Dorfmüller umrahmte den Abend mit zwei für ihn geschrieben Orgelstücken von G. Dreyfus. Die „Festouvertüre für Wuppertal“ sollte immer vor offiziellen Anlässen in der Stadt erklingen.


Hartmut Klug (links) und George Dreyfus im Duett - Foto © Johannes Vesper
Die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft mußte anschließend eine Mitgliederversammlung abhalten. War das nötig? Für das Publikum blieb so keine Zeit für Gespräche mit dem aus Autor aus Berlin und dem Komponisten aus Australien. Schade!
 

Albrecht Dümling: Die verschwundenen Musiker – Jüdische Flüchtlinge in Australien
© 2011 Böhlau-VCerlag Köln, Weimar, Wien, 444 S., 43 Abb. auf 16 Taf. 1 Übersichts-Karte - ISBN 978-3-412-20666-6
49,90 €
 
Weitere Informationen: www.duemling.de und www.boehlau-verlag.com

Redaktion: Frank Becker